Kommentar von Marie Jaeger, Mitglied des Parteivorstandes der Partei der Arbeit Österreichs
Wenn man liest, wie einige Richter das Recht auslegen, ist man schockiert. Wenngleich es ohnehin klar ist, dass wir in einer Klassenjustiz leben und dass Richterinnen und Richter nur sehr selten im Sinne der Schwächeren in unserer Gesellschaft agieren, kann das nicht verhindern, dass es immer wieder zu Kopfschütteln führt, wenn man über manche Fälle liest. Im Zusammenhang mit Übergriffen auf Frauen, Gewalt, ob sexualisiert, physisch oder psychologisch, wissen wir, dass die Frauen in der Regel alles zu verlieren haben, ihre Würde, ihre Kinder, ihr Leben. Die Täter kommen hingegen in der Regel viel zu gut weg und können weiter machen. Der Umgang mit den Opfern erfolgt über Victim Blaming, also Täter-Opfer-Umkehr, und nachdem sie ohnehin traumatisiert von den Taten sind, geht das natürlich auch besonders leicht in einer Gesellschaft, wo die Täter eben nicht der Mann in der dunklen Ecke oder irgendwelche Fremden (gerne auch als Migranten konstruiert) sind, sondern eben der Partner, der Vater, der Ex, der nette Nachbar oder Onkel. All das ist klar und kaum auszuhalten.
Ein Fall aus Deutschland weist aber aktuell wieder eine besondere Absudität auf. Ein 30-jähriger Mann [sic!] wurde in Frankfurt von dem Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Er hatte für Sex mit einem 16-Jährigen Mädchen [sic!], das eine Intelligenzminderung hat, bei ihrer 15-jährigen Mitschülerin bezahlt. Nicht er sei der Schuldige, sondern die 15-Jährige, das überrascht sogar die Bildzeitung.
Es gab einen Prozess vor dem Landgericht in Frankfurt (Hessen), in dem die Staatsanwaltschaft 4,5 Jahre Haft für den Mann gefordert hatte. Aber nach dem sechstätigen Prozess wurde der Mann, der Sex mit einem 16-Mädchen mit Intelligenzminderung gegen Bezahlung hatte, freigesprochen. Der Richter begründete dies mit seiner fachmännischen Einschätzung als Jurist, dass die 16-Jährige „es wohl als nichts Schlimmes empfunden“ habe. Ist es also okay, dass man, wenn das Opfer Taten nicht abschätzen kann – beispielsweise ein Kind – bleibt man dann schuldlos? Das stellt sich recht viel in Frage. Junge Frauen, jugendliche Frauen und Mädchen können, auch wenn sie nicht Intelligenzvermindert sind, oft nicht einschätzen, dass Dinge nicht in Ordnung sind, dass diese eigentlich Straftaten sind, dass es Grenzüberschreitungen sind und realisieren dies oft erst, wenn sie Älter werden oder mit anderen über Vorkommnisse sprechen. Denn es gibt wenig Bildung und Wissen in diesem Zusammenhang. Es ist ein Schamthema, man hat Angst als Spaßbremse, verklemmt oder ähnliches bezeichnet zu werden. Aber ist es deswegen okay und kann man einen 30-Jährigen, der mit einer 16-Jährigen, vermittelt durch einen 15-Jährigen Sex hatte, weil das Opfer es zuerst als Freundschaftsdienst einschätzte, freisprechen? Ist eine 15-Jährige schuldig, trotz des Eingeständnisses des 30-Jährigen, dass er Geld für den Sex mit einer 16-Jährigen gezahlt und diesen auch vollzogen hat, und ist er freizusprechen? Das ist fraglich. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber auch die Aussagen, dass ein „krasser Missbrauch“ durch die vermeintliche Freundin vorläge, zeigt, wie Schuld potenziell verschoben werden kann. Ein Hoch auf die Justiz, da melden sich die 16-Jährigen, denen so etwas zustößt, in Zukunft sicherlich noch lieber, denn da fühlt man sich doch gut aufgehoben und ernst genommen, wenn es so läuft. Der Kurs stimmt oder auch nicht.
In Österreich wäre dieser Fall zwar klarer, nachdem „wer mit einer Person, die noch nicht 16 ist, unter Ausnützung ihrer mangelnden Reife, oder
die noch nicht 18 ist, unter Ausnützung einer Zwangslage oder gegen Entgelt sexuelle Handlungen vornimmt oder sie zu sexuellen Handlungen verleitet, [.] mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe zu bestrafen“ ist. Aber das macht es noch nicht zu einer Insel der Glücksseligen, wo das Prinzip, das in Hessen gegriffen hat, keine Gültigkeit hätte, und es ist nicht auszuschließen, dass es eine milde Geldstrafe gäbe. Denn auch in Österreich ist der Umgang mit Gewalt gegen Frauen und Mädchen kein anderer als in Deutschland.