Bei der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des französischen Südseeterritoriums Neukaledonien trägt Paris den Sieg davon und kann das Gebiet weiter unter seiner Kontrolle halten.
Nouméa/Paris. Beim Unabhängigkeitsreferendum im französischen Überseegebiet Neukaledonien (Kanaky) stimmte am vergangenen Sonntag eine Mehrheit von 53,3 Prozent der Wahlberechtigten für den Verbleib bei Frankreich. Für die Unabhängigkeitsbewegung der melanesischen Ureinwohner der Kanaken ist dies ein neuerlicher Rückschlag, nachdem bereits vor zwei Jahren eine Abstimmung ähnlich ausgegangen war. Damit bleibt bei limitierter Autonomie die französische Oberhoheit über die Inselgruppe im Südpazifik, 1.200 Kilometer vor der Ostküste Australiens, weiterhin aufrecht – die längst fällige vollständige Entkolonialisierung, die 1986 von der UNO verlangt wurde, ist vorerst abgesagt.
Französische Herrschaft seit 1853
Die französische Herrschaft über Neukaledonien währt bereits über 170 Jahre, während der die einheimische Bevölkerung viel zu erdulden hatte: eingeschleppte Seuchen und christliche Missionierung, Zwangsrekrutierungen in die französische Armee, die Nutzung der Inseln als Strafkolonie, für Plantagenwirtschaft und schließlich für den lukrativen Nickelerzabbau inklusive entsprechender Ausbeutung. Die Kanaken blieben rechtlos, schließlich wurde ein Apartheid-ähnliches System eingeführt. Es gab mehrere Aufstände und Revolten der unterdrückten Bevölkerung, die jedoch gewaltsam niedergeschlagen wurden. Zuletzt führte die Kanakische sozialistische Befreiungsfront (FLNKS) ab 1975 den Kampf gegen die französische Herrschaft. Die Pariser Regierung bekam die Lage mittels Militäreinsatz und Autonomiemaßnahmen wieder in den Griff, schließlich gab es die Zusicherung von Volksabstimmungen, die nun 2018 und 2020 durchgeführt wurden. Allerdings ist gemäß vertraglichen Vereinbarungen eine weitere Abstimmung im Jahr 2022 möglich.
Unterdrückung des melanesischen Erbes
Dass die bisherigen Referenden nicht mehr zugunsten der Unabhängigkeit gewonnen werden konnten, ist freilich der französischen Kolonialpolitik zuzuschreiben: Die Ureinwohner wurden auf einen Bevölkerungsanteil von 45 Prozent gedrückt – und diese haben nun selbstverständlich auch für die volle Souveränität ihres Landes votiert. Doch natürlich macht der Anteil französischstämmiger Neukaledonier inzwischen auch einen erheblichen Anteil unter den 280.000 Bewohnern aus, die zudem in aller Regel sozial bessergestellt sind und keine Zweifel an ihrer französischen Identität und Loyalität hegen. Zudem wurden freilich auch die melanesische Kultur und die kanakischen Sprachen zugunsten der alleinigen Amtssprache Französisch und der Zugehörigkeit zur Internationalen Organisation der Frankophonie zurückgedrängt, finanzielle Abhängigkeiten tun ihr Übriges. In Paris hat man selbstredend ökonomische, militärische und geostrategische Interessen am Erhalt des größten südpazifischen Außenpostens (die neukaledonische Hauptinsel Grande-Terre ist etwa so groß wie die Steiermark). Insofern begrüßte der französische Präsident Emmanuel Macron das Abstimmungsergebnis und sprach von einer „gemeinsamen Zukunft“. Allerdings sollte man im Jahre 2020 vielleicht eher zur Kenntnis nehmen, dass Erbstücke des Kolonialismus auch in Form des imperialistischen Neokolonialismus keine Zukunft und keine Berechtigung haben.
Quelle: Der Standard