HomeWeitere RessortsKommentarMachtspiele auf dem Rücken der taiwanesischen Arbeiterklasse

Machtspiele auf dem Rücken der taiwanesischen Arbeiterklasse

Während die imperialistische Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland bereits blutigst auf dem Rücken der ukrainischen und russischen Völker sowie wirtschaftlich auf dem Rücken der Völker der ganzen Welt ausgetragen wird, spitzt sich nun ein weiterer Konflikt zu. 

Ein Kommentar von Markus Weiss.

Eine Spitzenvertreterin der US-Politik weiß offenbar nichts Besseres zu tun, als durch einen quasioffiziellen Besuch auf einer Insel, welche auch von den USA offiziell als Teil Chinas betrachtet wird, den Konflikt gegen China weiter anzuheizen. Jenen Konflikt also, welcher von vielen als der gegenwärtig hauptsächliche imperialistische Konflikt angesehen wird, während es aus Sicht des Westens gegen Russland womöglich eher darum geht, die Kräfte eines wichtigen Verbündeten Chinas zu binden. Wenn sich die europäischen Länder der westlichen „Wertegemeinschaft“ (wobei es vor allem um Warenwerte gehen dürfte) um Russland kümmern, können sich die USA auf China konzentrieren. 

China wiederum – das Land also, das sich in den letzten Jahren als der mächtigste Garant für freien Welthandel (ein Wirtschaftsliberalismus, den manche europäische Beobachter gerne mit sozialistischer Außenhandelspolitik verwechseln wollten) positioniert hat und das auch in den letzten Monaten immer wieder die einseitigen Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland und andere Länder zu kritisieren wusste – erlässt nun selbst Sanktionen. Noch dazu gegen eine Inselgruppe, die es eigentlich als Teil seiner selbst betrachtet. Lebensmittelimporte aus Taiwan nach China wurden bereits unterbunden, jetzt sollen Exporte von Sand, welcher für die Bauindustrie unerlässlich ist, folgen. 

Nun kann man darüber zwei Möglichkeiten in Betracht ziehen. Entweder die chinesische Regierung weiß, dass solche ökonomische Disruptionen auch in Taiwan auf dem Rücken des Volkes und der Arbeiterklasse ausgetragen werden, und nimmt das bereitwillig in Kauf. Oder aber sie zieht die Interessen des Volkes und der Arbeiterklasse gar nicht erst in Betracht. In beiden Fällen zeigt sich, dass es der chinesischen Regierung faktisch um nichts anderes geht als um bürgerliches Macht- und Besitzstreben.

Sollte die chinesische Regierung denken, das Volk Taiwans würde sich für solche Erpressungsversuche bedanken und seine Regierung in Richtung Wiedervereinigung Chinas treiben, so dürfte sie sich täuschen. Doch die chinesische Regierung ist nicht naiv. Umso deutlicher macht sie, dass für sie früher oder später eine militärische Eroberung Taiwans und Zerschlagung des dortigen Staatsapparats eine realistische Option ist und womöglich nur noch ein geeigneter Zeitpunkt abgewartet wird. Dass diese Option nicht nur potentiell zu Tausenden oder mehr Todesopfern im angeblich eigenen Volk – sowie im tatsächlich eigenen Volk – führen wird, sondern auch das Risiko einer direkten militärischen Auseinandersetzung mit den USA birgt, scheint dabei nur ein Faktor zu sein, den man militärstrategisch und machtpolitisch nun einmal bedenken muss. 

Der Territorialanspruch Chinas auf Taiwan hat historische und völkerrechtliche Gründe. Trotz dieser Gründe ist eine jahrzehntelange staatliche de facto-Eigenständigkeit jedoch auch nicht einfach vom Tisch zu wischen. Die Auseinanderentwicklung einer Nation in zwei Nationen geschieht – im Gegensatz zur Ausrufung eines Staates – nicht in einem Moment, sondern prozesshaft, und es ist nicht überraschend, wenn sie gerade mit der territorialen Auftrennung einer staatlichen Doppelherrschaft beginnt. Während es in einer Phase der staatlichen Doppelherrschaft eine logische Notwendigkeit ist, dass beide Mächte einander aufs Schärfste bekämpfen, so ist es ebenso notwendig, dass jahrzehntelang gefestigte Grenzen nur dann friedlich wieder verändert werden können, wenn beide Staaten das wollen oder wenn einer der beiden kapituliert. 

Diesen seltenen friedlichen Weg kennen wir zum Beispiel vom Ende der DDR, während die militante Verteidigung des sozialistischen Staates freilich im Interesse der internationalen Arbeiterklasse gewesen wäre. Zwischen China und Taiwan – nicht zuletzt aufgrund der massiven westlichen Unterstützung Taiwans – erscheint ein friedlicher Weg derzeit jedoch alles andere als realistisch. Jedenfalls könnte man mit derselben Art abstrakter Argumente, mit denen man das aggressive Vorgehen Chinas gegen Taiwan schönredet, auch der DDR das Existenzrecht absprechen. Bedauerlicherweise wären sie in diesem Fall nur noch von historiographischer Bedeutung. Erhoben werden sie von den Siegern der deutschen Wiedervereinigung. 

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