Vöcklabruck. Am Hallstätter Gletscher zeigt sich der ökologische Preis eines auf Profitmaximierung ausgerichteten Systems in aller Deutlichkeit: Noch nie seit Beginn der wissenschaftlichen Beobachtung war das Eis so früh so blank wie in diesem Sommer. Was einst als „ewiges Eis“ galt, löst sich in wenigen Jahrzehnten buchstäblich in Luft auf – es ist dies eine direkte Folge eines Wirtschaftssystems, das den Planeten hemmungslos ausbeutet, um kurzfristige Profite für wenige zu generieren.
Der Gletscher ist nur eines der Opfer der seit Jahrzehnten bekannten, aber bewusst ignorierten Klimazerstörung. Wie der Meteorologe Klaus Reingruber erklärt, haben die überdurchschnittlich warmen Temperaturen und die ausbleibenden Schneefälle in den Wintern der letzten Jahre den Gletschern den Todesstoß versetzt. Die Schneeschmelze setzte heuer bereits im Frühsommer massiv ein – der Gletscher war schon Ende Juni nahezu vollständig ohne schützende Schneedecke. Ein Umstand, der den Rückgang massiv beschleunigt.
Die Folgen sind tiefgreifend – nicht nur für Alpinistinnen und Alpinisten. Mit dem Rückgang des Eises verändert sich die ganze Gebirgslandschaft: Felsen und instabile Schotterfelder ersetzen stabile Schneedecken. Wege werden unpassierbar, und die Gefahr von Steinschlag steigt, wie Martin Scherr, Wirt der Adamekhütte unterhalb des Gosaugletschers, bestätigt. Besonders am Dachsteinmassiv sei die Lage bereits prekär.
Doch noch tragischer als der Verlust alpiner Schönheit ist der drohende Verlust ökologischer Funktionen. Gletscher sind nicht nur Eisfelder – sie sind Speicher, Regulatoren und Puffer des Wasserhaushalts. In einem gesunden Klimasystem halten sie Niederschläge zurück und geben sie verzögert ab, verhindern Hochwasser und sichern Wasserversorgung in Trockenperioden. Ohne diese Eisreserven drohen intensivere Überschwemmungen und Wasserknappheit.
Dass Gletscher mit Planen abgedeckt werden, um das Schmelzen zu verzögern, ist dabei ein bezeichnendes Symbol für die systemische Hilflosigkeit des Status quo. Solche Maßnahmen sind bestenfalls kosmetisch – sie dienen dazu, den wirtschaftlich relevanten Tourismus noch einige Jahre aufrechtzuerhalten, nicht aber dem Schutz der Natur oder der Menschen.
Die Ursache für das Schmelzen der Gletscher liegt nicht in individueller Nachlässigkeit oder technischer Unfähigkeit, sondern in einem System, das Wachstum um jeden Preis über das Überleben der Biosphäre stellt. Der Kapitalismus kennt kein Morgen – nur die Quartalsbilanz zählt. Die Gletscherschmelze ist kein zufälliges Naturereignis. Sie ist ein Produkt der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen jener, die jahrzehntelang Klimaschutz blockiert, verwässert oder als Geschäftsmodell umgedeutet haben.
Der Schutz der Gletscher – und des gesamten Planeten – ist keine unlösbare Herausforderung, sondern eine Frage gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Wer die Natur schützen will, muss die Eigentumsverhältnisse, muss den Kapitalismus infrage stellen.
Quelle: ORF