Graz will Vorreiter sein. Der Gemeinderat der steirischen Landeshauptstadt hat einstimmig beschlossen, einen Drogenkonsumraum einzurichten – eine Premiere in Österreich. Was in Deutschland und der Schweiz längst Praxis ist, soll auch hierzulande als „humaner Umgang“ mit Suchtkranken gelten: saubere Spritzen, medizinische Aufsicht, Beratung. Doch hinter dem vermeintlichen medizinisch-sozialen Fortschritt verbirgt sich ein altes Problem – jenes eines Systems, das die Ursachen von Sucht nicht bekämpft, sondern sie immer neu hervorbringt.
Zwischen Prävention und Verwaltung des Elends
Gesundheits- und Sozialstadtrat Robert Krotzer (KPÖ) betont, Ziel sei es, riskanten Konsum zu verhindern und gleichzeitig Prävention zu stärken. Niemand soll mehr in öffentlichen Toiletten oder Parks unter lebensgefährlichen Bedingungen konsumieren müssen. Das klingt fortschrittlich – und ist es im engen Sinn der Schadensbegrenzung auch.
Doch was bleibt, ist die Frage: Warum braucht es solche Räume überhaupt? Warum wächst die Zahl der Menschen, die zu Drogen greifen – nicht aus Genuss, sondern aus Verzweiflung, Überforderung, Einsamkeit?
Hier setzt die Kritik der Jugendfront der Partei der Arbeit Österreichs an. Sie erinnert daran, dass Sucht kein isoliertes Phänomen individueller Schwäche ist, sondern ein gesellschaftliches Symptom. Der Drogenkonsum, so die Jugendfront, sei eng mit Ausbeutung, Leistungsdruck und Perspektivlosigkeit in der kapitalistischen Gesellschaft verbunden.
Die Droge als Ersatz für Hoffnung
Jugendliche, die ständig auf Leistung getrimmt werden; Arbeiterinnen und Arbeiter, die nach zehn Stunden Schicht zum Aufputscher oder Beruhigungsmittel greifen – das sind keine Randfiguren, sondern die alltäglichen Gesichter eines Systems, das Menschen verbraucht. Drogen erscheinen in diesem Kontext nicht als Rebellion, sondern als Betäubung: Sie versprechen kurzzeitig Ruhe und Stabilität, während sie in Wahrheit das Leid verlängern.
Die Jugendfront spricht offen aus, was viele Sozialberichte nur andeuten: Der Drogenkonsum „täuscht vor, einen individuellen Ausweg zu bieten, hält aber davon ab, die gesellschaftlichen Ursachen des Elends zu erkennen“. In anderen Worten: Wer mit Opiaten, Alkohol oder Ritalin die Symptome bekämpft, hat keine Kraft mehr, das System zu hinterfragen, das diese Zustände hervorbringt.
Saubere Spritzen, schmutzige Verhältnisse
Dass ein Drogenkonsumraum in Graz künftig Infektionen verhindern und kurzfristig Leben retten könnte, steht außer Zweifel. Doch während die öffentliche Hand sterile Nadeln verteilt, bleibt der soziale Schmutz unangetastet – Armut, Prekarität, Perspektivlosigkeit. Den langsamen Tod in Folge der Sucht greift es erst gar nicht an, stattdessen wird Drogenkonsum normalisiert.
Die Erfahrungen aus Deutschland und der Schweiz zeigen: Zwar verbessert sich der Gesundheitszustand vieler Konsumentinnen und Konsumenten, doch die „offene Drogenszene“ verschwindet nicht. Sie wird nur an einen neuen Ort verlagert – in saubere, staatlich verwaltete Räume. Der Schmerz, die Isolation, die strukturelle Gewalt bleiben.
Es ist bezeichnend, dass Österreich ein solches Projekt nur mit Bundesgesetzänderung umsetzen kann. Das zeigt, wie sehr Drogenpolitik in Österreich noch immer zwischen Repression und Paternalismus pendelt: Einerseits kriminalisiert das Suchtmittelgesetz weiterhin Konsumentinnen und Konsumenten, andererseits wird das Elend verwaltet – hygienisch, kontrolliert, unsichtbar.
Der Kapitalismus braucht den Rausch
Die Jugendfront der PdA geht weiter: Sie sieht im Drogenkonsum eine systemstabilisierende Funktion. In einer Welt, in der Profit über allem steht, brauche es „lächelnde Sklaven“ – Menschen, die trotz Stress, Schulden und Sinnleere weiter funktionieren. Ob durch legale Drogen wie Alkohol und Antidepressiva oder illegale wie Heroin und Kokain: der Rausch hält das Räderwerk am Laufen.
Die „Rat Park“-Studie, die die Jugendfront zitiert, liefert ein eindrucksvolles Bild: Ratten, die in Isolation leben, greifen zu Morphin; jene, die in einem sozialen, sicheren Umfeld leben, nicht. Übertragen auf den Menschen: Wer in einer solidarischen, angstfreien Gesellschaft lebt, braucht keine Drogen, um den Alltag zu überstehen.
Kommunistische Politik müsste anders aussehen
Eine kommunistische Drogenpolitik darf sich nicht damit begnügen, Elend zu verwalten. Sie müsste die gesellschaftlichen Ursachen angehen – Armut, Konkurrenz, Vereinzelung. Ein Konsumraum kann kurzfristig Leben retten, ja. Aber er ändert nichts daran, dass diese Leben in einem System gefangen sind, das sie an den Rand drängt und die Süchtigen langsam an ihrer Sucht zu Grunde gehen.
Die KPÖ in Graz mag aus Mitgefühl handeln. Doch solange sich die Auseinandersetzung auf die Frage der „Sauberkeit“ beschränkt, bleibt die politische Dimension der Sucht unsichtbar.
Wie viele Menschen werden in den nächsten Jahren an Überdosen sterben, weil sie keine Wohnung, keine Arbeit, keine Hoffnung haben – aber einen „sicheren Platz zum Spritzen“?
Zwischen Reform und Revolte
Der Grazer Drogenkonsumraum ist ein scheinbarer Fortschritt im medizinischen Sinn – aber er ist auch ein Spiegel einer Gesellschaft, die gelernt hat, Symptome zu managen, statt Ursachen zu beseitigen.
Eine echte Wende in der Drogenpolitik hieße, die Frage zu stellen, warum so viele Menschen in einer vermeintlich reichen Gesellschaft überhaupt Zuflucht im Rausch suchen. Solange diese Frage nicht gestellt wird, bleibt der Drogenkonsumraum ein Symbol für das Paradox des modernen Kapitalismus: Er bietet Hilfe, wo das System selbst die Krankheit verursacht.
„Unser Gegner ist der Kapitalismus“, heißt es in der Erklärung der Jugendfront. „Denn alltägliche Ausbeutung und Perspektivlosigkeit erzeugen überhaupt erst ein Bedürfnis und damit einen Markt für Drogen.“
In diesem Sinn ist der Drogenkonsumraum nicht das Ende eines Problems, sondern sein sichtbarer Ausdruck.
Er zeigt: Wir leben in einer Gesellschaft, die Menschen lieber einen Raum zum Konsum gibt, als ihnen eine Perspektive zum Leben.
Quelle: ORF/Jugenfront




















































































