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Zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich

Die Liga für Kinder- und Jugendgesundheit hat ihren alljährlich erscheinenden Bericht veröffentlicht und die Resultate am Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz präsentiert. Im Fokus stehen die soziale Lage und, mit besonders aktuellem Bezug, der Einfluss der Coronavirus-Pandemie auf Körper und Geist von Kindern und Jugendlichen in Österreich.

Wien. Expertinnen und Experten der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit haben kürzlich ihren jährlich erscheinenden Bericht zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich 2020 veröffentlicht. Der Präsident der Kinderliga, Christoph Hackspiel, machte im Zuge der dazugehörigen Pressekonferenz darauf aufmerksam, dass schon vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie riesige Diskrepanzen in Bezug auf Bildungschancen und Gesundheitsrisiken bestanden. Durch die Pandemie wurden diese Unterschiede nur noch mehr verschärft. Die Ergebnisse des nunmehr 11. Berichts zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit untermauern langjährige Forderungen des Verbands nach nachhaltigen Maßnahmen zur Förderung der Chancengerechtigkeit.

Die Pandemie als Brennglas

In der Präsentation des 11. Berichts wird schon zu Anfang klargestellt, dass es bereits vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie in Österreich massive Ungleichheiten in Bezug auf Gesundheitsrisiken, Bildungschancen und Lebensqualität gab, zusätzlich wurden nun die Auswirkungen der Pandemie und der Lockdowns auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen untersucht.

In Österreich sind die Unterschiede der Bildungschancen besonders gravierend und ohnehin auf den sozioökonomischen Status der Eltern zurückzuführen:

„Corona zeigt uns wie durch ein Brennglas eine bereits seit vielen Jahren triste Situation für etwa 25 Prozent unserer Kinder, das sind jene, die in Armut oder Armutsgefährdung leben und dadurch eingeschränkte Entwicklungsmöglichkeiten haben. Ihre Talente und Ressourcen werden wenig gefördert,“, meint Christoph Hackspiel.

Die verminderten Teilhabechancen seien etwa durch mangelnde Bildungsmöglichkeiten, Gewalterfahrungen, psychische Leiden und nicht zuletzt durch Armut vorbestimmt, die häufig zu chronischen körperlichen und psychischen Krankheiten führen würden. Die Expertinnen und Experten sind sich in der zentralen Forderung einig, die Krise rund um das Coronavirus auszunutzen, um „die Weichen in Österreich neu zu stellen, um Kinder und Jugendliche bestmöglich medizinisch, psychologisch, therapeutisch zu versorgen, auf ihrem Bildungsweg zu unterstützen und Perspektiven für die Zukunft zu ermöglichen“. Zur Schadensbegrenzung müssten endlich die Interessen von Kindern ins Zentrum gestellt werden, da immer noch hunderttausende Kinder von der Gesellschaft hintangestellt würden, womit ihre Chancen auf Teilhabe und Chancengerechtigkeit drastisch eingeschränkt würden.

Kinder und Jugendliche leiden am meisten

Nicht nur für die Erwachsenen stellen die aktuellen Beschränkungen eine hohe psychische Belastung dar. Laut dem Ligabericht, der sich auf Umfragen im Zuge des ersten Lockdowns stützt, würden Kinder und Jugendliche sogar am meisten unter den Kontaktbeschränkungen leiden. Ein direkter Austausch mit den jeweiligen sozialen Gruppen und Familienangehörigen sei ja im Zuge des Lockdowns nicht mehr wie üblich möglich und wochenlang unterbrochen. Besonders treffe es aber die ärmeren Volksschichten:

„Insbesondere Kinder aus bildungsärmeren Schichten verlieren nicht selten den schulischen Anschluss, Jugendliche erhalten nur mehr schwer Lehrstellen, Gewalt in Familien und psychische Probleme sind deutlich angestiegen und fast alle medizinischen und therapeutischen Angebote, vor allem für Kinder mit Beeinträchtigungen, sind seit Monaten nur schwer zugänglich.“

Laut der Psychologin und Geschäftsführerin der Kinderliga, Caroline Culen, sei es nun höchste Zeit, längst überfällige Angebote für psychologische und psychotherapeutische Versorgung in der leistbaren und wohnortnaheren Verfügbarkeit auszubauen. Diesbezügliche Punkte in der Kinder- und Jugendgesundheitsstrategie des Bundesministeriums seien seit 2016/2017 weder evaluiert, noch adaptiert worden. Culen macht in diesem Bezug auch die soziale Komponente im Gegensatz zur individuellen geltend:

„Gesundheit ist keine individuelle Entscheidung. Gesundheit darf nicht als Leistung des einzelnen Menschen gesehen werden, sondern als das Ergebnis sozialer Verhältnisse. Gesundheit hängt auch von den grundlegenden Werten einer Gesellschaft ab.“

110.000 Kindern und Jugendlichen fehlt notwendige Ausstattung

Auch wenn die von den Expertinnen und Experten im Bericht mit aller Deutlichkeit und Vehemenz ausgesprochenen Forderungen die Reformebene nicht verlassen, ist der Bericht als Bestandsaufnahme und Materialiensammlung mehr als nützlich. Schon in der Einleitung wird etwa auf den schwerwiegenden Umstand hingewiesen, dass Gesundheit in Österreich nach wie vor vererbt wird. Die Erklärung lautet:

„Die Aussichten der Kinder auf Gesundheit, Bildung, Einkommen, Vermögen sind nach wie vor maßgeblich von dem sozioökonomischen Status der Eltern beeinflusst. Interessant ist, dass dieser Zusammenhang anhand des Geburtsgewichts von Babys dokumentierbar ist. Geringerer sozioökonomischer Status der Eltern steht in Zusammenhang mit geringerem Geburtsgewicht. Einflussfaktoren sind u.a. Ernährung, Nikotinkonsum, negativer Stress und ungünstige sozialen Bedingungen.“

Ausreichende materielle Ausstattung, d.h., genug Nahrung, eine angemessene Wohnung und passende Kleidung wären für ein adäquates Aufwachsen von Kindern notwendig. Dagegen spricht aber die anschaulich dokumentierte Realität des Kapitalismus: 

„111.000 Kinder und Jugendliche (bis 19 Jahre) leben in überbelegten Haushalten, in denen teilweise Heizung oder Bad fehlen. Ihre Wohnungen sind schlecht ausgestattetet [sic], haben beispielsweise kein Telefon, keinen Computer oder keine Waschmaschine. Aufgrund des beengten Wohnraums können sie oft keine Freund*innen einladen. 76.000 Kinder können es sich nicht leisten, zumindest einmal im Monat Freund*innen oder Verwandte zu sich einzuladen. 26.000 Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre leben in Haushalten, die im Winter nicht angemessen warm beheizt werden können.“

Es leuchtet ein, dass diese Probleme innerhalb kapitalistischer Produktionsverhältnisse nicht lösbar sind. Selbst in längst vergangenen Tagen, in denen der sozialdemokratische Reformismus im internationalen Maßstab noch mehr Spielraum besaß, konnten diese Widersprüche nicht aufgelöst, sondern höchstens verschleiert werden. Dass psychische und physische Gesundheit eine eindeutige Klassenfrage ist, bestätigt nicht nur diese soeben erschienene Studie. Die Krise ist nicht erst durch den Ausbruch des Coronavirus entstanden, sie wurde vielmehr davon beflügelt. Ihre Auswirkungen sind für noch mehr Menschen Tag für Tag sichtbarer geworden, gerade auch in der Frage der medizinischen Versorgung. Die Krise ist dem kapitalistischen System fest eingeschrieben, genauso wie der Umstand, dass dafür die arbeitende Bevölkerung aufkommen muss. Es lohnt der Vergleich mit einem Gesellschaftssystem, das auf kollektivem Miteinander aufgebaut ist. Es reicht der Hinweis, dass solche Verhältnisse für Kinder und Jugendliche in der Sowjetunion nicht bestanden und auch heute beispielsweise auf Kuba nicht bestehen, da sie endgültig der Vergangenheit angehören.

Quelle: ORF/LKJ

Kompletter Bericht: Zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich 2020

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