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Kritik der Kindeswohlkommission an Praxis des Umgangs mit minderjährigen Asylsuchenden

Deutlich mehr als die Hälfte der begleiteten Minderjährigen (3.220) waren in Österreich geborene Kinder von Personen, die bereits mit einem Schutzstatus oder Aufenthaltstitel in Österreich leben.

Wien. Heftige Kritik an der aktuellen Praxis des Umgangs mit minderjährigen Asylsuchenden übt die Kindewohlkommission unter der Leitung der Ex-OGH-Präsidentin und Ex-NEOS-Abgeordneten Irmgard Griss. Die Kommission, die nach der heftig umstrittenen Abschiebung von Mädchen nach Georgien und Armenien zu Beginn des Jahres von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) eingesetzt worden war, legte in ihrem Bericht auch konkrete Verbesserungsvorschläge vor.

Sie fordert grundsätzlich eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls in Verfahren. Schubhaft für Minderjährige und Familien dürfe es nicht mehr geben, Abschiebungen sollten nicht während des Schuljahres stattfinden, rät die Kommission. 

In allen Entscheidungen im Rahmen des Asyl- und Fremdenrechts, die Kinder betreffen, soll eine „umfassende Prüfung des Kindeswohls und der Auswirkungen der Entscheidungen auf die Rechte des Kindes gewährleistet“ werden.

Klare Kriterien gefordert

Referenten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sollten dazu ebenso wie die Richter des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), bei dem Bescheide bekämpft werden können, klare Kriterien und Handlungsanleitungen bekommen. Derzeit sei es oft Zufall, je nachdem zu welchem Referenten oder Richter man kommt, würde die Entscheidung positiv oder negativ ausfallen. Das kritisieren Anwälte und NGOs schon seit langem. Rechtsvorschriften, die die Kindeswohlprüfung mittelbar oder unmittelbar betreffen, sollten auf notwendige Änderungen überprüft werden, rät die Kommission. Das System der Altersfeststellung soll überprüft werden. Psychosoziale und kognitive Faktoren sollen gleichberechtigt mit medizinischen Faktoren in die Beurteilung einfließen. Zudem soll die Altersfeststellung als selbstständig anfechtbare Entscheidung ausgestaltet werden. In Entscheidungen über Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sollen in einem formalisierten Verfahren die Erfahrungen von Nachbarinnen und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, Lehrerpersonen und Mitschülerinnen und ‑schülern berücksichtigt werden. Vor allem in Härtefällen soll diesen Berichten besonderes Gewicht zukommen. 

Man müsse sicherstellen, dass das Kindeswohl „bei Anzeichen geänderter Umstände bis zuletzt geprüft werden kann“ und seine Gefährdung dazu führe, dass das weitere Vorgehen überprüft wird. Bei der Organisation von Abschiebungen müsse etwa für eine psychologische Krisenintervention vorgesorgt werden.

Keine Abschiebungen während des Schuljahres

„Termin, Art und Weise der Abschiebung sollen so festgelegt werden, dass Kinder möglichst geringen Schaden erleiden“, fordert die Kommission. Während des Schuljahres sollen schulpflichtige Kinder nicht abgeschoben werden. Zudem solle angeordnet werden, dass Minderjährige und Familien nicht mehr in Schubhaft genommen werden dürfen.

Die Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge solle „dringend für ganz Österreich einheitlich gestaltet“ werden, derzeit bestehe hier eine „Schutzlücke“. Es solle auch geprüft werden, ob unbegleiteten Minderjährigen wie in Frankreich ein Bleiberecht bis zur Volljährigkeit gewährt werden soll, sofern kein Grund für eine Aberkennung eines Aufenthaltstitels vorliegt.

Beim BFA soll das (nicht nur für Kinder geltende) Controllingsystem geändert werden: Für einen positiven Bescheid erhält ein Referent derzeit 0,6 Punkte, für einen negativen einen Punkt. Für andere (kürzere) Bescheide werden 0,5 Punkte vergeben. Pro Woche sollen mindestens vier Punkte erreicht werden. Stattdessen sollen auch qualitative Kriterien eine Rolle spielen – also etwa, ob für eine Entscheidung nur Textbausteine aus anderen Verfahren verwendet wurden.

Im Jahr 2020 stellten 4.055 begleitete Minderjährige einen Asylantrag in Österreich. 1.467 kamen als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. 3.716 begleitete und 381 unbegleitete Minderjährige wurden zum Asylverfahren zugelassen. 5.730 Minderjährige haben 2020 Asyl, subsidiären Schutz oder humanitäres Bleiberecht erhalten, davon waren 186 unbegleitete Minderjährige.

Mehr als die Hälfte der begleiteten Minderjährigen in Österreich geboren

Deutlich mehr als die Hälfte der begleiteten Minderjährigen (3.220) waren in Österreich geborene Kinder von Personen, die bereits mit einem Schutzstatus oder Aufenthaltstitel in Österreich leben. 1.174 Anträge von Minderjährigen wurden rechtskräftig abgewiesen und Rückkehrentscheidungen erlassen.

Mehrere Organisationen, die mit der Betreuung minderjähriger Flüchtlinge oder mit Kinderrechten befasst sind, unterstützen die Vorschläge der Kommission, etwa die Diakonie, die Caritas, SOS-Kinderdorf oder die Kinderfreunde. auch die UNO-Unterorganisationen UNICEF und UNHCR begrüßten die Vorschläge der Kommission. Ablehnung kommt erwartungsgemäß von der FPÖ, das Innenministerium erstellte angeblich einen eigenen Bericht und zeigte sich nicht begeistert vom Bericht der Griess-Kommission. Justizministerin Alma Zadić kündigte hingegen an, die Empfehlungen der Kommission soweit sie ihr Ressort betreffen, umsetzen zu wollen.

Quellen: orf​.at/APA-OTS

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