Die Coronakrise verschärft die prekäre finanzielle Situation der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) massiv. Bereits jetzt Dienstgeberrückstände in Milliardenhöhe bei Sozialversicherungsbeiträgen.
Österreich. Es war das Prestigeprojekt der türkis-blauen Bundesregierung: Die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Das Reformvorhaben überlebte bekanntlich das Scheitern der letzten Koalition und hielt auch weitestgehend vor dem Verfassungsgerichtshof. Die ÖGK hatte aber dennoch einen durchaus holprigen Start, mindestens finanzieller Natur. Denn von Beginn an stand da ein sattes, rotes Minus. Der Überleitungsausschuss, der unter Aushebelung der Selbstverwaltung die Fusion bis zu diesem Zeitpunkt leitete, gab bereits Ende letzten Jahres eine ernüchternde Vorschauprognose ab. Für das Jahr 2020 wurde ein Defizit von rund 175,3 Millionen Euro erwartet. Wir erinnern uns: Im Jahr 2018, also noch bevor man mit der Umsetzung der Fusion begonnen hatte, erzielten alle Krankenkassen zusammen einen Überschuss von 111 Millionen Euro.
Von feuchten Träumen und Luftschlössern
Hatte die ehemalige FPÖ-Sozial- und Gesundheitsministerin, Beate Hartinger-Klein, noch von einer „Patientenmilliarde“ schwadroniert, erwartete ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer bereits zwei Monate nach dem Start der bundesweiten Gesundheitskasse im Februar 2020 einen kumulierten Bilanzverlust von 1,7 Milliarden Euro in den kommenden fünf Jahren. Wurzer sah hierfür (hauptsächlich) die Schuld bei den bisherigen Länderkassen, schließlich hätten diese „in den letzten zwei Jahren über ihre Verhältnisse gelebt“.
Die neue ÖGK bringe aber auch „jährliche Einsparungen von 300 Millionen Euro und mittelfristig die Reduktion von 1.500 Dienstposten“, erklärte Wurzer zuvor noch im Sommer letzten Jahres als er auf die (vorsichtig?) geschätzten 400 Millionen Euro an Kosten angesprochen wurde, die einer Studie zufolge die Kassenfusion zu Buche schlagen würde.
Dann kam Corona…
Hatte man bei der Prognose für 2020 im Jahresdurchschnitt noch mit einer Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge von 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gerechnet, sind diese aber durch die Corona-Pandemie und der damit einhergehende Rekordarbeitslosigkeit stattdessen um 5,31 Prozent (wieder im Vergleich zum Vorjahr) gesunken. Allein im April sanken die Einnahmen der Sozialversicherung um 187,8 Millionen Euro. Gegenüber dem budgetierten Wert bedeute das ein Minus von 335 Millionen Euro – wovon der Anteil der Gesundheitskasse ca. 19 Prozent betrage.
Außerdem gäbe es bereits mehr als 2,5 Milliarden Euro an Dienstgeberrückständen bei den Sozialversicherungsbeiträgen, heißt es in der aktuellen Presseaussendung der Österreichischen Gesundheitskasse vom 26. Mai 2020. Als Grund dafür wird die Möglichkeit der verzugszinsenfreien Stundung der Unternehmensbeiträge aufgrund der Wirtschaftskrise genannt. Während sich die Rückstände der Unternehmen normalerweise auf 600 Millionen Euro belaufen würden, sei nun mehr als fraglich, wie viel von diesen Forderungen die Sozialversicherung tatsächlich noch einheben könne. Denn das hänge in erster Linie davon ab, wie viele Unternehmen nach der Krise überhaupt noch liquide seien.
Als ÖGK-Generaldirektor Berhard Wurzer von den bis zu 1,7 Milliarden Euro hohen Bilanzverlusten sprach, versuchte er noch zu kalmieren, man hätte sehr vorsichtig bilanziert und schließlich seien in der Vergangenheit die tatsächlich erzielten Ergebnisse immer besser ausgefallen als die Prognosen. Nun ist aufgrund der Wirtschaftskrise aber mit einem deutlich höheren Budgetloch zu rechnen. Selbst ein massives Liquiditätsproblem der Gesundheitskasse ist dabei nicht mehr auszuschließen. Genauso wenig wie schlechtere Leistungen für die 7 Millionen Versicherten, Selbstbehalte oder eine gänzliche Privatisierung des Gesundheitswesens in Österreich.
Quellen: Kleine Zeitung / Die Presse / OÖN / ORF / OTS-Aussendung der ÖGK / ORF