Eine im internationalen Vergleich solide Weizenernte 2021 führt unter kapitalistischen Bedingungen zu Wucherpreisen und Mangel. Mühlenbetreiber und Bäcker begehren jetzt gegen das neoliberale Mantra auf, dass der „freie“ Markt schon alles regle.
Es ist eine Frage der Perspektive: „Gute Zeiten für Weizen und Roggen“, frohlockte die großbürgerliche „Presse“ vor wenigen Tagen. Gemeint war: Spekulanten, Exporteure und die Agrarindustrie scheffeln gerade mächtig Kohle. Von guten Zeiten können all jene, die auf die Verfügbarkeit von heimischem Getreide angewiesen sind, aber keineswegs sprechen.
Denn nach eher schwachen Ernten im europäischen Ausland wird derzeit mehr österreichischer Weizen exportiert als jemals zuvor. In Frankreich, Italien und der Schweiz lassen sich Rekordpreise erzielen – und die hiesigen Verarbeiter bekommen das zu spüren. Ein Mühlenbetreiber berichtet, dass es nur noch geringe Mengen von österreichischem Qualitätsweizen im Handel gebe. Spätestens im März dürfte es kritisch werden. Die zahlreichen AMA-zertifizierten Großbäcker können jedoch auch nicht auf Importweizen umsteigen.
Menschen mit niedrigem bis durchschnittlichem Einkommen spüren die gestiegenen Kosten für Lebensmittel ohnehin schon längst: Ein wöchentlicher Einkauf ist Stand Oktober bereits um 8,5 Prozent teurer als im Vorjahr. Getreidemangel in Bäckereien und explodierende Preise sind also die „Marktlogik“ nach einem guten Erntejahr für Hartweizen. Die Aussichten sind durch Klimawandel und steigenden Bodenverbrauch auch nicht gerade rosig.
Ruf nach Regulierung
Ausgerechnet Mühlenbetreiber und Bäcker fordern jetzt, was der heutigen SPÖ beim bloßen Hören Angstschweiß auf die Stirn treibt: Regulierung und Exportverbote, kurz staatliche Eingriffe gegen die „Segnungen“ des freien Marktes. Als „Standard“-Journalistin Verena Kainrath so unerhörte Forderungen vernahm, musste sie zur Gemütsberuhigung gleich drei Vertreter der Agrarindustrie befragen. Diese erklärten natürlich allesamt, dass Einschränkungen extrem schlimm und außerdem gegen das EU-Recht seien.
Nun sind die Forderungen mancher Mühlenbetreiber nach einer Einschränkung des Marktdiktats bei Landwirtschaftsministerin Köstinger (ÖVP) ähnlich gut aufgehoben wie in einem leeren Getreidesilo. Die Angelegenheit zeigt jedoch deutlich, welch absurde Folgen die von der EU und ihren Apologeten durchgepeitschte, totale Marktliberalisierung hat: In einem klimatisch (noch) bevorzugten Land geht nach einer guten Ernte das Getreide aus.
Quellen: Der Standard, Die Presse, AMA