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„Die Soldaten sind in Bereitschaft“ – Über die erste Maifeier vor 130 Jahren in Wien

Gastautor: Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., ist Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.

Auf Initiative der Französischen Arbeiterpartei ist zum Hundertjahrgedenken der Französischen Revolution vom 14. bis 20. Juli 1889 ein internationaler Arbeiterkongress in Paris zusammengekommen. Die Beschlüsse der über 400 Delegierten von sozialistischen Parteien und Gruppierungen aus zwanzig Ländern Europas und Amerikas zielten im Ergebnis auf die Bildung und Organisation von Arbeiterparteien und gewerkschaftlichen Massenorganisationen ab. Es war der Gründungskongress der II. Internationale. Der Franzosen Èdouard Vaillant und Paul Lafargue haben mit dem Deutschen August Bebel und mit dem Österreicher Victor Adler einen epochemachenden Antrag gemeinsam vorbereitet, der vom Kongress angenommen wurde. „Es ist für einen bestimmten Zeitpunkt“, so lautet dieser Kongressbeschluss, „eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar derart, dass gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf 8 Stunden festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des Kongresses zur Durchführung zu bringen“. Als internationaler Kundgebungstag wurde der 1. Mai festgesetzt.

„Der achtstündige Arbeitstag – Ein Mahnwort an alle, die es noch nicht wissen“

Die österreichische Arbeiterschaft war von Anfang an mit revolutionärer Begeisterung dabei. Voraussetzung war, dass auf dem Einigungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie in Hainfeld (30. 12. 1888 – 1. 1. 1889) die oft sektiererischen, zu Feindschaften führenden Debatten überwunden worden sind und in wesentlichen Punkten ein für die Praxis handhabbare marxistisches Programm beschlossen worden ist. In Versammlungen in ganz Österreich wurden Broschüren und Flugblätter mit der Losung über Achtstundentag und Arbeiterschutz verteilt, sie wurden auch gelesen und in den Betrieben weitergegeben. Allein in Wien erschien zu Jahresbeginn 1890 eine in 50.000 Exemplaren aufgelegte Flugschrift „Der achtstündige Arbeitstag – Ein Mahnwort an alle, die es noch nicht wissen“.

Das illegale Begehren

Die adeligen Herrschaftseliten mit den zu ihnen aufschauenden Massen von abhängigen kleinbürgerlichen Schichten und die bäuerliche, von der katholischen Kirche manipulierte Bevölkerung wurden unruhig und aufgeregt und warnten in ihren Medien vor der Wiederholung eines Sturmes auf die Bastille. Der Staatsapparat wurde mobilisiert. Am 18. April 1890 besprach der cisleithanische Ministerrat mit Kaiser Franz Joseph die Situation im Vorfeld der 1. Maikundgebung , was sich im Protokoll so liest: „Seine Majestät erklären sich mit dem vom Ministerium in dieser Sache eingenommenen Standpunkt allergnädigst einverstanden und sei erfreut darüber, dass mit Energie vorgegangen werden soll. … Was die Angelegenheit betrifft, heben seine Majestät allergnädigst hervor, dass die Regierung mit Entschiedenheit auftreten wird, von dem richtigen Standpunkt ausgehend, dass das Begehren auf Freigebung des 1. Mai illegal ist. Es sei notwendig, der immer steigenden, zu einem bedenklichen Maße heranwachsenden Bewegung mit Nachdruck entgegenzutreten. …“. Der kaiserliche Statthalter in Tirol berichtete nach Wien über behördliche Belehrungen und Einflussnahmen auf die Arbeiterschaft und darüber, dass er das Einvernehmen mit dem k. u. k. XIV. Corps Commando wegen Bereitschaft der Militärmacht zum Einsatz getroffen habe. 

Die „Neue Freie Presse“ veröffentlichte auf ihrer Frontseite am Abend zum 1. Mai 1890 einen Alarmartikel: „Die Soldaten sind in Bereitschaft, die Thore der Häuser werden geschlossen, in den Wohnungen wird Proviant vorbereitet wie vor eine Belagerung, die Geschäfte sind verödet, Frauen und Kinder wagen sich nicht auf die Gasse, auf allen Gemüthern lastet der Druck einer schweren Sorge. Das ist die Physiognomie unserer Stadt am Festtag der Arbeit. Diese Furcht ist beschämend, und sie wäre nie entstanden, wenn das Bürgerthum nicht tief gesunken wäre.“ Immerhin konnte die „Neue Freie Presse“ in derselben Ausgabe ihren Leserinnen und Lesern Trost mit der Mitteilung spenden, dass Kaiserin Elisabeth nach glücklich beendeter sechswöchiger Cur in Begleitung von Erzherzogin Marie Valerie aus Wiesbaden mit einem Sonderzug nach Wien abgereist sei.

Streik und Kundgebungen am 1. Mai

Überall in Österreich fanden 1890 Maikundgebungen statt, auf denen die Resolution mit dem Einverständnis angenommen wurde, „dass die Forderung eines gesetzlich festzustellenden Normalarbeitstages, der in den wirtschaftlich entwickelten Ländern schon jetzt unter Wahrung aller berechtigten Interessen der Industrie, auf acht Stunden bemessen werden kann, sowie die übrigen von dem Pariser Kongress formulierten Forderungen des nationalen und internationalen Arbeiterschutzes eine Lebensfrage für das arbeitende Volk ist“. Selbst im weit entlegenen Lavis im italienischsprachigen Tirol kam es am 1. Mai 1890 zu einem Streik der Arbeiterinnen in der dortigen Spinnfabrik, die eine Herabsetzung ihres 13-stündigen Arbeitstages forderten. Der Fabrikinhaber wurde gezwungen, noch am selben Tag die Arbeitszeit auf 12 Stunden zu verkürzen. 

Vorbild

Wien und Österreich konnten, wie in London Friedrich Engels, der an den Vorbereitungen zum Pariser Kongress selbst kräftig beteiligt gewesen war, in einem von der Arbeiter-Zeitung veröffentlichten Artikel gerne feststellte, „allen anderen ein Vorbild geben, wie ein proletarisches Klassenfest zu feiern ist“. Das war freilich 1890. Wohin die Reise in Österreich ging, zeigt sich nur 25 Jahre später. Mitten im ersten Völkergemetzel verzichteten sozialdemokratische Parteileitung und Gewerkschaftsführung auf Demonstrationszüge und Arbeitsruhe. Dennoch kam es um den 1. Mai 1915 infolge der Lebensmittelteuerung und der Einführung der Brotkarten an vielen Orten zu heftigen Demonstrationen, zumeist von Frauen, an denen sich auch Betriebsarbeiter beteiligten. Der sozialdemokratische Arbeiter und Reichsratsabgeordnete Leopold Winarsky organisierte eine Demonstration bei der Wiener Großmarkthalle mit etwa 150 Teilnehmern. Er hat in der „Volkstribüne“ in einem mutigen Artikel von seiner Partei Internationalismus und den Klassenstandpunkt eingefordert. Am 15. und 16. Mai 1915 sammelten sich 106 Delegierte zu einer an die Stelle eines Parteitages einberufenen (1.) Reichskonferenz der österreichischen Sozialdemokratie in Wien. Eine Resolution der Mehrheit billigte die Burgfriedenspolitik ihrer Partei, die von Winarsky und Friedrich Adler vorgelegte oppositionelle Resolution wurde mit 11 von 106 Stimmen abgelehnt. Dabei ist es in Österreich bis herauf in die Kriegswelt der Gegenwart geblieben.

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