In einem großen Schweinemastbetrieb im Bezirk Hollabrunn wurden unhaltbare Missstände aufgedeckt. In einer ersten Reaktion stritt der Besitzer glatt ab, dass es sich bei den Fotos um seinen Betrieb handelt, der Verein gegen Tierfabriken (VGT) legte jedoch mit Beweisen – unter anderem mit Fotos von den Ohrmarken der Tiere – nach.
Bezirk Hollabrunn. Ende September bis Oktober 2025 wurden dem VGT verdeckte Video- und Fotoaufnahmen zugespielt, die in einem der größten Schweinemast- und Zuchtbetriebe Österreichs schockierende Missstände dokumentieren. Der Betrieb wirbt selbst als „Vorzeige-Schweinebetrieb“ mit mehr als 13.000 Tieren (Stand 2020) und führt vor allem den Zuchtbereich in seiner PR-Präsentation vor. Doch die Realität – wie sie die Aufnahmen zeigen – steht in krassem Gegensatz zur Selbstdarstellung.
Brutale Zustände: Tiere leiden
Die Bilder zeigen Mastschweine, die offenbar auf Vollspaltenboden ohne Einstreu leben – eine Haltung, die nach Aussage des VGT wissenschaftlich als qualvoll bewertet wird. Mehrfach sind Arbeiterinnen und Arbeiter zu sehen, die Schweinen direkt ins Gesicht und auf den Körper urinieren; in Abferkelbuchten wird neben den Tieren uriniert. In den Aufnahmen schlägt eine Arbeiterin mehrere Mutterschweine in Kastenständen mit Metallhaken und Stöcken. Ein anderer Mitarbeiter setzt Elektroschocks gegen Mastschweine ein – selbst in Situationen, in denen die Tiere eingekeilt sind und sich kaum bewegen können.
Die Resultate: Tiere mit Darmvorfall, Verletzungen durch Kannibalismus (z. B. blutig gebissene Schwänze), massive unhygienische Zustände (Kot auf Böden und Tränken, Insektenbefall). Die Bilder offenbaren eine Haltung, die nicht nur Tierleid produziert, sondern ein strukturelles System der Ausbeutung darstellt – von Tieren und, wie zunehmend klar wird, auch von Menschen.
Arbeitsausbeutung & Machtverhältnisse
Die Tierindustrie ist nicht nur ein System der Ausbeutung von fühlenden Wesen – sie ist auch ein System, das auf billiger, prekärer Arbeitskraft aufbaut. In diesem Betrieb mit über 13.000 Schweinen wird deutlich: Der straffe Zeitplan, die hohen Tierdichten und die routinierten Gewaltakte gegenüber Tieren lassen vermuten, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in einem Umfeld arbeiten, das Druck erzeugt, Entwürdigungen toleriert, zu Verrohung führt und Verantwortungen verschleiert. Wenn ein Betrieb den Anspruch erhebt, „Vorzeige“ zu sein – und zugleich Bildmaterial zum Vorschein kommt, das Misshandlungen zeigt –, dann drängt sich die Frage auf: Welche Verantwortung trägt das Management, wie werden die Arbeitsbedingungen gestaltet, und welche Rolle spielen Subunternehmen, Arbeitskräfte mit geringer Rechtesituation oder befristete Verträge?
Arbeiterinnen und Arbeiter, die täglich in engen Stallhallen arbeiten, in denen Tiere zu Tausenden gemästet werden, sind mit hohen biologischen, physischen und psychischen Belastungen konfrontiert. Der Umgang mit Leid, mit Verletzungen, mit Massentötung oder intensiven Krankheiten bei Tieren bedeutet für Menschen eine enorme Belastung – dies als „normalen Alltag“ darzustellen spricht dafür, dass dieses System auf Entwertung beruht: Entwertung von Tierleben und Entwertung menschlicher Arbeit.
Gegenstand der Aufdeckung sind zwar primär tierquälerische Handlungen – das urinieren Ins-Gesicht oder Elektroschocker –, doch spiegeln sie auch ein Arbeitsumfeld, in dem Regeln (z. B. Verbot von Elektroschockgeräten außer Ausnahmen) verletzt werden. Ein solches Umfeld begünstigt demnach nicht nur Tierleid, sondern ebnet die Tür für institutionalisierte Gewalt und Missachtung von Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschutz.
System Tierfabrik – Ausbeutung als Geschäftsmodell
Was wir hier vor uns haben, ist keine Ausnahme: Der VGT selbst schreibt: „Dieser Betrieb ist kein Einzelfall. Seit Jahren veröffentlicht der VGT das Leid von Schweinen auf Vollspaltenboden.“ Die Kombination von hoher Anzahl an Tieren, geringer Einstreu, Vollspaltenboden und hoher Tierdichte macht ökonomischen Sinn: Mehr Tiere auf weniger Fläche, weniger Komfort, höhere Durchlaufzahlen. Doch ökonomischer Sinn darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um Ausbeutung handelt – von Tieren, und im gleichen Atemzug von den Menschen, die das System aufrechterhalten“.
Für die Arbeiterinnen und Arbeitnehmer heißt das: hohes Arbeitspensum, häufig monotone, körperlich schwere Arbeiten, mögliche psychische Belastungen durch den Umgang mit Leid oder Gewalt. Die Machtverhältnisse sind meist klar: Beschäftigte sind häufig wenig organisiert, haben möglicherweise Teil- oder Zeitarbeit, sind wechselhaft eingesetzt – ein klassisches Muster von Prekarisierung. Ein Betrieb, der offen größtmögliche Tierzahlen aufführt und zugleich auf öffentliche Wirkung als „Vorzeigebetrieb“ setzt, dürfte darauf angewiesen sein, möglichst geringe Produktionskosten bei hoher Effizienz umzusetzen – mit sämtlichen Konsequenzen für Mitarbeitende und Tiere.
Rechtslage und Schauermaterial
Laut VGT wurden die Missstände bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde angezeigt. Das zeigt, dass Klägerinnen- und Kläger- bzw. Whistleblower-Material eine wichtige Rolle spielen. Doch häufig endet es mit Strafanzeigen oder Ordnungswidrigkeiten – und nicht mit einer tiefgreifenden Systemreform. Ein zentraler Punkt: Elektroschockgeräte dürfen nach Gesetz nur in Ausnahmefällen verwendet werden. Doch hier wurden sie routinemäßig eingesetzt – offenbar zur Treibarbeit, wenn Tiere ohnehin kaum mehr entkommen konnten. Das bedeutet: Der gesetzliche Rahmen wird unterlaufen, um Produktionsziele zu erreichen. Ein Umfeld von normierter Gesetzesverletzung bei Tierhaltungsbetrieben ist gleichzeitig ein Indikator für Arbeits- und Umweltverstöße.
Politische und gesellschaftliche Verantwortung
Die Tierindustrie ist ein wesentlicher Teil der Wertschöpfungskette von Fleisch- und Tierprodukten. Der Fall zeigt exemplarisch, wie das System von Tierfabriken funktioniert: Konzentration großer Tierzahlen, Maximierung von Produktionsvolumen, Margenoptimierung, und dabei sowohl Tiere als auch Mitarbeitende in systematischen Nachteilen tätig.
Für Gewerkschaften, Betriebsräte und zivilgesellschaftliche Akteure stellt sich die Frage: Wie können Arbeiter- und Beschäftigtenrechte in einem solchen Umfeld gestärkt werden? Wie können Transparenz, Kontrolle und demokratische Mitbestimmung eingeführt werden – nicht nur für Menschen, sondern auch in Hinblick auf Tierschutz und Tierwohl?
Politisch braucht es eine konsequente Regulierung und Durchsetzung:
Beendigung von Monopolstrukturen in der Tierhaltung, Begrenzung der Tierzahlen pro Betrieb, verbindliche Mindestanforderungen für Tiere (z. B. Einstreupflicht, artgerechte Lauf- und Ruheflächen)
Stärkere Kontrollen und unabhängige Auditierung von Arbeits- und Tierhaltungsbedingungen
Schutz der Beschäftigten in der Tierindustrie: Auffangmechanismen für Whistleblower, Schutz vor Repressionen, Mitbestimmung bei Arbeitsabläufen, Psychosoziale Betreuung für Arbeiterinnen und Arbeitern in Industrieumfeldern mit hohen Belastungen.
Öffentlichkeit stärken: Die Gesellschaft muss mitbekommen, dass Fleisch- und Tierprodukte nicht kostenlos sind – weder für die Tiere noch für die Arbeiter:innen noch für Umwelt und Klima.
Fazit
Der aufgedeckte Betrieb im Bezirk Hollabrunn zeigt eine doppelte Ausbeutung: Tiere als Produktionsmittel, Menschen als ausführende Kraft unter extremem Druck. Ein System, das auf Effizienz, Masse und Kostenoptimierung basiert, verdrängt ethische Grundsätze. Die Bilder, die der VGT vorlegt – Pisse im Gesicht der Tiere, blutige Wunden, Einsatz von Elektroschocks – sind Ausdruck dessen, wie weit die industrielle Tierhaltung gekommen ist. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden: Es sind Menschen, die in diesen Hallen arbeiten – und ebenso Opfer eines Systems, das auf Kosten von Leben und Gesundheit funktioniert. Insofern ist dieser Fall keine Randerscheinung, sondern exemplarisch für die Verflechtung von Tier- und Arbeitsausbeutung in der modernen Agrar- und Lebensmittelindustrie. Wenn Gesellschaft und Politik weiterhin wegschauen, bleibt das System intakt.
Für eine gerechte Agrar- und Arbeitspolitik heißt das: Die Bedingungen dieser Fabriken müssen öffentlich gemacht und transformiert werden. Tiere dürfen nicht länger als Produktionsmittel betrachtet werden und Arbeiterinnen und Arbeiter nicht als austauschbare Kostenpunkte. Denn nur eine gemeinsame Bewegung von Tier- und Arbeitnehmerinnen- und Arbeiterinteressen kann das System verändern – hin zu mehr Würde, Transparenz und Verantwortung.
Quelle: vgt



















































































