Bei einer Fachtagung in Innsbruck wurde betont, dass Kinder im Gewaltschutz stärker berücksichtigt werden müssen, da insbesondere die Gewalt unter jüngeren Kindern zunimmt. Experten warnten vor dieser besorgniserregenden Entwicklung und hoben die Bedeutung von Prävention, Beratung und interdisziplinärer Zusammenarbeit hervor.
Innsbruck. Kinder müssen im Gewaltschutz stärker berücksichtigt werden – das war eine zentrale Botschaft einer Fachtagung in Innsbruck, die sich mit häuslicher Gewalt und deren Folgen befasste. Besorgniserregend sei der Anstieg der Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, betonte eine Einrichtung. Um Prävention und Beratung zu verbessern, seien eine engere Zusammenarbeit und die stärkere Sichtbarmachung von Anlaufstellen entscheidend, so die Teilnehmenden der Veranstaltung „Häusliche Gewalt und ihre Folgen“ vergangene Woche.
Unter der Leitung des Kompetenzzentrums Gewaltschutz der Tirol Kliniken lag der Fokus auf dem interdisziplinären Austausch. Besonders wichtig sei es, auch Kinder und Jugendliche als indirekte Zeuginnen und Zeugen häuslicher Gewalt nicht zu übersehen, betonte etwa Klaus Kapelari vom Kompetenzzentrum.
Anstieg sexueller Gewalt
Verschiedene Unterstützungs- und Hilfsangebote wurden vorgestellt, darunter der Kinderschutz Tirol, eine Teilorganisation der Tiroler Kinder und Jugend GmbH. Mit mehreren Kinderschutzzentren in verschiedenen Bezirken bietet sie Beratung und Hilfe bei Fällen von psychischer, physischer oder sexueller Gewalt.
Laut der Erziehungswissenschaftlerin und Therapeutin Natalie Knapp vom Kinderschutzzentrum Innsbruck zeigt sich insbesondere bei jüngeren Kindern ein Anstieg der Gewaltbereitschaft und des Gewaltaufkommens. Gegenüber dem ORF Tirol erklärte sie: „In den Fällen von Gewalt, aber auch der sexualisierten Gewalt, werden die Beteiligten deutlich jünger.
Knapp berichtete, dass sie bereits mit Betroffenen im Volksschulalter, also etwa acht- und neunjährigen Kindern, arbeite. In diesem Alter seien sie nicht nur Opfer, sondern mitunter auch selbst Verursacher von Gewalt. „Das ist das, was uns eigentlich am allermeisten besorgt“, betonte sie.
Beratungsanstieg von 21 Prozent
Im Jahr 2023 führte der Kinderschutz Tirol 3.519 Beratungen zu sexueller Gewalt durch – ein deutlicher Anstieg gegenüber 2022, als es noch 2.688 Fälle waren. Das entspricht einer Zunahme von 21 Prozent. Allerdings bedeuten die höheren Zahlen nicht zwangsläufig, dass es mehr Gewaltfälle gibt, sondern vielleicht auch nur, dass sich die Sensibilisierung für das Thema gesteigert hat.
Seit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hat die Gewalt in der Gesellschaft spürbar zugenommen. Die Jahre mit den bislang meisten Beratungen zu sexueller Gewalt waren 2018 mit 4.129 Fällen und 2020 mit 4.084, wie aus den Tätigkeitsberichten hervorgeht. Für eine umfassendere Einschätzung seien jedoch auch die Statistiken des Landeskriminalamtes erforderlich, betonte sie.
Tirols Kinder- und Jugendanwalt, Lukas Trentini, nahm ebenfalls an der Fachtagung teil und betonte in einem Interview die Notwendigkeit, Kinderschutzkonzepte weiterzuentwickeln und konsequent umzusetzen. Hier bestehe noch Verbesserungsbedarf, erklärte er. Zudem fehle es an ausreichenden Ressourcen für Unterstützung und Begleitung bei der Erarbeitung solcher Konzepte, so Trentini.
Kinderschutzkonzepte ausbaufähig
Trentini hielt die verpflichtende Einführung von Kinderschutzkonzepten in Schulen und pädagogischen Einrichtungen allgemein für einen sehr wirkungsvollen Ansatz. Dabei sei es jedoch entscheidend, dass die Konzepte wirklich verinnerlicht werden – sowohl von den pädagogischen Teams als auch von Vereinen. Er stellte fest, dass es hier einen großen Bedarf an mehr Unterstützung durch die Politik gebe.
Knapp erklärte, dass sich in den letzten Jahren auch das Bewusstsein für häusliche Gewalt verändert habe. Mit der gestiegenen Sensibilität für das Thema sei auch die Zivilcourage gewachsen. Sie nehme wahr, dass es nun deutlich mehr mutige Menschen gebe, die das Thema ansprechen und nicht mehr einfach wegsehen.
Solche Zeuginnen und Zeugen seien in Schulen, im Elementarbereich und in Freizeiteinrichtungen zu finden, fügte Knapp hinzu. Auch die Vernetzung der Gewaltschutzeinrichtungen und die Koordination der Hilfsangebote hätten sich verbessert. Sie bezeichnete diesen Prozess als einen sehr positiven.
Quelle: ORF