HomeFeuilletonGeschichteKim Philby, Kundschafter der UdSSR in London

Kim Philby, Kundschafter der UdSSR in London

Vor 110 Jahren wurde Kim Philby geboren. Er war einer der berühmtesten Kundschafter des Friedens während des Zweiten Weltkrieges und späteren Generationen sowohl in der UdSSR als auch in anderen sozialistischen Ländern ein großes Vorbild an Intelligenz und Standhaftigkeit.

Am 1. Jänner 1912 wurde Harold Adrian Russell „Kim“ Philby als Sohn des britischen Diplomaten und Arabisten Harry St. John Philby in Ambala in Indien geboren.

Der junge Philby studierte in Cambridge und schloss Bekanntschaft mit britischen Sozialisten. Später in seinem Leben erzählte er: „Als 19-jähriger Student habe ich versucht, meine Richtung zu finden. Ich habe mich umgesehen und bin zu einem einfachen Schluss gekommen. Den Reichen ging es schon zu lange zu gut und den Armen schon zu lange schlecht. Es war an der Zeit, dass sich die Verhältnisse umkehrten.” Dieses Streben nach Gleichheit führte dazu, dass er sich in die Dienste der UdSSR stellte. 1933 wurde er in Wien vom sowjetischen Geheimdienstagenten Arnold Deutsch angeworben. 

Die Zeit in Wien

Im Hause Latschkagasse Nr. 9 in Wien-Alsergrund wohnte Anfang der 1930er Jahre Lizzy Kohlmann. Sie war überzeugte Kommunistin und arbeitete im Untergrund gegen das austrofaschistische Dollfuß-Regime. Sie nahm in ihrer Wohnung verfolgte Freunde auf und stellte ihre Räumlichkeiten auch für Parteisitzungen der illegalen KPÖ zur Verfügung. Und in diesem Hause hatte sich gleich nach seiner Ankunft im Herbst 1933 ein 22-jähriger britischer Student aus Cambridge namens Kim Philby einquartiert. Sie heirateten im Februar 1934 und zwei Monate später übersiedelten sie über Paris nach London.

Kim Philby war nicht der einzige Student aus England, der seine Semesterferien auf dem Kontinent verbrachte – das taten viele Studierende der britischen Eliteuniversitäten. Doch Kim Philby kam aus politischen Gründen. Früher war er Labour-Anhänger gewesen, aber nachdem die regierende Labour Party 1931 eine Koalition mit den Konservativen und Liberalen einging und die rund drei Millionen Arbeitslosen ihrem Elend überließ, wandte er sich wie so viele seiner Kommilitonen enttäuscht von ihr ab. Kim Philby wurde Kommunist und blieb es sein Leben lang.

Retter von Schutzbündlern

Im Juni 1933 hatte Philby sein Abschlussexamen in Wirtschaftswissenschaften in Cambridge abgelegt, im Herbst war er bereits in Wien, um als Kurier die Verbindung zwischen den verfolgten Kommunisten und Sympathisanten in Ungarn, der Tschechoslowakei und Frankreich aufrecht zu erhalten. Doch dann kam es zu den Februarkämpfen 1934: Die Arbeiterschaft griff zu den Waffen, wurde aber von der SP-Führung schmählich verraten. Es folgte die Niederschlagung des Aufstands durch Polizei, Militär und Heimwehr.

Philby bewies viel Mut, als er einer Gruppe bedrängter kommunistischer Arbeiter half, sich in einem Abwasserkanal zu verstecken. Die Männer brauchten unauffällige Kleidung, da sie an ihren zerlumpten Uniformen leicht als Schutzbündler zu erkennen waren. Philby suchte den Wiener Korrespondenten des Daily Telegraph in seiner Wohnung auf, sah in den Kleiderschrank und bat um dessen sieben Anzüge für seine bedrohten Freunde im Kanal. Der Korrespondent war einverstanden und Philby konnte die Männer in ein sicheres Versteck und schließlich über die tschechoslowakische Grenze bringen.

Kim Philby half auch mit, andere polizeilich gesuchte Sozialisten und Kommunisten aus dem Land zu schmuggeln. Sein britischer Pass erleichterte ihm dabei die Organisation der Fluchtwege.

Ein geheimer Krieg während des Krieges 

Der Kommunist Arnold Deutsch überzeugte Philby, dass er als Spion innerhalb der britischen Spionageabwehr weit mehr für die Sache des Kommunismus tun könne als der leidenschaftlichste Sozialist. Ab den 1930er Jahren hielt Philby mit seinen wahren politischen Ansichten hinter dem Berg. Er berichtete als Korrespondent der Londoner Times aus dem faschistischen Spanien und lobte öffentlich General Franco. Der britische Auslandsgeheimdienst SIS – landläufig bekannt als MI6 – wurde auf ihn aufmerksam und bot ihm eine Stelle an. Philby akzeptierte. 

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 wurde Philby ein unverzichtbarer Informant für die sowjetischen Sonderdienste. Der britische Geheimdienst hatte die Enigma-Codes der Deutschen erfolgreich entschlüsselt und konnte alle ihre Telegramme mitlesen. 

Während Winston Churchill es nicht eilig hatte, diese Informationen mit den sowjetischen Verbündeten zu teilen, schickte Philby alles, was auf seinem Schreibtisch landete, umgehend nach Moskau. 

„Sie alle kennen womöglich die Geschichten von der sagenumwobenen Effizienz und Gefährlichkeit des SIS. Doch, ehrlich gesagt, zu Kriegszeiten war davon nicht viel zu merken”, erzählte Philby 1981 auf einem Seminar für DDR-Geheimdienstoffiziere. 

Jeden Tag verließ er sein Büro mit einer Aktentasche voller geheimer Dokumente. Sein Kontaktmann fotografierte sie und leitete sie nach Moskau weiter. Am nächsten Tag legte Philby die Originalpapiere zurück an Ort und Stelle. 

Philby war besonders stolz auf seine Tätigkeiten im Zusammenhang mit der kriegsentscheidenden Panzerschlacht von Kursk im Jahr 1943. Er war es, der die UdSSR mit den entscheidenden Informationen versorgt hatte, so dass diese genau wusste, wo die Nazis ihren vernichtenden Schlag geplant hatten: In der Nähe des Dorfes Prochorowka. In einer heftigen Panzerschlacht besiegten die Sowjets die Deutschen und leiteten damit die Wende im Zweiten Weltkrieg ein. Von da an ging es für die deutschen Truppen zurück.

Sowjetische Truppen und T‑34-Panzer beim Angriff in der Schlacht von Kursk.
(Foto: Mil​.ru, CC BY 4.0 https://​creativecommons​.org/​l​i​c​e​n​s​e​s​/​b​y​/4.0, via Wikimedia Commons)

Ab 1944 wurde Kim Philby mit der Leitung der SIS-Sektion IX betraut, die antisowjetische Operationen verantwortete. Sein Vorgesetzter war Intrigen zum Opfer gefallen. Auch in der neuen Position versorgte Philby Moskau mit Informationen. Doch er verwischte stets seine Spuren, und zwar so geschickt, dass König George VI. ihm 1946 den Orden des britischen Empires verlieh. 

Unter Verdacht 

1951 zogen dunkle Wolken über Philby auf. Zwei sowjetischen Spionen, die Philby für den MI6 angeworben hatte, war die Flucht nach Moskau gelungen: Donald Maclean und Guy Burgess. Maclean war kurz vor der Entdeckung. Burgess hatte seine Flucht organisiert. Er selbst floh ohne Absprache und brachte Philby damit in arge Bedrängnis. Der SIS war sich bewusst, dass Philby und Burgess einander kannten und vermutete eine Beteiligung Philbys.

Sie verhörten ihn wochenlang, Tag für Tag, doch wieder zeigte Philby Nervenstärke. Er verstrickte sich nicht in Widersprüche. Beweise, dass er für die UdSSR arbeitete, wurden nicht gefunden. Er verlor zwar seinen Posten als Abteilungsleiter, wurde aber ansonsten in Ruhe gelassen. Der Außenminister persönlich sprach ihn von allen Verdachtsmomenten frei. 

Flucht nach Moskau 

In den Jahren 1956 bis 1963 arbeitete Philby im Nahen Osten. Angeblich als Journalist, aber in Wirklichkeit als SIS-Agent (und natürlich auch als Kundschafter für die UdSSR). Über diese Zeit seines Lebens ist nicht viel bekannt. 1963 wurde er endgültig durch die Aussagen von sowjetischen Überläufern und einer alten Freundin, die Philbys kommunistische Gesinnung verraten hatte, entlarvt.

Das Angebot, Immunität zu bekommen, „hing davon ab, dass ich alles erzählte, was ich über den KGB wusste, und Namen in Großbritannien nannte”, erinnerte sich Philby später. Doch er schwieg weiter. Die Sowjets ermöglichten ihm die Flucht von Beirut nach Moskau.

In der UdSSR führte Philby ein ruhiges Leben. Er versorgte den Geheimdienst mit allen Informationen, die er noch hatte, und hielt gelegentlich Vorträge für Geheimdienstoffiziere. Er lebte in einer Wohnung in der Moskauer Innenstadt und war mit einer 20 Jahre jüngeren Moskowiterin verheiratet. In den wenigen Interviews, die er gegeben hat, betonte er, nichts zu bereuen und sprach von der UdSSR als „wir“. Er gab aber zu, Großbritannien ein wenig zu vermissen.

Kim Philby starb am 11. Mai 1988 in Moskau und wurde mit militärischen Ehren beigesetzt. 

Geheimdienstoffiziere vermuten, dass Philby noch an viel mehr verdeckten Aktionen beteiligt war, als bekannt ist. Diese Aktionen könnten für immer geheim bleiben. 

Von der Sowjetunion erhielt er höchste Auszeichnungen, darunter den Lenin-Orden, den Orden des Roten Banners und den Orden des Vaterländischen Krieges. Er war einer der berühmtesten Kundschafter des Friedens und späteren Generationen sowohl in der UdSSR als auch in anderen sozialistischen Ländern ein großes Vorbild an Intelligenz und Standhaftigkeit.

Quellen: rbth/oe1​.orf​.at

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