Illegale Schönheitskliniken, gefährliche Eingriffe ohne ärztliche Zulassung und eine Industrie, die mit Unsicherheit und Körperhass Milliarden verdient – der jüngste Skandal in Wien-Favoriten ist kein Einzelfall, sondern Symptom eines Systems.
Wien. In einem unscheinbaren Nagelstudio im Wiener Bezirk Favoriten flog erneut eine illegale Schönheitsklinik auf. Botox- und Fillerbehandlungen wurden dort ohne medizinische Qualifikation durchgeführt – von einer Frau, die sich gegenüber der Polizei plötzlich als Putzfrau ausgab. Erst kürzlich war ein ähnlicher Fall in Simmering aufgeflogen, mit über 500 Kundinnen und Kunden. Die Behörden warnen vor lebensgefährlichen Komplikationen. Doch während die Polizei gegen Kurpfuscherei ermittelt, bleibt die entscheidende Frage weitgehend unangetastet: Warum wächst der Markt für solche illegalen Eingriffe überhaupt?
Die Ware Körper
Der Schönheitskult ist kein Naturphänomen, sondern eine hochprofitable Industrie. Im Gegenwartskapitalismus ist der Körper längst zum Kapital geworden – ein Projekt, das ständig optimiert, perfektioniert, verschlankt, gestrafft werden muss. Wer „schön“ ist, gilt als erfolgreich, diszipliniert, begehrenswert. Wer nicht mithalten kann oder will, wird vermehrt an den Rand gedrängt: sozial, ökonomisch und psychologisch. Schönheit ist zum Wettbewerbsfaktor geworden – mit allen Mitteln.
In dieser Logik sind kosmetische Eingriffe kein Luxus mehr, sondern Investitionen: in berufliche Chancen, Dating-Erfolg, sozialen Status. Der Boom von Botox & Co. ist Ausdruck eines Schönheitsregimes, das mit kapitalistischer Effizienz die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper produziert – und gleich darauf Lösungen verkauft. Die Schönheitsindustrie lebt davon, dass wir uns hässlich fühlen.
Prekäre Schönheit, prekäre Arbeit
Doch nicht nur der Markt selbst ist problematisch – auch die Bedingungen, unter denen er funktioniert. Während Influencerinnen auf Social Media makellose Ergebnisse in Szene setzen, entstehen am anderen Ende der Skala prekäre Schattenmärkte wie jener in Favoriten oder ein Schönheitstourismus. Billige Behandlungen ziehen Menschen an, die sich reguläre Angebote nicht leisten können. Oft handelt es sich um migrantische Frauen – sowohl auf der Konsum- als auch auf der Anbieterseite –, die unter doppeltem Druck stehen: ökonomisch ausgebeutet und gleichzeitig von rassifizierten Schönheitsnormen betroffen.
Auch das Personal dieser „Kliniken“ arbeitet meist unter miserablen Bedingungen, ohne arbeitsrechtliche Absicherung, ohne Perspektive. Die angebliche Ärztin von Favoriten ist vielleicht Täterin – aber ebenso Teil eines Systems, das Menschen zur Selbstvermarktung zwingt, koste es, was es wolle. Und die Zahlen zeigen aber, das Schönheitsarbeiterinnen nicht nur im illegalen Bereich in der Regel unter prekären Bedingungen mit niedrigen Einkommen arbeiten, ob Kosmetikerin, Nagelstudio oder Friseurinnen. Gewinn machen die Konzerne die tolle Produkte verkaufen oder die Privatkliniken und ihre Chirurginnen und Chirurgen.
Die Ideologie hinter der Spritze
Was wir als „Schönheitsideal“ bezeichnen, ist kein neutraler Geschmack, sondern Ausdruck von Machtverhältnissen: Es sind meist weiße, schlanke, junge, normschöne Körper, die als erstrebenswert gelten. Und wer sich diese Norm nicht leisten kann – sei es wegen Herkunft, Alter oder Klasse –, soll zumindest daran arbeiten. Die Schönheitsindustrie moralisiert das Äußere: Schönheit wird zur Frage des Willens, nicht der Verhältnisse.
Der Kapitalismus schafft also nicht nur künstliche Bedürfnisse – er individualisiert sie auch. Anstatt gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen, wird die Verantwortung auf das Individuum abgewälzt: Wer unzufrieden ist, soll sich eben ändern. Wer leidet, soll investieren. Wer scheitert, ist selbst schuld.
Quelle: ORF