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Wiener Neujahrskonzert: Tradition seit 1939

Seit Jahrzehnten begrüßt das berühmteste Orchester Österreichs das neue Jahr mit einem großen Strauss-Konzert – eine regelrechte Institution, die allerdings problematische Wurzeln hat.

Wien. Das alljährliche Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker am 1. Jänner ist ein Fixpunkt an jedem Neujahrstag. Die – neben dem kleineren Verlosungskontingent – über Sponsoren, Vereinsmitglieder etc. gewissermaßen verfügbaren Tickets für die Konzerte im Großen (oder Goldenen) Saal des Wiener Musikvereins im ersten Gemeindebezirk sind auf Jahre hinaus ausgebucht, die Schwarzmarktpreise gestalten sich astronomisch. Der ORF überträgt live, Fernsehanstalten auf der ganzen Welt übernehmen Bild und Ton, womit zig Millionen Menschen das Geschehen verfolgen. Das „leichte“ Programm, vornehmlich mit Unterhaltungsmusik der Strauss-Dynastie, soll mit geschmeidigen Walzer- und etwas schwungvolleren Polkaklängen einen optimistischen Start in das neue Jahr gewährleisten. Das Ganze hat Tradition und ist, nicht nur in Österreich, nicht mehr wegzudenken. Allerdings stammt diese Tradition aus der Zeit des deutschen NS-Faschismus – und war bewusst eingebettet in die Propagandamaschinerie von Joseph Goebbels.

Das historisch erste Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker war noch keines, sondern vielmehr ein Silvesterkonzert, denn es fand am 31. Dezember 1939 statt. Österreich war zu diesem Zeitpunkt seit über 20 Monaten von der deutschen Wehrmacht besetzt und vom „Dritten Reich“ annektiert worden, und seit vier Monaten tobte der Zweite Weltkrieg. Der Zweck war klar: Ein bissel Wiener Walzerseligkeit für das Volk – auch via Radio –, damit faschistische Diktatur und Krieg in dieser verschwimmen. Gleichzeitig inszenierte man großes „deutsches Kulturgut“, weswegen Goebbels höchstpersönlich dafür sorgte, dass der jüdische Anteil der Strauss-Ahnenschaft geheim blieb. Offiziell handelte es sich zunächst um ein Benefizkonzert zugunsten des Winterhilfswerks, später zugunsten der „Kraft durch Freude“-Organisation, wo eine solche Veranstaltung natürlich auch bestens hineinpasste. Ein Jahr nach der Premiere – damals war noch nicht klar gewesen, dass es eine Wiederholung geben würde – wurde das „Strauss-Konzert“ auf den 1. Jänner verlegt, womit es seit dem Neujahrstag 1941 eben das Neujahrskonzert ist und alljährliche Tradition wurde. Bis zum 1. Jänner 1945 gab es die NS-Propagandashow im Wiener Musikverein (und an den Volksempfängern). Und sie überlebte das faschistische Regime.

Denn am 1. Jänner 1946 machte man nahtlos weiter. Freilich nicht ganz ohne kurzfristigen Bruch: Der bisherige Dirigent (und eigentliche Erfinder der Veranstaltung), Clemens Krauss, war aufgrund seiner guten Verbindungen zur NSDAP und zu Goebbels außer Dienst, an seine Stelle trat mit Joseph Krips der einzig verfügbare unbelastete österreichische Dirigent – sein Vater war Jude. Wie es aber so war und ist in den Alpen- und Donaugebieten, war’s mit dem Antifaschismus rasch wieder vorbei: Krauss durfte schon 1948 wieder ans Dirigentenpult und stand dort jedes Jahr bis zu seinem Tod 1954. Auch den Besatzungsmächten war bewusst, dass das Neujahrkonzert eine Quelle der Ruhigstellung der Bevölkerung sein konnte – und die österreichische Regierung war ohnedies auf der Suche nach einer „neuen“ nationalen Identität, weswegen man ebenfalls gerne an die NS-Erfindung anknüpfte. Und so gehört das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker bis heute zur Rahmenhandlung des Österreichverständnisses der Herrschenden, irgendwo eingefügt zwischen Lipizzanern, „Sissi“-Filmen, Opfermythos, Karl Schranz, Cordoba und Mozartkugeln. Der bedingungslose Antifaschismus gehört nicht dazu, weswegen es die Wiener Philharmoniker selbst waren, die schließlich ihre eigene Geschichte 1938–1945 sowie die des Neujahrskonzertes durch namhafte Historiker aufarbeiten ließen.

Freilich alles kein Grund, am Neujahrstag nicht trotzdem dem Silvesterkater zu trotzen und sich bereits am späten Vormittag vor dem Fernsehapparat einzufinden, um die Zeit bis zum Garmisch-Partenkirchner Neujahrsskispringen zu überbrücken. Da plätschert das musikalische Programm eh recht forderungslos dahin, bis endlich die beiden finalen Zugaben kommen: Der Donauwalzer als Inbegriff bürgerlicher österreichischer Nonchalance, und natürlich der Radetzky-Marsch. Der allerdings ist einem reaktionären Kriegsherrn gewidmet, weil dieser italienische Freiheitskämpfer und österreichische Revolutionäre erfolgreich blutig niedermetzeln ließ. Auch darüber könnte man zumindest mal sprechen. Beim Neujahrskonzert kommt bezüglich des Radetzky-Marsches übrigens bis heute das (wenig originalgetreue) Arrangement des NSDAP-Mitglieds Leopold Weninger zur Anwendung, inklusive des massenbegeisterten Mitklatschens des Publikums. Man muss seine kulturellen und medialen Propagandashows halt zu inszenieren wissen. Auch das hat Tradition.

Quelle: Wiener Philharmoniker

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