Die Mode- und Textilindustrie ist trotz abnehmender Bedeutung einer der grundlegendsten Sektoren in der türkischen Industrie. Tausende drohen nun ihren Job zu verlieren aufgrund von globalen Einbrüchen in der Schuh- und Bekleidungsbranche in Folge der CoVID19-Pandemie.
Türkei. Die weltweit agierende Kapitalberatungsfirma McKinsey schätzte im April ein, dass die Umsätze der globalen Modeindustrie (Schuh- und Bekleidungsbranche) im Vergleich zum Vorjahr um 27% bis 30% einbrechen werden. Für das Jahr 2021 wird dann wieder ein Wachstum von 2% bis 4% prophezeit im Vergleich zu 2019. Verantwortlich dafür sind vor allem Unterbrechungen der Lieferketten, da viele Länder, in denen diese produziert werden, besonders hart von der Pandemie getroffen wurden.
Während in Teilen Europas, der USA und anderen Ländern im Zuge der Pandemie geschlossen wurde, wurde die Ausbeutung in Ländern wie Kambodscha oder Bangladesch, die in der Textilproduktion dominieren, weiter verschärft.
Die Textilindustrie hat einen Anteil von 8–10% an der türkischen Wirtschaft. Ihr Anteil an der verarbeitenden Industrie beträgt 15% und am Export ebenfalls 15%. 26% der Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie arbeiten in der Textilindustrie und 8% aller türkischen Beschäftigten. Im Vergleich zu Anfang der 2000er ist ihr Anteil am Export und die Anzahl der Beschäftigten zwar gesunken, für die Türkei ist es allerdings immer noch ein wichtiger Teil des Arbeitsmarktes und Devisenquelle.
Die Geschichte der Textilindustrie der Türkei in den letzten 40 Jahren ist die Geschichte der zunehmenden Abhängigkeit der Türkei von ausländischem Kapital. So befindet sich bspw. rund Hälfte der türkischen Exporte von Konfektionskleidung in den Händen von zwölf Monopolen. Mit dem Voranschreiten der Türkei in der globalen Wertschöpfungskette hat sich die Ausbeutung der Arbeiterklasse weiter verschärft und die Krisenanfälligkeit zugenommen.
Verschärfung der Ausbeutung während Pandemie
Rund 88.000 Unternehmen sind im Textilsektor in der Türkei tätig. Ungefähr 90% der Unternehmen beschäftigen weniger als 100 Menschen, deren Anteil am Markt beträgt aber nur rund 50%. Die restlichen Anteile am Markt machen Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten aus. Bei der Top-500-Rangliste in der Produktion der Istanbuler Industriekammer machen 38% Textilhersteller aus. Die 1000 größten Exportunternehmungen für Konfektionskleidung machen allerdings nur rund 15% der Exporte aus. Die Ursache dafür liegt in der höheren Kapitaldichte in der Produktion.
Dieses komplexe System an Hierarchien und Verflechtungen von Monopolen, größeren und kleineren Unternehmen, hat eine Verschärfung der Ausbeutung zur Folge. Von der Komplexität profitieren sowohl die türkischen Kapitalisten als auch die Monopole.
Bereits im März hatte die türkische Wirtschaft mit einem Exportrückgang von 30% zu kämpfen, für April gehen Schätzungen von bis zu 50% aus. Die Regierung hat zwar Zahlen für April angekündigt, diese liegen allerdings noch immer nicht vor. Für Mai und Juni wird geschätzt, dass der Export ebenfalls um 30–50% einbricht. Ein Rückgang, der selbst mit einer Normalisierung im nächsten bzw. übernächsten Quartal kaum zu kompensieren sein wird.
Es ist schwierig vorauszusagen, wie das türkische Kapital auf mittlere Sicht mit den mit der Pandemie einhergehenden Umgestaltungen der Weltwirtschaft umgehen wird. Sicher ist, dass sie auf sogenannte Innovationen setzen wird, die das Risiko erhöhen und die Ausbeutung weiter verschärfen werden. Dennoch sagen Ökonomen voraus, dass es zu einer großen Zahl an Konkursen in Folge der Pandemie kommen wird, trotz Abwertung der türkischen Lira, um mit dem Verfall der Stückpreise in ausländischen Währungen konkurrieren zu können.
Darüber hinaus werden zwar einige mittlere und größere Unternehmen, die von staatlichen Subventionierung und der „Bevorzugung“ von Monopolen profitieren, überleben, die Marktbereinigung wird allerdings im selben Maße zunehmen, wie der Spielraum geringer wird, und jedes Unternehmen wird versuchen, die Verantwortung einem anderen zu übertragen.
Die Situation der Textilarbeiterinnen und ‑arbeiter
Das türkische Kapital in der Textilproduktion ist aufgrund ihrer willkürlichen und arbeiterfeindlichen Politik in einem hohen Maße von 15–20 internationalen Monopolen abhängig. Das hat zur Folge, dass ein Sektor, in dem rund 1,1 Millionen türkische Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt sind, von Produktions- und Handelsschwankungen zwischen 40% und 50% betroffen ist.
Aufgrund dieser Tatsache drohen im Zuge der CoVID19-Pandemie bis zu 500.000 Beschäftigte in der Textilindustrie ihren Arbeitsplatz verlieren. Aus Sicht der Arbeiterklasse ist klar, dass der Bekleidungssektor von der Herrschaft des internationalen Kapitals und den willkürlichen und arbeiterfeindlichen Maßnahmen des einheimischen Kapitals befreit werden müssen. Experten schlagen vor, dass den Arbeiterinnen und Arbeitern Arbeit im Rahmen gewisser Formen von sozialen Rechten garantiert werden muss; es wird vorgeschlagen, einen Plan zur Verstaatlichung des gesamten Sektors zu erarbeiten um die Beschäftigten und nicht das Kapital zu retten.
Quelle: Sol International