Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
Zum zweiten Mal hat die ukrainische Armee bzw. ihr Geheimdienst einen Anschlag auf die Brücke von Kertsch unternommen, die das russische Festland mit der Halbinsel Krim verbindet. Diesmal dürfte es sich um eine geringere Beschädigung handeln, doch gibt es zwei zivile Todesopfer – ein Ehepaar, dessen 14-jährige Tochter, nun eine Waise, schwer verletzt wurde.
Der neuerliche Anschlag ist symptomatisch für einen relevanten Teil der ukrainischen „Kriegsführung“, der kaum anders als eine Form des Terrorismus bezeichnet werden kann. Dazu zählen u.a. auch das Attentat auf Darja Dugina oder die Sprengung der Nord Stream-Pipelines sowie der wiederholte Beschuss des russisch besetzten AKWs Saporischschja. Etwas länger gedacht muss man aber auch den tagtäglichen Beschuss der Zivilbevölkerung des Donbass seit 2014 miteinbeziehen. Objektiv handelt es sich hier durchwegs um Kriegsverbrechen oder aber Terroranschläge. In der EU tut man sich jedoch schwer damit, diese Tatsachen einzugestehen. Denn wie kann es sein, dass das Kiewer Regime, bekanntlich ein Leuchtfeuer der Demokratie und Freiheit, das angeblich „westliche Werte“ verteidigt, zu solchen Mitteln greift?
Daher bemühen sich die westimperialistischen Medien, Experten und Politiker, die Vorgehensweise zu relativieren und schönzureden. Letztlich kommt man immer auf den Punkt: Die Ukraine hat das Recht, sich gegen den russischen Aggressor zu verteidigen – und dies mit allen Mitteln! Aber stimmt das auch? Natürlich nicht. Weder aus einem militärischen Angriff an sich und auch nicht aufgrund mutmaßlicher Kriegsverbrechen der Gegenseite ergibt sich eine Rechtfertigung für den eigenen Rechtsbruch. Das ungeteilte Recht gilt in der Opfer- wie Tätereigenschaft. In keiner Weise steht es der Ukraine zu, sich aller Mittel zu bedienen, weder juristisch noch moralisch. Allerdings hat man es in Washington und Brüssel wohl verabsäumt, dies seinen ukrainischen Truppen mitzuteilen.
Es wäre ja auch absurd: Angesichts des realen Krieges gilt plötzlich – das Kriegsrecht nicht mehr? Wofür braucht man es dann? Ein solcher Unsinn mag infantilen und naiven Geistern vielleicht einleuchten, doch gefährlicher ist die Tatsache, dass diese Sichtweise auf einer plumpen Schwarzweißsichtweise, auf einer Verteufelung und Entmenschlichung des Gegners beruht, die sodann alles rechtfertigt – am Ende den totalen Vernichtungskrieg und im Zweifelsfall die gegenseitige nukleare Auslöschung. Das ukrainische Regime und die NATO haben uns schon allerlei russische Verbrechen propagandistisch-medial aufbereitet und vorgesetzt, auf die die Antwort nur das Gegenverbrechen sein kann. So denkt man in Kiew. Hierfür braucht es nicht nur die bedingungslose, wertevergessene Unterstützung, sondern immer mehr und immer bessere Waffen, Offensivwaffen, neuerdings auch illegale Streubomben. Jeder kann sich ausmalen, wo der Endpunkt der ukrainischen Forderungsliste nach Panzern, Jets und Raketen liegt.
Allerdings wird niemand so verrückt sein, dem Kiewer Regime Atomwaffen zu überlassen. Und daher kennen Selenskyj und seine Freunde nur eine militärische Vorgehensweise, nämlich die weitere Eskalation um jeden Preis. Jede Eskalation, jeder Terroranschlag wird Russland natürlich zu irgendeiner Art von Vergeltung veranlassen – und die militärische und terroristische Gewaltspirale kann sich munter weiterdrehen. Das Ziel der ukrainischen Eskalationsstrategie ist klar: Sie kann diesen Krieg nicht gewinnen, daher muss er ausgeweitet werden. Nur mit direkter NATO-Unterstützung (oder „williger“ NATO-Staaten) wäre eine tatsächliche Wende im Kriegsgeschehen denkbar. Dann stehen wir allerdings wirklich unmittelbar vor einem großen imperialistischen Krieg, vielleicht vor dem Dritten Weltkrieg, in dem sich sodann Atommächte in direkter Konfrontation begegnen.
Es ist seltsam, dass dies in der EU so wenige „Meinungsmacher“ beunruhigt. Sie fordern den totalen Krieg bis zum letzten ukrainischen und/oder russischen Soldaten, wobei Russland freilich mehr davon hat. Sie fordern das Ablegen aller moralischen und rationalen Hemmungen gegenüber Russland, dessen Bevölkerung nach alter rassistischer Ansicht ohnedies schon wieder nur aus Untermenschen besteht. Was die Nazis nicht geschafft haben, muss nun der Ukraine und der NATO gelingen. Dass am Ende hinter Russland China wartet, blendet man in der EU mitunter aus, in den USA weiß man es hingegen umso genauer, weswegen auch die NATO zuletzt auf eine strengere antichinesische Linie gebracht wurde.
Längst müssten die Menschen massenhaft aufstehen und sagen: Schluss mit der Kriegstreiberei! Nicht weitere Waffen, nicht Terror und Attentate, nicht weitere Eskalationen und nicht die Ausweitung beenden den Krieg, sondern nur der Frieden tut es. Und Frieden bedeutet nicht, dass zuvor eine Seite vernichtet wurde, sondern dass man sich rechtzeitig darauf einigt, die Waffen schweigen zu lassen. Wer aber gegenwärtig ernsthafte Friedensbemühungen fordert, gilt in der EU schon als Unterstützer Russlands. Es ist beunruhigend, wie einfach und widerspruchslos der 1984-Spruch „Krieg ist Frieden“ durchsetzbar war. Dann ist es natürlich auch kein Wunder, dass Terrorismus als legitime Selbstverteidigung durchgeht.
Den Preis zahlen die einfachen Menschen auf allen Seiten. Es sind die Herrschenden des Kapitalismus und Imperialismus, die hier Krieg führen – zumindest im Kommandostand. Auf den Schlachtfeldern verblutet die Arbeiterklasse, die Armen, die Eigentumslosen. Sie sollen für „ihr“ Land kämpfen, von dem sie nicht einmal eine Handvoll Erde besitzen. Das wird sich auch nicht ändern, egal ob über Donezk die ukrainische oder die russische Flagge weht. Es wird sich erst dann ändern, wenn sie sich weigern, weiterhin aufeinander zu schießen, und die Waffen gegen die Herrschenden wenden.
Dann ist Frieden – und dann kann man auch Kapitalismus und Imperialismus auf den Misthaufen der Geschichte befördern. Und es wäre der Punkt, wo alle Verantwortlichen für ihre Verbrechen von den Völkern zur Rechenschaft gezogen werden, nämlich wirklich alle: Putin und Selenskyj, Biden und Stoltenberg, von der Leyen und Prigoschin.