HomeFeuilletonKulturSpanisches Opernpublikum beendet königlichen „Maskenball“

Spanisches Opernpublikum beendet königlichen „Maskenball“

Im Teatro Real von Madrid erzwingt das Publikum den Abbruch einer Opernvorstellung, da die Corona-Sicherheitsmaßnahmen „auf den billigen Plätzen“ unzureichend waren.

Madrid. Giuseppe Verdis Oper „Un ballo in maschera“ („Ein Maskenball“, 1859) behandelt inhaltlich eigentlich die Ermordung des schwedischen Königs Gustav III., nach einem anonym verfassten Libretto von Antonio Somma. Nach Zensurmaßnahmen in Neapel und Rom musste die Handlung von Stockholm ins koloniale Boston verlegt werden, dem Attentat fiel sodann kein Monarch aus dem Hochadel, sondern der britische Gouverneur, Graf Richard Warwick (Riccardo, Tenor), zum Opfer – heute wird aber auch wieder die „schwedische“ Urversion aufgeführt. Wie auch immer, springen wir zur Pointe: Conte Riccardo wird von René (Renato, Bariton), seinem Sekretär und besten Freund, jedenfalls hinterrücks niedergestochen, da dieser glaubt, der Graf unterhalte eine geheime Beziehung zu seiner Gattin Amelia (Sopran). Die entsprechende beiderseitige Zuneigung gibt es zwar, ein reales ehebrecherisches Verhältnis jedoch nicht (dafür sind beide zu ehrenvoll, der Graf scheint zudem nebenbei auch seinem Pagen zugetan). Da die Wahrsagerin Ulrica (Alt/Mezzosopran) das Ganze aber schon prophezeit hatte, wird die Sache nicht aufgeklärt, sondern eben defätistisch zu Ende gebracht. Der sterbende Riccardo vergibt Renato, der trotz des Mordes mit Amelia unbehelligt nach England abreisen darf. Ja, und freilich spitzt sich die Situation auf dem titelgebenden Maskenball zu, den der Graf, obwohl vor einer Verschwörung gewarnt, unverdrossen ausrichtet. Eine seltsame Geschichte, zweifellos, aber voll von musikalischen und dramaturgischen Höhepunkten: die Beschwörungsszene, das Liebesduett, der Wunsch, das Kind noch einmal zu sehen, der Losentscheid unter den Verschwörern, Ball und Tod Riccardos.

Keine Sicherheitsvorkehrungen auf hinteren und oberen Rängen

Am vergangenen Sonntag stand „Un ballo in maschera“ auf dem Programm des Teatro Real in Madrid, in einer Inszenierung des venezianischen Teatro La Fenice. Am Dirigentenpult führte Nicola Luisotti, der mexikanische Tenor Ramón Vargas gab den Riccardo – allerdings blieb Letzterem bei dieser Aufführung der Heldentod erspart, denn die Oper musste vorzeitig abgebrochen werden. Dafür sorgte das Publikum, jedoch nicht etwa, weil die Darbietungen zu wünschen übrig ließen, sondern aufgrund mangelnder Corona-Sicherheitsmaßnahmen. Die spanische Regierung erlaubt in Opernhäusern und Theatern eine zu großzügige Auslastung von 75 Prozent der Kapazität, und die Veranstalter beteuerten, ohnedies nur etwas mehr als 50 Prozent der Plätze besetzt zu haben. Dies dürfe aber recht ungleich verteilt geschehen sein: Während bei den „besseren“, teuren Plätzen für das betuchte Publikum mehr als ausreichend Sicherheitsabstand gewährleistet war, verblieben die Besucher auf den hinteren Sitzen und oberen Rängen dicht gedrängt, als gäbe es keine Pandemie. Diese Tatsache sorgte schon vor dem Vorspiel für Unmut bei den Betroffenen, was sich während der Vorstellung fortsetzte: Schließlich begannen die Menschen auf den „billigen Plätzen“ damit, permanent zu applaudieren, um gegen die Bedingungen zu protestieren. Nach mehreren Unterbrechungen wurde schließlich ganz abgebrochen. Auf diese Weise erzwang das Publikum, dass die Veranstaltung unter diesen unzulänglichen und gefährlichen Umständen nicht durchgeführt werden konnte.

Es ist beschämend, dass dies notwendig war – und noch beschämender ist, dass die Leitung des Teatro Real offenbar zwar Sorge trägt für die „Oberschicht“-Besucher, aber die normalen Menschen im Publikum ohne Bedenken dem vollständigen Infektionsrisiko aussetzt. Ein regelrechter Skandal, der viel aussagt über die kapitalistische Klassengesellschaft, die auch im Hochkulturbetrieb ihre Fortsetzung findet. Die sozialdemokratisch-„linke“ Regierung Spaniens und das „Königliche Theater“ von Madrid liefern einen prägnanten Beleg dafür, dass auch Gesundheitsgefährdung und Krankheit Klassenfragen sind, und dass es eine auf tatsächlicher Gleichheit beruhende Gesellschaft braucht, um allen Menschen umfassende Sicherheit, Gesundheit sowie den Zugang zu Kunst und Kultur zu garantieren – und dafür müssen die Unterdrückten eben selbst sorgen. Nebenbei kann man sich aber auch wieder recht gut vorstellen, warum in der Vergangenheit so mancher König oder Aristokrat einem Attentat zum Opfer fiel.

Quelle: Der Standard

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