Auch die Autonome Provinz Bozen weist große Lücken in der Infrastruktur für Obdachlose auf. Der 19-jährige Mostafa Abdelaziz Mostafa Abouelela starb an der eisigen Kälte, weil er sich auf einer Warteliste für Schlafplätze befand.
Bozen. In der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember übernachtete der 19-jährige Ägypter Mostafa Abdelaziz Mostafa Abouelela gemeinsam mit einem Freund in einer Holzhütte unter der Bahnlinie Bozen-Meran. Sie schliefen gegen 22:00 Uhr ein. Als der Freund einige Stunden darauf aufwachte, bemerkte er, dass Abouelela keine Lebenszeichen mehr von sich gab. Der Rettungsdienst, der schnell eintraf, versuchte vergebens, Abouelela wiederzubeleben. Er war in der eisigen Nacht erfroren.
Sein Tod erschütterte eine breite Öffentlichkeit, da es für viele als unvorstellbar galt, in Südtirol an Obdachlosigkeit zu sterben. Er stand gemeinsam mit 170 anderen Unglückseligen auf einer Warteliste für einen Schlafplatz. Auch in Südtirol fehlt es an Infrastruktur, um das Problem der Obdachlosigkeit in den Griff zu bekommen. Insgesamt gibt es fünf Heime in Bozen, Brixen und Meran, die Menschen in Not aufnehmen können. In Bozen sind das die Accoglienza Notturna Temporanea (zu deutsch: Temporäre nächtliche Aufnahme) der Gruppe Volontarius und der „Ex Alimarket“, ein altes Industrielager, das vom Italienischen Roten Kreuz in eine Einrichtung umgewandelt wurde, die 95 bzw. 90 Betten bietet.
Rassistischer Wohnungsmarkt
Andrea Tremolada, Leiter der Abteilung Projekte und soziale Aktivitäten beim Komitee des Roten Kreuzes, erklärte, dass „viele der auf die Straße gedrängten Menschen das Asylverfahren erfolgreich abgeschlossen haben und oft auch einen regulären Arbeitsplatz haben“, jedoch aus genuin rassistischen Gründen keine Wohnung finden. Der Tod von Abouelela ist eine der besonders tragischen Folgen dieser Grundtendenz.
Die Bozner Stadtverwaltung griff in jüngster Vergangenheit immer wieder auf repressive und marginalisierende Maßnahmen zurück, um dem Problem zu begegnen: Zwangsräumungen, das Fehlen eines Tageszentrums für nichteuropäische Bürgerinnen und Bürger, feindselige Architektur und Bürokratie sowie nicht zuletzt Betretungsverbote. Nach dem Tod von Abouelela scheint die Provinz Bozen einige Sofortmaßnahmen zu ergreifen. So wurde die Kapazität des Wohnheims „Ex Alimarket“ um 50 Plätze erhöht und der Landeshauptmann der Autonomen Provinz Bozen, Arno Kompatscher, hat angekündigt, dass in den nächsten Tagen eine Vereinbarung mit den Gemeinden des Gebiets unterzeichnet wird, die aufgefordert werden, weitere 150 Betten beizusteuern. Tremolada bezeichnete dies als „keine leichte Aufgabe, angesichts der Zurückhaltung vieler Städte in diesem Gebiet, wo es noch immer starke Vorurteile gibt und die Befürchtung besteht, dass ein größeres Angebot an Dienstleistungen ein Anziehungspunkt für Obdachlose sein könnte“.
Caritas und Klerus fordern strukturierte Hilfe vom Land
Auch der Brixner Bischof Ivo Muser und die Direktorin der Caritas, Beatrix Mairhofer, fordern mehr Unterstützung vom Land in diesem Bezug. Es brauche „nicht nur Notlösungen, sondern eine gut geplante, dauerhafte und strukturierte Hilfe,“ so der Appell an die politischen Verantwortungsträger. Die Caritas versorgt zurzeit 345 Menschen in Südtirol mit Schlafplätzen und verteilt etwa 300 Mahlzeiten pro Tag.
Mairhofer berichtet über den Gewissenskonflikt, gezwungenermaßen Menschen in Not abweisen zu müssen, da schlichtweg der Platz fehlt:
„Unsere Einrichtungen für Menschen ohne Obdach oder Wohnung sind alle voll belegt; auch in unseren Essensausgaben gehen wir derzeit weit über unsere Kapazitäten hinaus. Und doch können wir nicht allen helfen, die bei uns anklopfen, im Moment sind es leider zu viele. Das bringt unsere Mitarbeiter und besonders auch die Freiwilligen oft an ihre Grenzen: Sie haben tagtäglich mit unsagbar schweren menschlichen Schicksalen zu tun ebenso wie die anderen Hilfsorganisationen, die auch sehr viel für Menschen ohne Obdach tun. Niemand schickt gerne jemanden weg, der Hilfe braucht. Doch die Kirche, Hilfsorganisationen und beherzte Privatpersonen alleine können das Problem nicht lösen. Auch den Verantwortlichen in den Pfarreien geht es so.“