Grundlage ist Artikel 144 des französischen Strafgesetzbuchs, der besagt, dass eine Freilassung während eines laufenden Berufungsverfahrens die Regel und die Haft die Ausnahme sein soll. Sarkozys Anwälte argumentieren, er sei weder fluchtgefährdet noch gefährlich – und wollen so erreichen, dass der ehemalige Präsident das Gefängnis La Santé bald wieder verlassen darf.
Paris. Frankreich erlebt einen historischen Moment: Nicolas Sarkozy, einst mächtigster Mann des Landes, sitzt im Pariser Gefängnis La Santé. Nur 20 Tage nach seiner Inhaftierung entscheidet ein Gericht am Montag über seinen Antrag auf vorzeitige Entlassung. Sarkozy, 70, ist der erste Präsident der Fünften Republik, der tatsächlich eine Haftstrafe verbüßt – ein Symbolfall für die Erosion politischer Unantastbarkeit in Frankreich.
Seine Verurteilung zu fünf Jahren Haft wegen krimineller Verschwörung ist das Ergebnis einer jahrelangen Ermittlungsarbeit. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Sarkozy seine Wahlkampagne 2007 mit Geld aus Libyen finanzierte – einem Land, das damals unter Muammar al-Gaddafi stand, der wiederum heutzutage in Europa ein schlechtes Image hat.
Das libysche Geld – und die französische Amnesie
Zwischen 2005 und 2007 soll Sarkozy, damals Innenminister und Präsidentschaftskandidat, ein Netzwerk aufgebaut haben, das Korruption auf höchster Ebene vorbereitete. Seine engsten Vertrauten, Claude Guéant und Brice Hortefeux, trafen laut Urteil Libyens Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi – Gaddafis Schwager, der in Frankreich wegen terroristischer Anschläge in Abwesenheit verurteilt worden war.
Die Ermittler deckten ein komplexes System finanzieller Transaktionen auf, doch ein direkter Nachweis, dass die libyschen Gelder tatsächlich in den Wahlkampf flossen, blieb aus. Genau diesen Punkt nutzt Sarkozy, um sich als Opfer einer Intrige zu präsentieren.
Dabei bleibt eine Tatsache oft unterbelichtet: Die angebliche „libysche Spur“ war kein Werk dubioser Schmuggler, sondern Ergebnis realer politischer Beziehungen. Libyen galt damals als wiederaufgenommener Partner des Westens. Sarkozy selbst hatte Gaddafi 2007 im Élysée-Palast empfangen – mit allen protokollarischen Ehren. Nur vier Jahre später war es derselbe Sarkozy, der als einer der ersten westlichen Staatschefs den Sturz Gaddafis forderte.
Vom Staatsgast zum Feindbild
Als 2011 die Proteste des Arabischen Frühlings auch Libyen erreichten, drängte Sarkozy auf militärisches Eingreifen. Französische Flugzeuge waren die ersten, die über Tripolis bombardierten. Gaddafi wurde noch im selben Jahr gestürzt und brutal ermordet.
Dass der französische Ex-Präsident heute behauptet, die Vorwürfe gegen ihn seien „Rache des Gaddafi-Clans“, wirkt daher paradox. Wer Gaddafi einst hofierte und ihn später mit Waffengewalt zu Fall brachte, kann schwerlich zugleich Opfer und Gegner desselben Regimes sein.
Ein Netz aus Prozessen
Die aktuelle Haftstrafe ist nicht Sarkozys einziges juristisches Problem. Der Kassationshof entscheidet am 26. November über ein weiteres Urteil – diesmal wegen illegaler Wahlkampffinanzierung bei seiner gescheiterten Wiederwahl 2012. Damals soll Sarkozy fast doppelt so viel ausgegeben haben wie gesetzlich erlaubt.
Auch in einem anderen Fall droht neues Ungemach: 2023 erhoben Ermittlungsrichter erneut Anklage gegen ihn – diesmal wegen des Verdachts, er habe versucht, einen Zeugen unter Druck zu setzen, um sich selbst zu entlasten. Auch seine Ehefrau Carla Bruni-Sarkozy wurde in diesem Zusammenhang befragt.
Bereits 2021 war Sarkozy wegen Bestechung und Einflussnahme verurteilt worden. Damals hatte er versucht, über einen Richter geheime Informationen zu erlangen – ein Vorgang, der ihn endgültig das Image des unantastbaren Staatsmanns kostete.
Der moralische Tiefpunkt
Sarkozy sieht sich selbst als Opfer einer Verschwörung. Seine Rhetorik zielt auf das Mitleid jener, die ihn einst als „Präsident der Tat“ verehrten. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: wiederholte Verurteilungen, persönliche Bereicherung, ein Muster aus Einfluss, Macht und Verflechtung.
Nun könnte der ehemalige Präsident schon nach wenigen Wochen wieder auf freiem Fuß sein. Nach französischem Recht gilt die Freilassung während eines laufenden Berufungsverfahrens als Regelfall, solange keine Fluchtgefahr oder Gefahr der Beeinflussung von Zeugen besteht. Sarkozy ist 70 Jahre alt, gesundheitlich unauffällig und lebt offen in Frankreich – Gründe, die seine Anwälte ins Feld führen, um eine Entlassung zu erreichen. Der Fall zeigt damit auch, wie großzügig das französische Justizsystem gegenüber Angeklagten in höheren politischen Kreisen agieren kann.
Gaddafi mag ein autokratischer Herrscher gewesen sein, doch er war in den 2000er-Jahren auch ein Partner, den Paris – wie viele westliche Hauptstädte – hofierte, solange es politisch und wirtschaftlich nützte. Der Skandal um Sarkozy zeigt, dass moralische Entrüstung oft erst dann kommt, wenn der politische Nutzen endet.

















































































