Am 20. Juli 2001 wurde am Rande des G8-Treffens in Italien der Demonstrant Carlo Giuliani von einem Carabiniere durch einen Kopfschuss getötet – die Tat ist bis heute ungesühnt.
Genua. Von 18. bis 22. Juli 2001 fand der G8-Gipfel im italienischen Genua statt, unter prominenter Beteiligung von u.a. George W. Bush, Tony Blair, Gerhard Schröder oder Jacques Chirac, Gastgeber war Silvio Berlusconi. Das „Who-is-who“ des globalen Imperialismus gab sich ein Stelldichein, ergänzt durch die WTO und die Weltbank. Demgemäß waren mehrere Protestaktionen und Demonstrationen angemeldet. Und diese wurden mit staatlicher Repression bedacht, die am 20. Juli zu einem traurigen Höhepunkt führte: Der 23-jährige römische Demonstrant Carlo Giuliani starb in der Nähe der Piazza Alimonda, als ihm ein Carabiniere eine Pistolenkugel in den Kopf schoss.
Kopfschuss aus nächster Nähe
Dieser Situation war freilich eine Eskalation während der Kundgebungen vorangegangen, die von der italienischen Staatsmacht gewollt war, durch Provokationen aller Art, polizeiliche Übergriffe und eingeschleuste Undercover-Agenten befördert wurde. Die Demonstrierenden wurden mit Tränengas angegriffen, einige setzten sich zur Wehr. Aus einem militärischen Geländewagen der Carabinieri, dem sich Carlo Giuliani rückseitig näherte, wurden zwei Schüsse auf ihn abgegeben, anschließend wurde der am Boden liegende Demonstrant von dem tonnenschweren Land Rover noch zweimal überrollt. Für das Opfer kam jede medizinische Hilfe zu spät.
Die italienischen Behörden rechtfertigten sich damit, Giuliani sei mit einem Feuerlöscher „bewaffnet“ gewesen, mit dem er das Fahrzeug angreifen wollte. Der Carabiniere Mario Placanica, der die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, gab an, in Notwehr gehandelt zu haben. Dass er zuvor noch durch das Autofenster den Protestierenden zugerufen hatte: „Ich werde euch alle töten!“, suggeriert eine andere Motivation. Später bekannte sich Placanica zur neofaschistischen Partei Alleanza Nazionale und kandidierte für sie bei Kommunalwahlen.
Keine Aufklärung, keine Strafe
Das Aufklärungsbedürfnis war angesichts der Umstände immens, schließlich kam es zu einem Strafverfahren. Dieses wurde im Mai 2003 eingestellt und Placanica somit formell entlastet. Die Richterin vertrat die abenteuerliche Ansicht, der Carabiniere habe lediglich zur Warnung in die Luft geschossen, dabei aber zufällig einen gerade von einem Demonstranten geworfenen, fliegenden (!) Stein getroffen, und erst von diesem sei die Kugel so unglücklich abgeprallt, dass sie Giuliani in den Kopf traf – so viel Pech muss man mal haben. Auf Bildmaterial vom Tatort ist freilich klar zu sehen, wie der Todesschütze mit seiner Waffe direkt und waagrecht auf umstehende Personen zielt. – Eine Klage der Eltern des Opfers vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde im August 2009 abgewiesen. Die Republik Italien wurde trotzdem zu einer Entschädigungszahlung von 40.000 Euro verpflichtet, da keine gründliche Aufklärung der Tat durchgeführt worden war.
Die Ermordung Carlo Giulianis bleibt somit weitgehend unaufgeklärt und ungesühnt, was ganz im Interesse der bürgerlichen Staatsmacht und des Imperialismus ist, nicht zuletzt im Sinne der faschistoiden Speerspitze der Kapitalherrschaft. Berlusconis damaliger Vizepremier und Vorsitzender der Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, meinte prägnant, die G8-Demonstranten hätten bekommen, „was sie verdienten“. Dies ist das Gesicht der Unterdrückung, der Willkür und des Staatsterrors – in einer bürgerlich-„demokratischen“ Republik. Carlo Giuliani ist demgegenüber bis heute ein Symbol für die Opfer der (tödlichen) Repression, aber auch des Widerstandes dagegen. Zum Jahrestag seines Todes ist seiner zu gedenken – und der Kampf entschlossen fortzuführen.