Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), zur Aufhebung des Verbots der Suizidassistenz durch den VfGH
Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 11. Dezember 2020 das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord aufgehoben. Im Paragrafen 78 des Strafgesetzbuches sei die Formulierung „oder ihm dazu Hilfe leistet“ verfassungswidrig in Hinsicht auf das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung. Diese Mitwirkung am Suizid wurde bislang sehr weit gefasst und implizierte auch unterstützende Tätigkeiten, die nur am Rande mit der eigentlichen Tat zu tun hatten. Weiterhin verboten bleibt hingegen die aktive Sterbehilfe, also Tötung auf Verlangen. Die Wirksamkeit der Aufhebung hat eine Frist bis zum Jahreswechsel 2021/22, d.h. das Parlament hat nun ein Jahr Zeit, um eine neue gesetzliche Grundlage zu schaffen und die genauen Rahmenbedingungen sowie objektive Indikationen und Kontrollmechanismen festzulegen. Dies wird auch notwendig sein, um etwaigem Missbrauch sowohl in der Behinderung eines selbstbestimmten Lebensendes von Schwerkranken als auch bezüglich einer eventuellen Forcierung einer diesbezüglichen Entscheidung durch Dritte zu verhindern.
Schwierig ist das Thema in jedem Fall. Es ist wohl eine Tatsache, dass die Möglichkeiten der Palliativmedizin sowie der Hospizbewegung in konkreten Fällen ihre Grenzen haben – es gibt Menschen, für die die Entscheidung des VfGH daher eine notwendige Erleichterung darstellt und, so widersprüchlich es zunächst erscheinen mag, deren Leben sogar verlängern kann. Denn diese werden fürderhin nicht mehr darauf angewiesen sein, einen unsicheren und brutalen Suizid zu begehen, solange sie noch gänzlich eigenständig dazu in der körperlichen Lage sind, sondern können sich auf eine Hilfestellung zu einem späteren Zeitpunkt verlassen. Wesentlich ist jedoch ebenso, dass allen Menschen die erforderliche, maximal verfügbare umfassende medizinische, psychologische und therapeutische Behandlung offensteht, zu leistbaren und humanen Konditionen. Das bedeutet, dass man in Wissenschaft und Forschung sowie in das Gesundheitswesen investieren muss, um die Zahl der tatsächlich aus Sicht der Betroffenen unausweichlichen Selbstmorde gering zu halten. Schlussendlich ist die Ermöglichung eines selbstbestimmten Sterbens in Würde immer nur eine bedauerliche Notlösung, wenn die Medizin tatsächlich keine Lösungen mehr bietet und ein unerträgliches Leiden vorliegt.
Daher dürfen soziale, ökonomische und finanzielle Bedingungen sowie damit verbundene seelische Verfassungen bei diesen persönlichen Entscheidungen keine Rolle spielen, womit auch gesagt ist: Die primäre Aufgabe der Gesellschaft und das Staates läge darin, allen Menschen vor allem ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu bieten. Das ist unter den Bedingungen des Kapitalismus nicht gegeben. Man möchte sich wünschen, dass die ÖVP, die Grünen und die katholische Kirche, die nun über die Entscheidung des VfGH so unerfreut sind, sich auch einmal darüber Gedanken machen: Es gibt in Österreich jedes Jahr deutlich über 1.000 Selbstmorde, von denen gewiss einige zu verhindern wären.