Ein Gastbeitrag von Dmitri Jewgenjewitsch Ljubinski, Botschafter der Russischen Föderation in Österreich
Auch im Jubiläumsjahr der Befreiung Österreichs und Europas vom Faschismus sind offizielle Vertreter Russlands nicht zu den nationalen Feierlichkeiten geladen. Um eines vorneweg klarzustellen: die russische Diplomaten in Österreich nehmen diese Tatsache mit Gelassenheit entgegen. Wir finden Wege, unseren Helden und allen Opfern gebührend zu gedenken.
Was in diesem Kontext jedoch besorgniserregend erscheint, ist der Versuch der jetzigen österreichischen Führung – wohl aus politischem Kalkül –, bestimmte Kapitel eigener Geschichte auszuklammern oder umzuschreiben.
Wie kann man etwa im Sinne der Erinnerungskultur den 80. Jahrestag der Wiedererrichtung der Republik Österreich ohne Vertreter Russlands als offiziellen Nachfolgestaat der Sowjetunion begehen? Wo doch nur der Heldenmut und der Opferwille der Soldaten der Roten Armee, die Wien am 13. April 1945 vom Faschismus befreiten, diesen denkwürdigen Tag überhaupt möglich gemacht haben?
Im Frühling 1945 war die Situation eine ganz andere: Am 15. April 1945 dankte Dr. Karl Renner der Roten Armee und Josef Stalin für die Befreiung „im persönlichen wie im Namen der Arbeiterklasse Österreichs aufrichtig und ergeben“. Die Antwort Stalins fiel nicht minder warm aus: „Sie können sicher sein, dass Ihre Sorge um die Unabhängigkeit, Einheit und das Wohlergehen Österreichs auch meine Sorge ist. Ich bin bereit, Ihnen jede Hilfe, die für Österreich notwendig sein werde, nach Kraft und Möglichkeit zu erweisen.“
Davor, noch am 4. April 1945, befiel Stalin dem Oberkommandierenden der 3. Ukrainischen Front Fjodor Tolbuchin: „Karl Renner ist Vertrauen zu erweisen. Ihm ist mitzuteilen, dass ihm die Kommandantur der Sowjetischen Streitkräfte bei der Wiederherstellung der demokratischen Ordnung in Österreich Unterstützung gewähren wird. Ihm ist mitzuteilen, dass die Sowjetischen Streitkräfte die Grenzen Österreichs nicht zwecks Besetzung des Staatsgebiets Österreichs überschritten haben, sondern um die faschistischen Besatzer aus Österreich zu vertreiben.“
Nur aus diesen wenigen Zeilen ist zu entnehmen, welche maßgebliche Rolle die Sowjetunion bei der Entstehung der Zweiten Republik gespielt hat. Doch daran will sich der heutige Bundespräsident, Dr. Alexander Van der Bellen, nicht gerne erinnern. In seiner Festrede am 27. April 2025 dankte er etwa Antonia Bruha, eine Friseurin, die Flugblätter und Zeitungen über die Grenze nach Österreich schmuggelte, oder Kaplan Heinrich Maier, einem katholischen Wiener Priester, und dem Industriellen Franz Josef Messner, Direktor der Semperit-Werke, die alle in den Jahren vor Kriegsende mit westalliierten Geheimdiensten kooperierten und dadurch wirkungsvoll Widerstand leisteten. Darüber hinaus dankte der Bundespräsident vielen weiteren Menschen, die zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zur Entstehung der Zweiten Republik leisteten. Nur entschied er sich dafür, die fast 39.000 Rotarmisten mehrerer Nationalitäten, die ihr Leben für die Freiheit Österreichs geopfert hatten, mit keinem Wort zu erwähnen.
Genauso künstlich achtsam bleibt die Rolle der Sowjetunion bei der Entstehung der Zweiten Republik im entsprechenden Geschichtsmaterial auf der Webseite des österreichischen Bundespräsidenten (https://www.bundespraesident.at/80-jahre-unabhaengigkeit) fast gänzlich ausgeblendet. Erwähnt wird lediglich, dass die Staatsregierung zunächst „einzig von der Sowjetunion anerkannt“ war.
Vergebens sucht man dort auch nach Angaben zu der Hilfe, die die barbarisch zerstörte und hungernde Sowjetunion an die junge Republik leistete. Alleine von April bis Juni 1945 hat die sowjetische Militärmacht der Stadt Wien 46.500 Tonnen Getreide, 4.000 Tonnen Fleisch, 2.700 Tonnen Zucker, 2.500 Tonnen Salz, 1.200 Tonnen Fette, 230 Tonnen Kaffee gespendet.
Dazu Renner an Stalin: „Die Staatsregierung hat allsogleich einhellig und begeistert Ihnen, werter Genosse, der Roten Armee und der Sowjetunion ihren Dank ausgesprochen. Ihre Tat wird den Österreichern unvergessen bleiben“. 80 Jahre später müssen wir mit Klarheit feststellen, dass Renner sich leider geirrt hat. Die sowjetische Spur in der Geschichte der Zweiten Republik wird in Festreden penibel ausradiert. Man erinnert sich nur vollkommen ungern daran, versucht es zu verdrängen. Eine solche Haltung der jetzigen österreichischen politischen Eliten soll auf deren Gewissen bleiben. Es gilt aber zu warnen, wie immens wichtig der sorgsame Umgang mit der eigenen Geschichte bleibt. Und wir erwarten mit großem Interesse und höchster Aufmerksamkeit die Fortsetzung der österreichischen Jubiläumsfeierlichkeiten, unter anderem zum 70. Jahrestag des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs.
Unter Historikern einer ganzen Reihe von Ländern gilt seit langer Zeit der Spruch, dass die Geschichte eine Politik ist, die in die Vergangenheit blickt. Von der jetzigen politischen Situation in Österreich absehend, möchte ich doch den jetzigen politischen Eliten noch einen Ratschlag auf dem Weg geben: seien Sie wenigstens mit der eigenen Geschichte aufrichtig. Sonst riskieren sie ihre Wiederholung als eine Farce. Weil Russland die Nation der Sieger ist und bleibt, und wir sind stolz darauf.