HomeFeuilletonGeschichteVor 50 Jahren: Allende siegt bei Präsidentschaftswahl in Chile

Vor 50 Jahren: Allende siegt bei Präsidentschaftswahl in Chile

Am 4. September 1970 gewann Salvador Allende als Kandidat der „Unidad Popular“ die chilenische Präsidentschaftswahl. Es folgte er Versuch einer antiimperialistischen und antioligarchischen Umwälzung mit Zielsetzung Sozialismus – er scheiterte.

Santiago de Chile. Bei der Präsidentschaftswahl in Chile am 4. September 1970 ging der Sozialist Salvador Allende Gossens als Kandidat des Volksfrontbündnisses „Unidad Popular“ (UP, „Volkseinheit“) ins Rennen. Die UP war am 17. Dezember des Vorjahres gegründet worden und bedeutete im Kern die Einheit der (im eigentlichen Wortsinn) Sozialistischen und Kommunistischen Partei Chiles. Ebenfalls integriert war die Radikale Partei, allerdings unter Abspaltung des rechten Flügels. Darüber hinaus wurde die UP von der kleineren Sozialdemokratischen Partei, den beiden christdemokratischen Abspaltungen „Movimiento de Acción Popular Unitario“ (MAPU, „Bewegung der einheitlichen Volksaktion“) und „Izquierda Cristiana“ (IC, „Christliche Linke“, ab 1971) sowie nicht zuletzt vom Gewerkschaftsverband „Central Única de Trabajadores“ (CUT, „Einheitliche Zentrale der Arbeiter“) unterstützt. 

Wahlsieg mit relativer Mehrheit

Tatsächlich ging Allende, bei seiner vierten Kandidatur, bei der Präsidentschaftswahl am 7. September 1970 als Sieger hervor. Dieser Sieg brachte der UP jedoch noch keineswegs die politische Hegemonie, denn nur eine relative Mehrheit von 36,6 Prozent der Stimmen entfiel auf Allende. Seine Konkurrenten, der rechtskonservative Jorge Alessandri und der Christdemokrat Radomiro Tomic, erhielten 35,3 Prozent beziehungsweise 28,1 Prozent. In einem solchen (übrigens keineswegs seltenen) Fall sah die chilenische Verfassung vor, dass das Parlament, in dem die UP keine Mehrheit hatte, den Präsidenten zu bestimmen hatte – unumstrittener politischer Usus war es bis dato gewesen, dass der Kandidat mit der relativen Mehrheit von allen Mandatsträgern bestätigt werden sollte. Während die rechten und konservativen Abgeordneten dieses Vorgehen diesmal nicht akzeptieren wollten, fügten sich die Christdemokraten letztlich dem demokratischen Konsens und wählten, gemeinsam mit den UP-Abgeordneten, Allende zum ersten sozialistischen Präsidenten Chiles. Dieser musste jedoch als Bedingung zehn „verfassungsrechtliche Garantien“ unterschreiben, die von den Christdemokraten gefordert wurden.

„Etappentheorie“ in der Praxis

Allende war nicht nur der erste sozialistische Präsident Chiles, sondern auch der erste Präsident der Welt, der als erklärter Marxist in einem kapitalistischen Land aus bürgerlich-demokratischen Wahlen als Sieger hervorgehen konnte. Und das Programm der UP war tatsächlich auf marxistischer Grundlage auf die sozialistische Revolution ausgerichtet. Nicht richtig ist, dass die bloße „Revolution mit dem Stimmzettel“ vorgesehen war, denn so naiv war man auch nicht in der SP, geschweige denn in der KP. Vielmehr muss man den revolutionären Prozess, der 1970 in Chile initiiert wurde, in diesem Moment als eine antiimperialistische und antioligarchische Umwälzung sehen, die zunächst gegen den nordamerikanischen und westeuropäischen Imperialismus, gegen die einheimische Bourgeoisie und Landoligarchie gerichtet war. Auf diese Weise sollten die politische Hegemonie und die ökonomische Verfügungsgewalt über die wichtigsten Produktionsmittel zuungunsten des Monopolkapitals grundlegend verändert werden, auf dass die Bedingungen des Kampfes um den Sozialismus optimiert werden. Auf dieser Basis wiederum waren Sozialreformen möglich, die der eigentumslosen Bevölkerung zugutekamen, was auch die gesellschaftliche Hegemonie zugunsten des revolutionären Projekts beeinflusste.

Konflikt mit Oligarchie und Monopolen

Äußerer Ausdruck dessen waren die Tatsachen, dass die UP bei den Kommunalwahlen 1971 sogar 49,7 Prozent der Stimmen erreichte, bei der Parlamentswahl im März 1973 beachtliche 43,9 Prozent. Die UP und ihre Parteien hatten sich für die arbeitenden (und arbeitslosen) Massen Chiles als nützliche Kräfte zur vorläufigen Lösung vieler Probleme des täglichen Lebens erwiesen, aber auch als diejenigen Kräfte, die gewillt waren, die Probleme nachhaltig mittels eines nichtkapitalistischen, sozialistischen Entwicklungsweges zu lösen. Damit war die UP-Regierung unter Allende aber auch zu einer sehr ernsthaften Gefahr für die chilenische Bourgeoisie und den Großgrundbesitz, ebenso für das nordamerikanische und westeuropäische Monopolkapital geworden. Das Programm der UP sah eine tiefgehende Landreform auf Kosten des oligarchischen Großgrundbesitzes vor, bereits 1970 wurden der Kohlebergbau und die Textilindustrie verstaatlicht, 1971 der Kupferbergbau und die Banken. Damit waren die Interessen der bis dahin dominierenden US-amerikanischen sowie einiger westeuropäischer Konzernen und Großbanken massiv gestört. Die kapitalistische „Freiheit“ der ungehinderten Profitmaximierung und Ausbeutung war ansatzweise durchbrochen.

Konterrevolutionäre Kampagnen

Daher setzten vor allem die USA zunächst auf eine Destabilisierungsstrategie. In ihrem Auftrag wurde der regierungstreue Oberbefehlshaber der chilenischen Armee, René Schneider, von der faschistischen Gruppierung „Patria y Libertad“ im Oktober 1970 entführt und ermordet. Daneben setzte der US-Imperialismus auf die Propagandaschiene und nutzte die privaten Medienkonzerne kräftig zu Verleumdungskampagnen gegen die Regierung der UP. Die finanzielle Unterstützung rechter und konterrevolutionärer Gruppen, die für Terror und Sabotage sorgen sollten, blieb natürlich auch nicht aus. Ab 1971 wurde seitens der USA und 14 weiterer imperialistischer Staaten damit begonnen, Chile ökonomisch zu erdrosseln, was über wirtschaftliche Boykottmaßnahmen geschehen sollte. Am 29. Juni 1973 kam es zu einem ersten Putschversuch, der aber nur von einem kleinen Teil der Armee getragen wurde und daher niedergeschlagen werden konnte. Ein Resultat dieses Putschversuches war jedoch auch, dass im August desselben Jahres Augusto Pinochet, als vermeintlich regierungstreuer General, neuer Oberbefehlshaber der chilenischen Armee wurde.

Militärputsch statt Volksabstimmung

Bei der Parlamentswahl im März 1973 konnte die UP ihren Stimmenanteil auf knapp 44 Prozent erhöhen, verfehlte aber die absolute Mandatsmehrheit. Da inzwischen auch die Christdemokraten zur konterrevolutionären Rechten übergelaufen waren, gab es im Parlament ein Misstrauensvotum gegen Allende, das die erforderliche Zweidrittelmehrheit aber natürlich nicht erreichte. Angesichts der angespannten politischen Situation und der schwierigen ökonomischen Lage plante Allende eine Volksbefragung über seinen Verbleib als Präsident. Eine große Zustimmung wäre Allende wohl sicher gewesen, daher kam es nicht mehr zu diesem Plebiszit, das für Herbst 1973 vorgesehen war. Stattdessen kam der 11. September 1973. An diesem Tag kam es zum zweiten Putschversuch, diesmal nicht mehr von einem kleinen Teil der Armee, sondern getragen vom neuen Oberkommandierenden, General Pinochet, unterstützt und geplant seitens des US-amerikanischen Außenministeriums und des Geheimdienstes CIA.

Kampf und Tod am Amtssitz

In den Morgenstunden begann der Putsch durch die Marine in Valparaíso, Allendes Heimatstadt. Der Präsident und die Regierung begaben sich in Santiago in die „Moneda“, den Amtssitz des Präsidenten, ausgenommen Verteidigungsminister Letelier, der bereits von den Putschisten festgenommen worden war. Jede Kontaktaufnahme seitens Allendes mit Pinochet scheiterte, wobei Allende diesen zunächst auf seiner Seite wähnte – erst im Laufe des Vormittages gab sich Pinochet als Putschist zu erkennen. Allende wandte sich über den Radiosender „Magellan“ ein letztes Mal an die Bevölkerung Chiles. Gegen Mittag begann die Luftwaffe mit der Bombardierung der Moneda, regierungstreuer Medieneinrichtungen und einzelner Arbeiterviertel Santiagos, die fast ausschließlich von Anhängern Allendes bewohnt waren. Etwa um 14 Uhr begann die Armee mit der Erstürmung des Präsidentensitzes, Allende verweigerte die Kapitulation. Nach erbittertem Widerstand wurde die Moneda durch putschistische Soldaten eingenommen, der Präsident Salvador Allende starb in diesen Kämpfen mit der Waffe in der Hand. Das nachfolgende Diktaturregime behauptete einen Suizid, tatsächlich ist aber nicht anzunehmen, dass sich Allende mit derartig vielen Kugeln selbst durchsieben konnte. 

Faschistische Pinochet-Diktatur

Die neuen Machthaber zeichneten sich vor allem innerhalb des ersten Jahres nach dem konterrevolutionären Putsch durch besondere Grausamkeit aus. Tausende Menschen wurden ermordet, verschleppt und gefoltert, in Stadien und großen Hallen wurden regelrechte Konzentrationslager errichtet. In weiterer Folge ging das Diktaturregime Pinochets, das sofort von den USA anerkannt wurde, dann systematisch daran, jede Opposition in Chile auszuschalten, aber auch, wiederum mit Hilfe der CIA, chilenische Oppositionelle im Ausland zu ermorden. Die Diktatur, die nach marxistisch-leninistischer Auffassung als eine faschistische des autoritär-faschistischen Typs einzustufen ist, dauerte bis 1990. In diesen Jahren wurde nicht nur die politische Linke, vor allem die revolutionäre, marxistische, zerstört, sondern das Land auch zum Exerzierfeld des „neoliberalen“ Imperialismusmodells. Das Monopolkapital in Nordamerika und Westeuropa konnte aufatmen. Es ist kein Zufall, dass die Diktatur 17 Jahre aufrechterhalten und auch von außen massiv unterstützt wurde, bis aufgrund der Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und Europa die Gefahr durch die Wiedererrichtung der demokratischen Republik in Chile seitens des Imperialismus als gering eingeschätzt wurde.

Strategische Fragestellungen in Diskussion

Die grundsätzliche Einschätzung der UP-Orientierung und ‑Politik führte und führt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die einen ziehen aus dem Scheitern des chilenischen Weges zum Sozialismus den generellen Schluss, jede antimonopolistische Strategie zu verwerfen. Feststehen dürfte jedenfalls, dass jedes Verlassen auf die Institutionen und Regeln der bürgerlichen Demokratie seitens der revolutionären Bewegung unangebracht ist, denn es ist, wie Marx und Engels schon feststellten: Dieser Weg zum Sozialismus, unter Ausnutzung der bürgerlichen Demokratie, ist zwar denkbar, aber real limitiert, denn es wird früher oder später – im chilenischen Fall recht früh – die konterrevolutionäre Bourgeoisie sein, die sich nicht mehr an die eigenen Gesetze hält und auf Staatsstreich, Bürgerkrieg, Terror und Diktatur setzt. Insofern ist klar, dass jede Volksfrontregierung selbst in die Offensive gehen und auf die Verteidigungskräfte des Volkes setzen müsste, um die kapitalistische Herrschaft endgültig zu brechen und zu überwinden: Das geht nur auf dem Wege des konsequenten Klassenkampfes, der sozialistischen Revolution und der vollständigen Machtübernahme durch die als herrschende Klasse organisierte Arbeiterklasse. Wer davor zurückschreckt, wird unweigerlich eine Niederlage erleiden.

Quelle: kominform.at-Archiv

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