Wenn der sozialdemokratische Oberbürgermeister von Istanbul ins Gefängnis verschleppt und wegen absurden Vorwürfen angeklagt wird, sollte der Wiener Amtskollege und Genosse eigentlich protestieren, oder? Nicht so Michael Ludwig und seine SPÖ.
Wien/Istanbul. Um die internationale sozialdemokratische Solidarität war es wohl schon einmal besser bestellt: Ekrem Imamoglu, amtierender Bürgermeister von Istanbul, war am 19. März dieses Jahres vom Erdogan-Regime festgenommen worden – mit fragwürdigen Vorwürfen, bis hin zur angeblichen Unterstützung der PKK. Natürlich ist offensichtlich, dass sich Erdogan und seine AKP schlichtweg ihres prominentesten politischen Konkurrenten entledigen wollen, der bislang gute Chancen hatte, die nächsten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Denn Imamoglu gehört der CHP an, der “Republikanischen Volkspartei” – und diese ist nichts anderes als die sozialdemokratische Partei in der Türkei, SI- und SPE-Mitglied, wie auch ihre österreichische Schwesterpartei SPÖ. Man würde erwarten, dass Michael Ludwig – wie ja durchaus eine ganze Reihe anderer europäischer Bürgermeister und sozialdemokratischer Spitzenpolitiker – diese Repression gegen seinen Kollegen und Genossen scharf verurteilt und dessen sofortige Freilassung fordert, außerdem rechtsstaatliche und demokratiepolitische Standards in der Türkei einmahnt. Aber nein! Ludwig wurde im TV-Interview anlässlich der anstehenden Wiener Wahlen auf ORF III explizit danach gefragt, und meinte trotz Nachfragens lediglich, er wolle sich da nicht einmischen. Punkt. Tangiert ihn nicht, geht ihn nix an. Wurscht.
Bemerkenswert und merkwürdig, aber einfach auch unsolidarisch und ermbärmlich: Der mächtigste Mann in der österreichischen Sozialdemokratie verweigert also einem prominenten türkischen Genossen seine (ohnedies nur verbale) Unterstützung gegen Verfolgung und Unterdrückung durch das autoritäre Erdogan-Regime. Wie kann das sein? Mann nennt das Opportunismus – und der gehört zu einer der Spezialdisziplinen der Sozialdemokratie. Denn Ludwig geht es nur um eines: Am 27. April sind in Wien Wahlen und die SPÖ möchte dabei die Stimmen der zahlreichen türkischstämmigen Wählerinnen und Wähler abgreifen – und die sind in Wien in großer Überzahl Erdogan- und AKP-Anhänger. Die will man nicht durch Majestätsbeleidigung gegenüber Möchtegern-Sultan Erdogan vergraulen. Für die Stimmenmaximierung opfert Ludwig also seinen Genossen Imamoglu. Der kann in Erdogans Kerkern verotten, so lange nur die SPÖ in Wien an der Macht bleibt. Einfach nur widerlich und feig. Was kommt als nächstes? Ein SPÖ-Wahlplakat, auf dem Ludwig und Erdogan beim Händeschütteln zu sehen sind? Was sagt eigentlich Andreas Babler dazu? Oder Selma Yildirim?
Zumindest im 15. Wiener Gemeindebezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus, kann man bei den Wahlen am 27. April ein deutliches Zeichen gegen diese widerliche Haltung der SPÖ setzen: Bei der Bezirksvertretungswahl kandidiert auch die Liste “Partei der Arbeit – Wiener Proletariat” (PDA). Sie ist konsequent solidarisch gegen Repression und Verfolgung und fordert die Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei. Nicht nur, so weit es ihre eigenen Genossinnen und Genossen von der TKP betrifft, sondern ebenso der sozialdemokratischen, kurdischen und fortschrittlichen Politiker, die das Erdogan-Regime abgesetzt und/oder verscheppt hat. So etwas nennt man Anstand und Rückgrat – bei der SPÖ ist beides nicht zu finden.
Quelle: Wahl 25 – Michael Ludwig im Interview (ORF III)