Wien. Die Wiener Sozialmärkte, eine zentrale Stütze für armutsgefährdete Menschen, geraten zunehmend unter Druck. Während die Nachfrage nach günstigen Lebensmitteln infolge der explodierenden Preise rasant ansteigt, sinkt gleichzeitig die Menge an gespendeten Waren dramatisch.
In den letzten drei Jahren hat sich die Zahl der Einkaufsberechtigten in den Sozialmärkten des Samariterbundes verdoppelt. Bei den SOMA-Märkten des Wiener Hilfswerks stieg die Zahl der Kundinnen und Kunden in nur anderthalb Jahren von 3.500 auf über 8.500. Diese Entwicklung ist eine direkte Folge der anhaltenden Inflation: Zwischen September 2021 und September 2024 stiegen die Lebensmittelpreise um nahezu 48 Prozent. Immer mehr Menschen können sich Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten und sind auf Sozialmärkte angewiesen.
Doch während die Zahl der Hilfesuchenden steigt, gehen die Spenden zurück. Der Verein STARTUP, der neun FOODPOINT-Sozialmärkte in Wien betreibt, musste sein Einzugsgebiet verdoppeln, um die gleiche Warenmenge wie vor wenigen Jahren zu sichern. Dennoch bleiben Grundnahrungsmittel wie Fleisch, Nudeln und frisches Obst Mangelware.
Eine der Hauptursachen für den Rückgang der Spenden liegt in der Verbreitung von Lebensmittel-Rettungs-Apps wie „Too Good To Go“. Diese Apps, die sich als nachhaltige Lösung gegen Lebensmittelverschwendung darstellen, sind in Wahrheit ein Symptom des kapitalistischen Systems. Anstatt unverkäufliche Waren zu spenden, verkaufen Supermärkte sie zu einem reduzierten Preis über diese Plattformen – und erzielen damit eine letzte Profitmarge. David Weichselbaum vom Wiener Hilfswerk erklärt: „Im Sinne des Klimaschutzes ist das eine positive Entwicklung. Doch für Sozialmärkte bleibt dadurch weniger übrig.“
Diese vermeintliche Nachhaltigkeit dient jedoch vor allem den Interessen der Supermärkte, die so den solidarischen Gedanken aushöhlen. Anstatt die überschüssigen Waren jenen zukommen zu lassen, die sie am dringendsten brauchen, wird bis zum letzten Rest Gewinn generiert – auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft.
Auch die Produzenten tragen ihren Teil zur Krise bei. Wegen gestiegener Energiekosten produzieren viele Betriebe weniger und kalkulieren enger. Das führt dazu, dass weniger Überschüsse für Spenden zur Verfügung stehen. Doch anstatt die strukturellen Probleme des Wirtschaftssystems zu adressieren, werden die Folgen auf die bedürftigen Menschen abgewälzt.
Die Folge dieser Entwicklung: Armutsgefährdete Menschen verlieren zunehmend den Zugang zu gesunder Ernährung. Besonders frisches Obst und Gemüse fehlen in den Regalen der Sozialmärkte, was die Ernährungssituation vieler Menschen weiter verschlechtert. Georg Jelenko vom Samariterbund warnt: „Viele haben nur in den Sozialmärkten Zugang zu gesunder Ernährung, da Obst und Gemüse im Supermarkt oft nicht erschwinglich sind.“
Die Krise der Sozialmärkte ist ein weiteres Beispiel dafür, wie der Kapitalismus grundlegende soziale Strukturen untergräbt. Anstatt überschüssige Waren denjenigen zukommen zu lassen, die sie am dringendsten brauchen, werden diese in den Markt zurückgeführt, um den Profit zu maximieren.
Der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung darf nicht auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen werden. Und auch dieses Beispiel zeigt, dass der Kapitalismus erneut unter Beweis stellt, dass er nicht in der Lage ist, soziale und ökologische Probleme zu lösen – es liegt an uns, ein System zu schaffen, das Menschlichkeit über Profit stellt.
Quelle: ORF