Wenn im Tiroler Oberland ein Sozialdemokrat Bürgermeister wird, dann schwankt das für die ÖVP zwischen Sakrileg und bolschewistischem Umsturz – zumal es sich um die Heimatgemeinde von LH Platter handelt.
Landeck. Im Tiroler Oberinntal ist die Welt ja eigentlich noch weitgehend in Ordnung. Die Kühe weiden beschaulich auf den Wiesen, im Winter laufen die Skilifte auf den Bergen und im Sommer die Touristen über die Wanderwege, und der Herrgott hält seine schützende Hand über Land und Leute, vertreten durch die statthalterisch agierende und dominierende ÖVP bzw. ihre diversen „Bürgerlisten“. So auch in der Gemeinde Zams, die weitgehend unauffällig dahinidyllisiert, zuletzt lediglich ein bissel Corona-gebeutelt (über die Silvretta-Straße sind es keine 30 Minuten nach Ischgl). Einen Sonderstatus genießen die braven Zammer dadurch, dass auch der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) einer der Ihren ist und von 1989 bis 2000 Bürgermeister war, ehe es ihn nach Innsbruck und zwischenzeitlich nach Wien zog.
Am 27. Februar dieses Jahres war’s mit alledem schlagartig vorbei. Bei den Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen geschieht das Undenkbare: Von den 1.955 Stimmen entfiel eine knappe Mehrheit auf die SPÖ-Liste „Unser Zams“, die ÖVP-Liste „Gemeinsam für Zams“ verliert die GR-Mehrheit und auch den direkt gewählten Bürgermeisterposten an den sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Benedikt Lentsch. Fürs Heilige Land Tirol ist derartiges außerhalb der Städte irgendwas zwischen Sakrileg, Majestätsbeleidigung, Weltuntergang und bolschewistischer Machtergreifung – und für Landeshauptmann Platter jedenfalls eine Peinlichkeit. Jetzt kann man freilich schwerlich wegen nur einer Gemeinde, die nicht einmal Wien ist, gleich die Heimwehr auferstehen und ausrücken lassen, aber irgendetwas muss geschehen!
Und es geschieht: Es erfolgt eine – natürlich anonyme – Anzeige gegen den frisch gebackenen Bürgermeister Lentsch bei der Bezirkshauptmannschaft. Warum? Am Wahltag, am 27. Februar, soll angeblich ein SPÖ-Wahlplakat zu lange vor dem Wahllokal gestanden haben. Dieses öffnete nämlich um sieben Uhr morgens, der fragliche Ständer wurde jedoch erst 45 Minuten später und damit zu spät entfernt. Am Wahltag ist Wahlwerbung rund um Wahllokale verboten, weil mutmaßlich „wettbewerbsverzerrend“ – da hält sich gerade die ÖVP zwar selbst nicht immer daran, aber bei der SPÖ ist das etwas Anderes. Die Geschichte impliziert allerdings auch die Facette, dass am Vorabend – 26. Februar 2022 – die Mitarbeiter des Bauhofs von Zams durch die ÖVP-Gemeindeverwaltung angewiesen worden waren, alle Wahlplakate im „grenzwertigen Bereich“ zu entfernen – offenbar hat man aber das inkriminierte SPÖ-Plakat „vergessen“. Man kann für die ÖVP nur hoffen, dass es im kommunalen Bauhof keine klandestine sozialistische Betriebszelle gibt.
Wie dem auch sei – nachdem man in der ÖVP sowieso schon ang’fressen ist über den blasphemisch-linksradikalen Wahlausgang in Zams, liegt der Verdacht nahe, dass durch die Anzeige dem neuen SPÖ-Bürgermeister nun also zumindest eine etwas lächerliche Verwaltungsstrafe aufgebrummt werden soll. Eine Wahlwiederholung zur Behebung des skandalösen Wählerirrtums wird’s wegen dem Plakat wohl nicht spielen, auch wenn die BH Landeck dafür bekannt ist, dass sie immer „alles richtig macht“. Zuvor muss noch der Tiroler Landtag die Immunität des Abgeordneten Lentsch aufheben, was am kommenden Dienstag geschehen soll. Dort hat die ÖVP allerdings keine absolute Mehrheit, weswegen man sehen wird, wie sich der grüne Koalitionspartner in dieser Posse verhalten wird.
Quelle: Der Standard