HomeFeuilletonKulturKarl Merkatz 1930-2022

Karl Merkatz 1930–2022

Am Sonntagmorgen verstarb der Schauspieler Karl Merkatz im Alter von 92 Jahren. Seine Bekanntheit verdankte er v.a. der Darstellung zweier Wiener Proleten: Mundl Sackbauer und Karl Bockerer.

Salzburg/Wien. Am 4. Dezember verstarb der österreichische Schauspieler Karl Merkatz in der Nähe von Salzburg. In ersten Nachrufen wird er als „Volksschauspieler“ und „Publikumsliebling“ tituliert, doch taugt beides nicht, um sein Schaffen ganzheitlich zu würdigen.

Geboren wurde Karl Merkatz am 17. November 1930 in Wiener Neustadt. Einer Arbeiterfamilie entstammend, war ihm die Schauspielerei nicht gerade „in die Wiege gelegt“. Und so verfügte er über eine abgeschlossene Tischlerlehre, quasi als berufliche Sicherheit und Plan B von den Eltern eingefordert. Doch diese Alternative wurde nicht schlagend.

Merkatz nahm Schauspielunterricht in Zürich, Wien und Salzburg, 1955 schloss er mit Auszeichnung ab. Allein die folgende Theaterkarriere, die freilich nicht der Masse der TV-Konsumenten geläufig ist, wäre bereits bemerkenswert: Merkatz spielte über 150 Rollen auf fast allen namhaften Bühnen des deutschen Sprachraums, Shakespeare, Grillparzer, Beckett und in Wien natürlich Raimund und Nestroy, Tragödie wie Komödie, selbst Musical. Erst 2009 erfolgte der Abschied von den Theaterbrettern, als Tevje in „Anatevka“.

Seine große Bekanntheit und Beliebtheit verdankte Merkatz aber dutzenden Kino- und Fernsehproduktionen. Er arbeitete mit bedeutenden österreichischen Regisseuren wie Axel Corti, Peter Patzak, Xaver Schwarzenberger oder Robert Dornhelm. Für seine „Paraderolle“ auf der großen Leinwand sorgte mit Franz Antel jedoch ausgerechnet ein Regisseur, der ansonsten nicht immer stilsicher war. 1981 erschien der Film „Der Bockerer“, nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Ulrich Becher und Peter Preses, dessen Inszenierung 1948 in Österreich zunächst nur am „Kommunistentheater“ Scala möglich gewesen war.

H. C. Artmann fügte zusätzliche Szenen für das Drehbuch hinzu, das Antel in einem lichten Moment umsetzte. Merkatz spielte den eher simpel gestrickten, unpolitischen Fleischhauer Karl Bockerer, der sich 1938 bis 1945 im von den Nazis beherrschten Wien nicht zurechtfindet. Naivität, aber auch Gutmütigkeit und Gerechtigkeitsempfinden bringen ihn in Konflikt mit den faschistischen Behörden. Er ist kein Widerstandskämpfer, aber die erzwungene Emigration seines jüdischen Tarockpartners, die Ermordung eines kommunistischen Freundes im KZ, die SA-Mitgliedschaft seines Sohnes sowie dessen schließlicher Tod in Stalingrad transformieren die bockige Aufmüpfigkeit in Ablehnung des deutsch-faschistischen Regimes.

Die Botschaft: Ein richtiger Wiener ist kein Nazi, mag angesichts der Masse der Täter und Mitläufer recht einfach erscheinen, doch die tragische Posse des Bockerers ist eben nicht als nachträgliche Rechtfertigung zu lesen, sondern als Appell an den Humanismus, den man nicht studiert haben muss und der untrennbar mit Antifaschismus verbunden ist. – Die drei weiteren „Bockerer“-Filme haben damit nichts zu tun und stehen in absurdem Gegensatz zum Bühnenoriginal vielmehr in einer antikommunistischen Tradition, die Antel anscheinend ebenfalls ein Bedürfnis war. Am Internationalen Moskauer Filmfestival erhielt Merkatz 1981 für seine Darstellung des Karl Bockerer die Auszeichnung als bester Schauspieler. 

Seine berühmteste Rolle spielte Merkatz aber bereits in den Jahren 1975 bis 1979, nämlich im Fernsehen. Die ORF-Produktion „Ein echter Wiener geht nicht unter“ war zunächst als Adaption von Ernst Hinterbergers Roman „Salz der Erde“ (1966) gedacht, nahm dann aber Seriencharakter an. Unter der Regie von Reinhard Schwabenitzky und Kurt Ockermüller gab Merkatz den Elektriker Edmund „Mundl“ Sackbauer, der mit seiner Familie im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten lebt. Drehbuchautor Hinterberger ging es um die sozialkritische, wahrhaftige Darstellung des Proletariats, mit allen Problemen, Schwierigkeiten und Widersprüchen. Keinesfalls darf man den jähzornigen Mundl als parodistische Desavouierung verstehen, sondern es handelt sich um Milieubetrachtung und Sichtbarmachung nach dem Motto: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Die Rolle, die Merkatz glänzend spielt, ist aus dem proletarischen Leben der 1970er Jahre gegriffen, das den innerlich gutherzigen Mundl zu einem äußerlich rauen Gesellen macht. Und die Rolle schwankt zwischen Selbstbewusstsein und Machtlosigkeit: Wenn Mundl sagt: „Mein Bier is‘ net deppat!“, dann meint er: Wir, die Arbeiterklasse, sind nicht deppat!

Wie eingangs gesagt: Es wäre zu kurz gegriffen, Karl Merkatz auf die Darstellung der beiden – durchaus problematischen – „Wiener Originale“ Karl Bockerer und Mundl Sackbauer zu reduzieren. Trotzdem liegt hier, auch aufgrund der breiten Rezeption, ein Vermächtnis in einem geschlossenen Kreis vor. Merkatz kam selbst aus einer Arbeiterfamilie und wurde zu einem der wichtigsten österreichischen Schauspieler der zweiten Hälfte des 20. und des begonnenen 21. Jahrhunderts. Seine Wurzeln hat er dabei nie vergessen und er definierte sich in seiner beruflichen Tätigkeit bewusst nicht als Künstler, sondern als Arbeiter. Nun ist Karl Merkatz im Alter von 92 Jahren gestorben.

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