Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
So bizarr die schier unglaubliche Auszählungskomödie vom Linzer SPÖ-Parteitag auch erscheinen mag, so hat sie letztlich nicht jene nachhaltige Bedeutung, die ihr medial zugeschrieben wird. Die irritierendste Facette markieren nicht Unfähigkeit und/oder Gleichgültigkeit sozialdemokratischer FunktionärInnen, sondern die Tatsache, dass der Fehler beinahe unentdeckt geblieben wäre. Doch zum Glück waren es nur knapp 48 Stunden, in denen wir in einer Parallelwelt gelebt haben – in der Doskozil-Zeitlinie, die nun wieder ausgelöscht wurde. In diesen zwei Tagen wurde aber eine falsche Realität geschaffen, in politischer und medialer Hinsicht, mit praktischen Konsequenzen, mit Analysen, Erklärungen und Plänen, die nun in der multiversellen Unendlichkeit verschwinden. Am Ende steht der bundespolitisch bereits totgeglaubte Bobby Babler quicklebendig unter der Dusche – wenngleich vorerst wie ein begossener Pudel.
Nun befinden wir uns also doch in der Babler-Zeitlinie der österreichischen Sozialdemokratie. Und sie erscheint zunächst paradox. Dass ein echter Sozialdemokrat an der Spitze der SPÖ steht, ist ebenso unerwartet wie unüblich. Andreas Babler ist das Ergebnis eines regelrechten Betriebsunfalls des SPÖ-Apparats, den Doskozil in Form der Mitgliederbefragung erzwungen hat. Dieses Instrumentarium wurde zunächst von Niki Kowall und dann von Babler gegen ihre Erfinder gewendet. Die plötzliche Möglichkeit wusste der Traiskirchner Bürgermeister auf recht beeindruckende Weise zu seinem Vorteil zu nutzen, mit einer Basisbewegung, die offenkundig einige Menschen innerhalb und außerhalb der SPÖ begeistern konnte. Diese Begeisterung trug Babler durch die Mitgliederbefragung und bis zum Parteitag, bei dem hunderttausende Menschen live im TV sehen konnten, dass die SPÖ vor einer Entscheidung zwischen Neustart oder weiterem Dahindümpeln stand. Nochmals war zu erwarten, dass der Apparat und die handverlesenen Funktionärsdelegierten die Reißleine ziehen und sich auf Doskozil gegenüber dem allzu „linken“ Emporkömmling aus der Provinz einigen. Doch offenbar waren die Gräben und persönlichen Zerwürfnisse so groß, dass viele in der Wahlzelle lieber das Risiko Babler eingingen, als den Königinnenmörder Doskozil zu akzeptieren.
Damit verbunden ist freilich der Gedanke, die „unguided missile“ Babler unter Kontrolle zu bringen und in gewünschte Bahnen zu lenken. Zweifellos ist Babler ein Vertreter einer traditionelleren Sozialdemokratie, die sich um einen ernsthaften Sozialreformismus, um praktische Verbesserungen zugunsten der Arbeiterklasse bemüht. Natürlich ist Babler kein sozialistischer Revolutionär und kein Marxist, aber er weiß, dass auch soziale, demokratische und wirtschaftspolitische Reformen innerhalb des Kapitalismus erkämpft werden müssen – mit dem Machtmittel der mobilisierten Arbeiterschaft. Diese repräsentiert die SPÖ heute freilich längst nicht mehr, im Gegenteil: Im SPÖ-Apparat, in der Wiener Clique und in der auf Sozialpartnerschaft getrimmten ÖGB-Führung wird man bemüht sein, Babler auf unterschiedliche Weise zu bremsen. Dagegen hilft Babler wieder nur die Mobilisierung, hier nun jene der Parteibasis – das ist jedoch etwas, das man ihm durchaus zutrauen kann. Man wird sehen, ob Babler schließlich das Schicksal Jeremy Corbyns ereilt, oder ob er sich gegen die Eliten durchsetzen kann (und konsequent möchte) – ob die Babler-Zeitlinie eine kurze Episode bleibt, oder ob Bablers Mission Zukunft hat.
Das hat durchaus Auswirkungen auf die gesamte Linke und Arbeiterbewegung in Österreich. Babler vertritt einen eindeutigen Klassenstandpunkt und steht damit ironischer Weise links von der selbst sozialdemokratisierten KPÖ, die als hauptsächlich wahlorientierte und ‑getriebene Bewegung auf Almosen- und Stellvertreterpolitik setzt. Den ihrerseits bereits sicher geglaubten Einzug der KPÖ in den Nationalrat wird Babler vermutlich verhindern, denn auch hier gilt das Primat des Originals: Wenn die KPÖ nicht als Ersatzsozialdemokratie, die sie inzwischen ist, gebraucht wird, sind Wahlerfolge wie in Graz oder Salzburg unmöglich.
Trotzdem soll und darf man sich bezüglich der SPÖ natürlich keinen Illusionen hingeben. Auch mit Babler bleibt sie felsenfest an den Kapitalismus, den Imperialismus und die EU gebunden. Selbst wenn sie soziale Reformen durchsetzen kann, die das tägliche Leben der arbeitenden Menschen verbessern, dann ist das zwar uneingeschränkt zu begrüßen, doch die Wirkung trägt auch zur sozialen Stützung des Kapitalismus bei. Und so ist die Sache denn auch aus der Sicht einer wirklich kommunistischen, einer marxistisch-leninistischen Partei zu betrachten: Wir unterstützen alles, was positiv ist für die Arbeiterklasse. Sollte es Babler gelingen, tatsächliche Verbesserungen und Fortschritte durchzusetzen, dann ist dieser Kampf auch unser Kampf. Davon unberührt bleibt die marxistische Einsicht, dass es im Großen nicht darum geht, den Kapitalismus zu verbessern, sondern ihn zu überwinden.