HomePolitikWider die Restauration im Recht

Wider die Restauration im Recht

Gastautor: Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck

Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine türkis-grüne Bundesregierung benützen den Terroranschlag in Wien, um für die sich schon länger abzeichnende Restauration im Recht Eckpfeiler zu setzen. Kanzler Kurz wörtlich: „Wenn ein geistig abnormer Rechtsbrecher lebenslang weggesperrt werden kann, wenn er eine Gefahr darstellt, kann auch ein Terrorist lebenslang weggesperrt werden.” Die schon früher angepeilte „Präventivhaft“ für sogenannte „Gefährder“ soll endlich Gesetz werden.[1]

Gemeinsam mit Eduard Rabofsky (1911–1994) hat der Autor 1984 ein Buch über „Verborgene Wurzeln der NS-Justiz“ verfasst, in dem es um die mit österreichischen Rechtslehrern verbundene strafrechtliche Rüstung für zwei Weltkriege gegangen ist.[2] Wir leben in der Gegenwart in einem „dritten Weltkrieg in Abschnitten“. Das meint jedenfalls der global und solidarisch denkende Papst Franziskus.[3] Beigegeben ist diesem Buches, das ausdrücklich dazu anregen sollte, über die Möglichkeit der Wiederholbarkeit des grausamen historischen Geschehens nachzudenken, in Kopie der „Schutzhaftbefehl“ für Eduard Rabofsky: „Er gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates“.

Eduard Rabofsky war ein Freund von Christian Broda (1916–1987), der in Österreich und Europa viel für die Humanisierung des Rechts getan hat. Die Aufhebung der Todesstrafe in Österreich (1968) ist Broda zu danken und er hat für das von Robert Badinter 1986 lancierte Projekt zur Errichtung einer internationalen Stiftung zur Unterstützung der Behandlungszentren für Flüchtlinge, die Opfer von Folterungen waren, alles getan, was ihm möglich war.[4] 

Am 9. Mai 1986 war Christian Broda auf einem von C.E.D.R.I. (Comité européen pour la défense des réfugiés et immigrés) veranstalteten internationalen Juristenkongress in Limans gemeinsam mit dem früheren Bundesverfassungsrichter der Bundesrepublik Deutschland Martin Hirsch (1913–1992) Berichterstatter für eine vom Kongress verabschiedete „Charta des demokratischen Europa für den wirklichen Schutz der Menschenrechte und der Flüchtlinge und Gastarbeiter“. Diese wurde eingeleitet mit der folgenden, von Christian Broda formulierten Feststellung:

„Wer unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus Grund- und Freiheitsrechte abbaut, arbeitet den wirklichen Terroristen in die Hände. Mit Abscheu wehren wir uns gegen das Motto ‚Der Zweck heiligt die Mittel‘, das wieder in zunehmendem Maße zur Begründung der Missachtung der Menschenrechte herangezogen wird“.

In einer Ansprache für die Teilnehmer am 20. Weltkongress der Internationalen Strafrechtsgesellschaft am 15. November 2019 hat Papst Franziskus festgestellt, dass es dem Strafrecht nicht gelungen ist, „vor den Bedrohungen bewahrt zu bleiben, die in unseren Tagen die Demokratien und die volle Gültigkeit der Rechtsstaatlichkeit bedrohen“.[5] Heute würden typische Verhaltensweisen des Nationalsozialismus erkennbar sein. Papst Franziskus fordert zur Wachsamkeit, „um jeden möglichen – vermutlich ungewollten – Kompromiss mit derartigen Entgleisungen zu vermeiden“. In Bezug auf lebenslange Freiheitsstrafen greift er das auf, was die italienische Juristin Paola Severino über die Gefängnisse gesagt hat: „Die Gefängnisse müssen immer ein ‚Fenster‘, also einen Horizont haben. Auf die Wiedereingliederung schauen. Und man muss in dieser Hinsicht zutiefst darüber nachdenken, wie ein Gefängnis geführt werden muss, wie man die Hoffnung auf Wiedereingliederung säen kann; und darüber nachdenken, ob die Strafe die Person dahin bringen kann; und auch die Begleitung dazu. Und die lebenslange Haftstrafe ernsthaft überdenken“. Der österreichischen türkis-grünen Regierung Sebastian Kurz geht es nicht um die Besserung und soziale Wiedereingliederung von Verbrechern und Terroristen. Sie will im Bündnis mit anderen europäischen Kriegstreibern für die Heimatfront juristisch aufrüsten. 


[1] https://​orf​.at/​s​t​o​r​i​e​s​/​3​1​8​9​381/

[2] Europaverlag Wien / München / Zürich 1984.

[3] Enzyklika Fratelli tutti. Patmos Verlag 2020, Pkt. 25

[4] https://​www​.derstandard​.at/​s​t​o​r​y​/​2​0​0​0​0​7​5​9​3​8​4​7​1​/​i​s​t​-​e​i​n​e​-​h​u​m​a​n​e​-​j​u​s​t​i​z​r​e​f​o​r​m​-​i​n​-​e​i​n​e​r​-​m​u​l​t​i​k​r​i​m​i​n​e​l​l​e​n​-​g​e​s​e​l​l​s​c​h​a​f​t​-​m​o​e​g​lich; vgl. Maria Wirth: Christian Broda. Eine politische Biographie. Vienna University Presse. Wien 2011.

[5] L’Osservatore Romano vom 14. Februar 2020.

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