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Zum 110. Geburtstag von Woody Guthrie

Mit 14. Juli 2022 jährt sich der Geburtstag von Woodrow Wilson Guthrie (1912–1967) zum 110. Mal. Er gilt als ursprünglicher Inbegriff des US-amerikanischen Singer-Songwriters mit sozialkritischem Anspruch. Dass er ein Unterstützer der UdSSR und der CPUSA war, wird gerne unterschlagen.

Geboren wurde Woodrow Wilson „Woody“ Guthrie am 14. Juli 1912 in Okemah, einer Kleinstadt in Oklahoma. Nach dem Bankrott seines Vaters und einer Serie familiärer Schicksalsschläge reichte es nicht mehr für eine höhere Schulbildung. Ab 1929 schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, wandte sich aber auch der (Folk-)Musik zu. Er trat in Bars und als Straßenmusiker auf, begab sich ab 1937 auf Wanderschaft zwischen Texas und Kalifornien. Für einige Zeit sorgte er für die musikalische Untermalung einer linken Radiotalkshow, wobei seine Songs deutlich sozialkritischer wurden. Er verarbeitete die verheerenden Folgen der Great Depression und thematisierte das Schicksal der Dust Bowl-Flüchtlinge, unter Bezugnahme auf John Steinbecks „Früchte des Zorns“. Die entsprechenden Balladen zählen zu seinen erfolgreichsten Werken und begründeten seine breite Popularität.

Im Zuge des New Deals besuchte Guthrie Staudammbaustellen im Nordosten und schrieb darüber eine Reihe von Liedern, darunter „Roll On, Columbia“. Ab 1941 – er lebte inzwischen in New York – näherte er sich der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA) an. Für deren Zeitung, den „Daily Worker“, schrieb er eine populäre tägliche Kolumne. Er ergriff klar Partei für die Sowjetunion und die Führung der KPdSU, nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR stellte er den Antifaschismus in den Vordergrund: Aus dieser Zeit stammt der ikonische Schriftzug „This machine kills fascists“, den Guthrie auf seiner Gitarre anbrachte. Der sowjetischen Scharfschützin Ljudmila Pawlitschenko, die über 300 deutsch-faschistische Feinde eliminierte, widmete er einen eigenen Song („Miss Pavlichenko“). Im Gegensatz zu anderen „Linken“ distanzierte sich Guthrie nie vom Kommunismus, von Stalin und der Sowjetunion, wenngleich unklar ist, ob er formell Mitglied der CPUSA wurde. Das FBI ging jedenfalls davon aus und setzte ihn auf den Index der staatsgefährdenden Personen, auch das Komitee für „unamerikanische Aktivitäten“ interessierte sich für ihn. Guthrie selbst nahm es gelassen und meinte: „Wenn man mich als Kommunisten bezeichnet, dann macht mich das stolz, denn nur eine kluge und hart arbeitende Person kann ein Kommunist sein.“

Einen Teil des Zweiten Weltkrieges verbrachte Guthrie bei der Handelsmarine, wobei sein Schiff mehrmals von deutschen U‑Booten angegriffen wurde. Nach Kriegsende gründete er, u.a. gemeinsam mit Pete Seeger, die Musikergewerkschaft „People’s Songs“. Er nahm eine Reihe von Balladen in Würdigung der von der US-Justiz ermordeten Arbeiter Sacco und Vanzetti auf, doch in den 50er Jahren verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rasch und er konnte weder auftreten noch Aufnahmen machen. Guthrie litt – wie schon seine Mutter – an der erblichen und unheilbaren Nervenkrankheit Chorea Huntington, die ihn schließlich zum Pflegefall machte. Ab 1957 verbrachter er die meiste Zeit in Krankenhäusern, ehe er am 3. Oktober 1967 im Alter von erst 55 Jahren in New York starb.

Sein Vermächtnis besteht nicht nur in über 3.000 Songs, die er geschrieben hat, sondern auch in einem klaren Standpunkt im Sinne der Arbeiterklasse, des Antifaschismus und Antirassismus. Er war ein Kritiker des Kapitalismus und seiner Verwerfungen und wusste, dass es nicht nur einer kämpferischen gewerkschaftlichen Organisierung, sondern letztlich einer sozialistischen Gesellschaft bedarf. In künstlerischer Hinsicht war und ist sein Einfluss enorm, Guthrie gilt als einer der „Väter“ des (modernen) politischen Protestsongs, er betätigte sich als Folk-musikalischer Chronist des schweren Lebens der einfachen Menschen Nordamerikas. Er war ein Vorbild u.a. für Pete Seeger, Bob Dylan, Bruce Springsteen und Billy Bragg sowie natürlich für seinen eigenen Sohn Arlo Guthrie, die viele seiner Nummern coverten. In manchen Fällen hatte Guthrie als Lyriker jedoch nur Texte hinterlassen – ein Beispiel hierfür ist das Gedicht „I’m Shipping Up to Boston“, das viel später (2005) von der Folkpunk-Band Dropkick Murphys vertont und so einem neuen Publikum erschlossen wurde. 1976 verfilmte Hal Ashby Guthries Leben mit David Carradine in der Hauptrolle („Bound for Glory“).

Ein großes Missverständnis ist übrigens Woody Guthries vermutlich bekanntester Song, „This Land is Your Land“ (1940/44), der heute als eine der inoffiziellen US-Hymnen gilt. Das Lied war eigentlich nicht als Glorifizierung gedacht, sondern als Parodie auf das übertrieben patriotische „God Bless America“ und enthielt ursprünglich zwei weitere Strophen, die fast immer weggelassen werden – aus gewissermaßen „guten Gründen“. Denn in diesen Strophen wendet sich Guthrie gegen das bedrückende Privateigentum, das man in sein Gegenteil kehren müsse, und er kritisiert am Ende die durch den Kapitalismus verursachte Armut und den Hunger in einem eigentlich reichen Land. Vor diesem Hintergrund wirft er sodann die Frage auf, ob dieses Land denn wirklich „für dich und mich gemacht“ wurde. Und die implizite Antwort, die suggeriert wird, lautet: Wir müssen es erst zu unserem Land machen – und hierfür muss es ein sozialistisches Land werden. Solche klassenkämpferischen Details widersprechen natürlich der oberflächlichen chauvinistischen Selbstbeweihräucherung, mit der sich die offiziellen USA gerne inszenieren, weswegen eine tiefergehende Guthrie-Rezeption auch zu seinem 110. Geburtstag seitens des herrschenden bürgerlichen politischen, Bildungs- und Kulturbetriebes unerwünscht ist.

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