Friedrich Engels (1820–1895), gemeinsam mit Karl Marx Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, hat sich in Artikeln und Korrespondenzen mehrmals zu den Kundgebungen und Feiern zum 1. Mai sowie ihrer Bedeutung geäußert. Wir bringen eine kleine Auswahl.
„Die Maifeier [1890] des Proletariats war epochemachend nicht nur durch ihre Allgemeinheit, die sie zur ersten internationalen Tat der kämpfenden Arbeiterklasse machte. Sie hat auch dazu gedient, höchst erfreuliche Fortschritte in den einzelnen Ländern zu konstatieren. Feind und Freund sind einig darüber, dass auf dem ganzen Festland Österreich, und in Österreich Wien, den Festtag des Proletariats am glänzendsten und würdigsten begangen und die österreichische, voran die Wiener Arbeiterschaft sich damit eine ganz andere Stellung in der Bewegung erobert hat. Vor einigen Jahren noch war die österreichische Bewegung fast auf den Nullpunkt gesunken, waren die Arbeiter der deutschen und slawischen Kronländer in feindliche Parteien gespalten, ihre Kräfte aufreibend in innerem Kampf; wer noch vor nur drei Jahren behauptet hätte, am 1. Mai 1890 würde Wien und ganz Österreich allen anderen ein Vorbild geben, wie ein proletarisches Klassenfest zu feiern ist, den hätte man ausgelacht. Diese Tatsache werden wir guttun, nicht zu vergessen, wenn wir die Zwistigkeiten der inneren Kämpfe beurteilen, in denen die Arbeiter anderer Länder ihre Kräfte noch heute verzehren, wie z.B. in Frankreich. Wer will behaupten, dass Paris nicht wird tun können, was Wien getan hat?“ – (Der 4. Mai in London, MEW 22, S. 60/Arbeiter-Zeitung, 23. Mai 1890)
„Ich bin aufgefordert worden, an die österreichischen Genossen ein paar Worte in ihrer Maifestzeitung [1893] zu richten. Was kann ich ihnen sagen? Wie man einen ersten Mai feiern muss, das wissen sie besser als ich. Das haben sie von Anfang an bewiesen. Von 1890 an haben die österreichischen Arbeiter ihren Brüdern in allen anderen Ländern Jahr für Jahr gezeigt, was eine richtige Maifeier im Sinne des Proletariats ist. Nirgendwo hat man es ihnen gleichmachen oder nur nachmachen können. In der Tat hat die Feier des ersten Mai in Österreich eine weit größere Bedeutung als anderswo. […] Und darum haben die österreichischen Arbeiter recht und immer recht, wenn sie unter allen Umständen auf ihrer streng durchgeführten Maifeier bestehen. Für die Arbeiter anderer Länder ist diese Feier eine vorwiegend internationale Angelegenheit; es kann daher vorkommen, dass sie wegen eigentümlicher inländischer Umstände in die zweite Linie zurücktreten muss. Für die Österreicher ist sie nicht nur eine internationale, sondern auch, und vielleicht vorwiegend, eine inländische Angelegenheit, und darum steht sie bei ihnen unbedingt und immer in erster Linie. – Möge sie auch dies Jahr so brillant verlaufen wie bisher.“ – (Den österreichischen Arbeitern zum 1. Mai 1893, MEW 22, S. 402/Maifestschrift der Arbeiter-Zeitung, 1. Mai 1893)
„Karl Marx traf damals [1848] in Wien mit dem Prager Buchhändler Borrosch zusammen, dem Führer der deutsch-böhmischen Fraktion in der österreichischen Nationalversammlung. Borrosch klagte sehr über den Nationalitätenhader in Böhmen und die angeblichen fanatischen Anfeindungen der Deutsch-Böhmen durch die Tschechen. Marx frug ihn, wie es da mit den böhmischen Arbeitern stünde. ‚Ja‘, antwortete Borrosch, ‚das ist ganz eine eigne Sache; sowie die Arbeiter in die Bewegung eintreten, da hört das auf; da ist keine Rede mehr von Tschechen oder Deutschen, die halten alle zusammen.‘ – Was die böhmischen Arbeiter beider Nationalitäten damals nur fühlten, das wissen sie heute: dass der ganze Nationalitätenhader nur möglich ist unter der Herrschaft der großen grundbesitzenden Feudalherren und der Kapitalisten; dass er nur dazu dient, diese Herrschaft zu verewigen; dass tschechische und deutsche Arbeiter dieselben gemeinsamen Interessen haben und dass, sobald die Arbeiterklasse zur politischen Herrschaft kommt, aller Vorwand zu nationalem Zwist beseitigt ist. Denn die Arbeiterklasse ist international ihrer innersten Natur nach, und das wird sie aufs Neue beweisen an diesem ersten Mai.“ – (Den tschechischen Genossen zu ihrer Maifeier, MEW 22, S. 402)
„Der 1. Mai bedeutet eine eindeutige und klare Situation, zwei sich deutlich unterscheidende und einander schroff entgegengesetzte Lager: auf der einen Seite das internationale Proletariat, das unter der roten Fahne der universellen Befreiung dem Siege entgegenschreitet, auf der anderen die besitzenden und reaktionären Klassen aller Länder, die sich zur Verteidigung ihrer Ausbeuterprivilegien vereinigt haben. Der Kampf ist entbrannt, die rote Fahne ist entfaltet, der Sieg ist gewiss – vorwärts!“ – (Den spanischen Arbeitern zum 1. Mai 1893, MEW 22, S. 405–406)
Quelle: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke (MEW), Band 22