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Wer ist Alexei Anatoljewitsch Nawalny?

Nach einer schweren Stoffwechselerkrankung, die mancherorts einer Vergiftung zugeschrieben wird, liegt der russische Unternehmer Alexei Nawalny in Berlin im Krankenhaus. Man kann dies zum Anlass nehmen, um die Frage zu beantworten, die sich auch viele Russen stellen: Wer ist der russische Patient?

Berlin/Moskau. Alexei Nawalny liegt in der Berliner Charité im Koma, es wird über eine Vergiftung – also ein Attentat – gemutmaßt. Freilich hat man im „Westen“, in Washington, London, Berlin und Brüssel, längst festgelegt, dass dahinter die russische Regierung stecken muss, eventuell der Inlandsgeheimdienst FSB, oder – wer weiß? – vielleicht war es auch Wladimir Putin höchstpersönlich, der ja über eine profunde KGB-Ausbildung verfügt, neben der James Bond wie ein Pfadfinder wirkt. Und dem „neuen Zaren“ Putin ist gemäß westlicher Medienlandschaft doch alles zuzutrauen… – Tatsächlich hat Nawalny innerhalb bestimmter russischer Kapitalfraktionen zweifellos viele Feinde, die nicht zimperlich sind und ihm nichts Gutes wollen – und die falschen Freunde, die nicht minder mafiös sind. Eines ist Nawalny aber mit Sicherheit nicht, nämlich der alternativlose hochmoralische und liberale Hoffnungsträger der „demokratischen Opposition“ in Russland, als der er außerhalb Russlands gerne präsentiert und verkauft wird.

Vom Korruptionsaufdecker zum politischen „Dissidenten“

Nawalny wurde einer limitierten russischen Öffentlichkeit ursprünglich als Blogger und, nun ja, „Influencer“ mit überschaubarem Einfluss bekannt. Er widmete sich in seinen Beiträgen, die auch zu Anzeigen führten – Nawalny ist studierter Jurist –, der Korruptionsbekämpfung im staatlichen und staatsnahen Bereich (auch wenn er später selbst genau deswegen verurteilt wurde). Dieses Engagement ist zunächst durchaus etwas Positives, denn dass der bürgerliche Staat, insbesondere wenn er eine so langlebige Regierung wie in Moskau hat, seine politischen Träger und befreundete Kapitalisten nicht nur legal, sondern auch illegal bereichern soll, ist Normalität im Kapitalismus: Bestechung und Bestechlichkeit, Freunderlwirtschaft und die Zuschanzung staatlicher Aufträge, Gesetzes- und Ämterkauf, Gegengeschäfte und „Provisionszahlungen“ sind weder im Osten noch im Westen ungewöhnlich. Wer so etwas aufdeckt, betreibt zwar bis zu einem gewissen Grad Sisyphusarbeit, steht aber für Transparenz und Sauberkeit. Bei Nawalny ist es ein wenig anders. Seine „Antikorruptionskampagnen“ entspringen einem persönlichen Interesse: Er ist als Unternehmer und Finanzinvestor auch Aktionär bei Gas- und Ölkonzernen sowie im Immobilienbereich, die von Veruntreuungsfällen betroffen waren – kurz gesagt: Nawalny machte sich Sorgen um die Höhe seiner Dividenden. Dies war sein Ansporn. Natürlich hat er bemerkt, dass es im Konkurrenzkampf der verschiedenen russischen Kapitalfraktionen auch politischer Instrumente bedarf, weshalb er in den Ring der Politik stieg, zunächst bei der liberalen Jabloko-Partei, quasi die russische Schwesterpartei der österreichischen NEOS oder der FDP (aber auch der CIA). Aus dieser wurde er jedoch 2007 ausgeschlossen, aufgrund eines eher unschönen Charakterzuges, nämlich aufgrund von Fremdenfeindlichkeit, radikalem Nationalismus und der wiederholten Zusammenarbeit mit rechtsextremen bis faschistischen Organisationen. Diese „dunkle Seite“ des politischen Hoffnungsträgers wird im Westen natürlich tunlichst verschwiegen, obwohl sie seit fünfzehn Jahren bekannt ist.

Rassismus und Faschistenkooperation

Denn Nawalny gerierte sich immer wieder als Verteidiger des ethnischen Russentums und seiner Hegemonie, eines rücksichtslosen und chauvinistischen Nationalismus, der mitunter auch die Ukraine und Weißrussland vereinnahmt. Ihm sind Muslime, nichtslawische Minderheiten in Russland sowie Immigranten und Gastarbeiter aus Zentralasien oder dem Kaukasus ein Dorn im Auge, weswegen er sich für Abschiebungen und Deportationen ausspricht. Zur „Sicherheit“ will er alle Russen mit Schusswaffen ausstatten, um migrantische „Kakerlaken“ (so sein Wortlaut) in Schach zu halten. Tschetschenen bezeichnet er überhaupt als „Handlanger Hitlers“. Mit dessen Verehrern hat er ansonsten eigentlich nicht so ein großes Problem, denn als Mitorganisator des nationalistischen „Russischen Marsches“ kooperierte er in der Vergangenheit – bis die Veranstaltung behördlich unterbunden wurde – mit Rechtsextremen, Neonazis und Antisemiten. Natürlich – um seine Sympathien bei seinen Unterstützern im Westen nicht zu verspielen, bemüht sich Nawalnys PR-Stab inzwischen um ein etwas gemäßigteres Auftreten, zumindest wenn Kamerateams oder Journalisten aus der EU oder den USA dabei sind. Trotzdem soll seine Partei „Russland der Zukunft“ (früher: „Fortschrittspartei“) mit einem eher schwammigen Programm v.a. ein Bündnis von Oligarchiefraktionen, Wirtschaftsliberalen, Rechtsextremen und gehobenem Kleinbürgertum ermöglichen – für die Arbeiterklasse hat Nawalny hingegen nur Verachtung übrig, fordert aber immerhin einen Mindestlohn von rund 400 Euro. Die Parteifarbe ist übrigens Türkis.

Keine Alternative zum herrschenden System

Dass Nawalny tatsächlich die Macht im Kreml an sich reißen kann, ist unwahrscheinlich – nicht nur aufgrund des aktuell komatösen Zustandes, sondern weil seine Popularität bei westlichen Politikern und Medien keine Entsprechung in Russland aufweist. Ein Gutteil der russischen Bevölkerung außerhalb Moskaus hat noch nie etwas von Nawalny gehört, kennt ihn kaum oder nur als einen Politclown, der gerne nicht genehmigte Demonstrationen durchführt, um sich dann mediengerecht verhaften zu lassen. Doch eine Machtübernahme des Nawalny-Lagers der russischen Oligarchie würde für Russland und seine Bevölkerung ohnedies viele negative Konsequenzen haben. Im Prinzip schwebt ihm eine Ausrichtung wie in Kiew vor – dass der Maidan-Putsch freilich mit verstärkter kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung, mit dem Aufkommen faschistischer Umtriebe, mit Verfolgung und Illegalisierung linker und kommunistischer Organisationen, mit Diskriminierung von Minderheiten und nicht zuletzt durch einen Bürgerkrieg begleitet wurde, sollte zu denken geben. Auf solche „demokratischen und pro-europäischen Hoffnungsträger“ wie Nawalny können die Völker Russlands getrost verzichten. Aber nicht falsch verstehen: Das reaktionäre Putin-Regime muss man keineswegs verteidigen, im Gegenteil: Es muss überwunden werden. Doch die oppositionelle Alternative liegt nicht in einer radikalkapitalistischen Rechtsentwicklung und EU-Annäherung, sondern im revolutionären Kampf der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen Organisationen für den Sturz jeder bürgerlichen Herrschaft und des Kapitalismus, für die Wiedererrichtung des Sozialismus. Dann werden alle Oligarchen entmachtet und enteignet, egal ob Putin- oder Nawalny-Unterstützer.

Quelle: Die Zeit / MDR

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