Wien. Die Corona-Pandemie macht besonders jungen Menschen zu schaffen, schlagen nun Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendpsychiatrie Alarm. So seien Depressionen und Essstörungen gestiegen, aber auch Selbstmordversuche hätten sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.
Pandemie als Auslöser für depressive Krankheiten
„Wir haben generell sehr viele Jugendliche, die mit depressivem Verhalten kommen – und auch mit akuter Suizidalität. Das hat sich sehr zugespitzt die letzten Monate“, erklärt Paul Plener, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Wiener AKH. Allein im ersten Halbjahr 2021 seien dort 110 Fälle mit suizidalem Hintergrund behandelt worden.
Bei vielen Patientinnen und Patienten hätten depressive Entwicklungen ihren Ursprung in der Pandemie genommen, zeigt Plener auf, oft würde dies einhergehen „mit dem Wegfall sozialer Kontakte, aber auch mit dem Wegfallen aktueller Tagesstruktur.“ Bei Jugendlichen, meist bei Mädchen, würde dies derzeit auch häufig zu starken Essstörungen führen.
Weitaus größeres Behandlungsangebot nötig
80 Plätze bietet Wien im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Hälfte davon befindet sich im AKH Wien. Benötigt würden aber tatsächlich rund 140 Versorgungsplätze, unabhängig vom Pandemiegeschehen. Schon vor dem ersten Covid-19-Ausbruch waren die Hilfsangebote zu gering und unterbesetzt. Durch die Pandemie hingegen hat sich die Situation hilfsbedürftiger Jugendlicher noch dramatisch verschärft – inzwischen wären laut Expertinnen und Experten noch weit mehr vonnöten.
Depressionen und Lebensmüdigkeit sind kein plötzlich auftretendes Phänomen, denn Expertinnen und Experten schlagen bereits seit dem Sommer 2020 Alarm. Erst vergangenen Oktober schrieb die ZdA über einen dramatischen Anstieg an depressiven Symptomen, die gerade Kinder und Jugendliche in der gegenwärtigen Situation befallen: „Ein dringendes Handeln sowohl entgegen der ständig drohenden Isolation als auch für eine angemessene und ausreichende gesundheitliche und psychologische Infrastruktur ist dringend notwendig. Statt das Gesundheitssystem weiter kaputt zu sparen, sollte ein Ausbau stattfinden. Dieser ist im 21. Jahrhundert in einem Staat wie Österreich nicht nur nötig, sondern auch möglich, wenn nicht die Profite, sondern die Menschen im Zentrum der Entscheidung stünden.“
Dabei muss auch klar sein, dass Suizidgefährdung unabhängig von der Pandemie im Kapitalismus vorprogrammiert ist. Die Entfremdung der Jugend vom Schulgeschehen, schon sehr bald von der Arbeit und alsbald von sich selbst, hat System im Kapitalismus, wo der Profit des Einzelnen mehr zählt als die psychische Gesundheit der Allgemeinheit. Was der Kapitalismus anbietet, um aus Menschen profitable Arbeitskräfte zu machen und um über den psychischen Schmerz hinwegzusehen, ist beispielsweise in einem Lockdown nur mehr schwer oder gar nicht mehr zugänglich. Die Menschen sind nun sich und den von außen, etwa der Arbeitswelt, Schule oder Studium, eingeschleppten Problemen in Gänze ausgesetzt. Die Methode der Schmerzlinderung durch Konsum von Technologie‑, Unterhaltungs‑, Schönheits- oder Gesundheitserhaltungsprodukten, wie z.B. der Gang zum Fitnesscenter, werden im Lockdown nicht mehr angeboten. Gerade junge Menschen merken nun, dass sie unter solchen Umständen und ohne Linderung bzw. Betäubung der systeminhärenten Probleme nicht mehr weiterleben wollen. Der Kapitalismus ist sich selbst nicht genug – bei Behandlungsplätzen wiederum werden Kosten eingespart. Wenn nur Kosten entstehen und keine Profitmöglichkeiten bestehen, wie etwa im allgemeinen Gesundheitssystem, ist der Kapitalismus wie stets der falsche Ansprechpartner.
Hilfe in Krisensituationen
Für Menschen, bei denen solche Lebenskrisen auftreten oder sich die psychische Gesundheit verschlechtert, sind Telefondienste eingerichtet, auf die wir an dieser Stelle hinweisen möchten:
- Telefonseelsorge: 142
- Psychosozialer Dienst: 01–31330
- Kriseninterventionszentrum: 01–4069595
Quelle: ORF/Zeitung der Arbeit