Eine weitere Frage ist rund um den Terroranschlag vom 2. November aufgetaucht: Stand der Verfassungsschutz oder ein anderer Polizei- bzw. Geheimdienst vielleicht doch in engerem Kontakt mit dem Terrorattentäter von Wien oder dessen Umfeld?
Wien. Das Nachrichtenmagazin „Profil“ wirft die Frage auf, ob der 20-jährige Islamist, der am 2. November in der Wiener Innenstadt vier Menschen ermordet hat, ein Informant des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) war oder als solcher angeworben werden sollte. Zumindest würde dies erklären, warum das BVT bei dessen Anschlagsvorbereitungen untätig zu- bzw. eben weggesehen hatte. Denn wie inzwischen hinlänglich bekannt ist, gab es Mitteilungen der slowakischen Behörden, dass der spätere Täter in Bratislava Munition für sein Sturmgewehr kaufen wollte, sowie des deutschen Verfassungsschutzes, dass er sich mit Islamisten aus der BRD treffen würde – trotzdem sah man im BVT keine Veranlassung, den wegen Terrorunterstützung vorbestraften Mann weiter zu observieren oder die Justiz über diese Verletzung der Bewährungsauflagen in Kenntnis zu setzen. Man ließ ihn einfach gewähren, was zum leicht vermeidbaren Tod von vier Menschen führte. Schon das ist ein immenser Skandal, der allemal zur Entbindung einer ganzen Reihe von Verantwortlichen bis hin zu Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) führen müsste.
Ein solch umfassendes Versagen des BVT ist aber tatsächlich schwer zu erklären, denn dermaßen unfähig ist man dort normalerweise nicht, egal welche politische Coleur gerade das Sagen hat. Sollte man jedoch im BVT versucht haben, den Islamisten als Informanten anzuwerben, oder dies vermeintlicher Weise sogar schon getan haben, so wäre es nicht weiter verwunderlich, dass er sich ungehindert in islamistischen Kreisen bewegen und illegale Waffenkäufe unternehmen konnte. Stimmt diese Informantentheorie, so würde das bedeuten, dass der vermeintliche Spitzel der rekrutierenden Behörde allerdings gründlich entglitten wäre oder von vornherein die Kontaktleute lediglich getäuscht hätte, um den Spieß umzudrehen. Allerdings muss auch nicht der nunmehrige Täter selbst der potenzielle V‑Mann gewesen sein, sondern – was eigentlich fast wahrscheinlicher wäre – das Nichteingreifen könnte auch dem „Schutz“ eines Informanten oder Spions in dessen Umfeld gedient haben: Alles musste „normal“ ablaufen, um keine Tarnungen zu gefährden oder gar auffliegen zu lassen. Dazu würde auch die Information passen, dass das BVT für den 3. November eigentlich Razzien im islamistischen Bereich Österreichs geplant haben soll, denen der Täter somit durch seinen Anschlag am Vortag zuvorgekommen wäre. Doch woher wusste er in diesem Fall von der bevorstehenden Razzia? Es steht wirklich zu hoffen, dass sich diese mutmaßlichen Indizien nicht erhärten, sondern als Spekulationen erweisen, denn ansonsten läge noch ein viel größerer Skandal vor – nämlich nicht nur Unterlassung, sondern gewissermaßen staatliche Begünstigung und Hilfestellung bei Terrorismus.
Tatsache ist jedoch, dass Innenminister Nehammer sich am vergangenen Mittwoch im ZiB-2-Interview trotz Nachfragen nicht dazu durchringen konnte, eine Verbindung des BVT zum Attentäter oder dessen Umfeld zu dementieren – er wolle dieses Gerücht gegenwärtig nicht bestätigten, meinte er und verwies lediglich auf laufende und kommende Untersuchungen. Die Pressestelle des Innenministeriums fügte immerhin später hinzu, dass der Terrorist nach Stand der Dinge kein Informant des Verfassungsschutzes oder der Kriminalpolizei gewesen sei. Offen bleiben allerdings die Fragen, ob man sich bei (anderen) geheimdienstlichen oder polizeilichen Stellen um eine Rekrutierung bemühte und es deshalb kein Eingreifen gab, oder ob Personen, die nun als mutmaßliche Mitwisser gelten, mit dem BVT oder anderen Diensten zusammengearbeitet haben. Inzwischen sind freilich eineinhalb Wochen seit dem Anschlag vergangen, die für jedwede Art von Vertuschung ausreichen würden – daran kann auch die „unabhängigste“ und „transparenteste“ Untersuchungskommission vermutlich wenig ändern.
Quelle: Profil