Mit der überraschenden Erklärung zur Selbstauflösung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nach ihrem 12. Kongress geht in der Türkei eine neue politische Phase in Gang. Die Waffen sollen endgültig schweigen, so die Botschaft – und aus zahlreichen gesellschaftlichen, akademischen und wirtschaftlichen Kreisen der Türkei kommt Beifall. Doch hinter der offiziellen Rhetorik von „Einheit“ und „Frieden“ verbirgt sich ein komplexer Klassenkonflikt, der nicht mit symbolischen Erklärungen entschärft werden kann – das stellt auch die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) klar.
Stämme begrüßen die Entwicklung – wirtschaftliche Interessen im Fokus
In kurdischen Regionen wie Van äußerten sich zahlreiche Vertreter traditioneller Stammesverbände positiv über den angekündigten Rückzug der PKK. Rasim Aslan, Vorsitzender der Föderation der alten Stämme, betonte die Hoffnung auf Investitionen, Fabriken und wirtschaftlichen Aufschwung: „In den Osten und Südosten sollen nun nicht mehr nur Gefängnisse, sondern auch Fabriken kommen.“
Auch Stammesführer Faysal Öner zeigte sich erfreut über das mögliche Ende des bewaffneten Konflikts. In seinem Appell an türkische wie kurdische Nationalistinnen und Nationalisten warnte er davor, den „Friedensprozess“ zu sabotieren. Der Tenor: Einheit innerhalb des türkischen Staates, keine Forderung nach Selbstbestimmung – dafür Ruhe, Ordnung und wirtschaftliche Perspektiven.
TKP: Keine Gleichheit ohne Sozialismus – Kritik am AKP-gelenkten Friedensdiskurs
Die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) begrüßte in ihrer Stellungnahme zwar das Ende der bewaffneten Auseinandersetzung. Doch sie warnt zugleich eindringlich vor der politischen Richtung, in die sich der Prozess unter AKP-Regie bewege, wie ihrer Stellungnahme vom 12. Mai zu entnehmen ist: „Das heutige Statement der PKK entspricht inhaltlich dem Rahmen, den bereits Bahçeli, Öcalan und AKP-Vertreter zuvor entworfen hatten. Die AKP nutzt die Lage, um ihre seit 23 Jahren verfolgte politische Linie zu legitimieren und in eine neue Phase zu überführen.“
Die TKP verweist auf eine gefährliche Täuschung: Während von „Demokratisierung“ gesprochen wird, dient der Prozess in Wirklichkeit der Vorbereitung auf eine neue Verfassungsordnung im Geiste der Marktwirtschaft und des Neuen Osmanismus. „Eine Lösung ohne Sozialismus, ohne das Ziel, den Kapitalismus zu überwinden, ist keine Lösung“, heißt es in der Erklärung. Die kurdische Frage – so die TKP – sei keine „übergeordnete nationale Frage“, sondern Ausdruck eines umfassenden sozialen und politischen Klassenproblems innerhalb der bestehenden kapitalistischen Ordnung.
Vom bewaffneten Kampf zur kapitalistischen Integration?
In der Praxis bedeutet das: Der Preis des „Friedens“ wird von der arbeitenden Bevölkerung gezahlt – egal ob kurdisch oder türkisch. Die versprochenen Investitionen dienen dem Kapital, nicht der Befreiung. Der von der AKP inszenierte Prozess schafft keinen gleichberechtigten, säkularen und sozial gerechten Staat, sondern stabilisiert die Herrschaftsverhältnisse und bereitet die AKP auf kommende Wahlen vor.
Die TKP kritisiert besonders, dass die „Demokratisierung“ nur in der Freilassung politischer Figuren bestehen soll, die zuvor jahrelang vom Staat selbst als Faustpfand zurückgehalten wurden. Solche symbolischen Schritte seien nicht mehr als politische Kosmetik – ein Manöver, um innenpolitisch Ruhe zu sichern und außenpolitisch das Image der Türkei aufzubessern. Trotz alledem unterstützt die TKP die Freilassung der politischen Häftlinge.
Auch wenn viele Stimmen aus der Region nun vom „Ende der kurdischen Frage“ sprechen, bleibt die soziale Realität unverändert: Prekäre Arbeitsverhältnisse, strukturelle Armut, kulturelle Diskriminierung und politische Repression. Ein Frieden, der auf wirtschaftlicher Vereinnahmung und nationalistischer Unterordnung basiert, kann kein echter Frieden sein.
Die TKP bringt es auf den Punkt: „Wir werden nicht zulassen, dass die Rechnung für diese politische Umstrukturierung den arbeitenden Menschen in der Türkei präsentiert wird – und dass der Preis in der Delegitimierung der Republik und des Sozialismus besteht.“