Dass der eine 7 Jahre bekommt, obwohl er aus purer Verzweiflung seine Überfälle beging, ohne sich irgendwie selbst bereichert zu haben, und der andere 8 Jahre dafür, dass er (laut beeinspruchtem Urteil erster Instanz) Teil einer kriminelle Bande war, welche die Republik vorsätzlich um hohe Millionenbeträge schädigte, die in die eigenen, ohnehin prall gefüllten Taschen flossen, nennt man Klassenjustiz.
Wien. Von 2012 bis 2017 betätigte sich ein Wirt als Bankräuber – fünf Überfälle – einmal in Wimpassing, zweimal St. Egyden, zweimal in Oberösterreich und ein Versuch in Theresienfeld – gehen auf sein Konto. Als Motiv nannte der Angeklagte, 40 Jahre alt, Geldnot. Er habe das Gasthaus mit 75.000 Euro Schulden übernommen, nochmals 200.000 Euro in den Umbau gesteckt und dann seine Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Bei seinen Überfällen erbeutete er insgesamt knapp 160.000 Euro. Im Juli 2020 wurde der verzweifelte Wirt zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Ein anderer (man muss noch schreiben: mutmaßlicher) Verbrecher raubte zwar keine Bank aus, nützte aber seine Stellung als Finanzminister der Republik Österreich dazu aus, um gemeinsam mit einigen Kumpanen den Betrag von 9,6 Millionen Euro als „Provision“ beim Verkauf von 60.000 Wohnungen aus Staatsbesitz zu kassieren. Er wurde am Freitag zu acht Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Angeklagte und einige seiner Mittäter kündigen Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde an (wir berichteten).
Der Wirt sagte vor Gericht: „Ich hatte acht Jahre darauf gewartet, dass die Beamten kommen. Außerdem hatte ich ein schlechtes Gewissen, vor allem wegen der Menschen, die ich durch meine Überfälle in Angst und Schrecken versetzt habe. Es tut mir alles außerordentlich leid.“ Er ist eine tragische Figur, kann man sagen. Sicher nicht reich, er könnte sich eine Berufung gegen das Urteil, das angesichts des relativ geringen Schadens viel zu hoch erscheint, ziemlich sicher gar nicht leisten.
Mittellos, ohne Einkommen, aber die teuersten Rechtsanwälte
Der andere, der ehemalige Finanzminister hatte beim drei Jahre währenden Prozess gleich zwei der teuersten Rechtsanwälte Österreichs zur Seite, deren Stundensätze sich sicher im oberen dreistelligen Bereich bewegen. Der Ex-Politiker gab aber zu Beginn des Prozesses zu Protokoll, dass er mittelos und ohne Einkommen sei. Wie kann sich dann ein mittelloser, arbeitsloser Mann zwei so teure Anwälte leisten, wie kann er jede noch so lächerliche Prozessverzögerung durch Ausnützung aller juristischen Winkelzüge durch diese teuren Anwälte ausführen lassen, und nachher über die lange Prozessdauer jammern? Er kann es, weil er reich war oder ist, weil er aus einer reichen Familie stammt und mit einer reichen Frau verheiratet ist. Seine Frau, ein Mitglied des Swarovski-Clans ist schon reich zur Welt gekommen, ebenso wie er selbst. Ihr Reichtum wird vermehrt, ohne dass sie irgendetwas dafür tun muss. Die Svarovski-ArbeiterInnen und Angestellten sorgen dafür. Von ihnen verlieren jetzt und in naher Zukunft 1.800 den Job. Das sind 1.800 Menschen und ihre Familien, die vor wirklichen existenziellen Problemen stehen.
Keiner interessiert sich für den verzweifelten Wirten
Keiner interessiert sich weiter für den verzweifelten Wirten, der wird seine Strafe absitzen und bei guter Führung irgendwann vorzeitig entlassen werden. Wegen einiger dilettantischer Banküberfälle, mit denen er vergeblich versuchte, sein verschuldetes Wirtshaus zu retten.
Der Ex-Finanzminister wird seine teuren Anwälte weiter bezahlen, obwohl er „mittellos“ ist. Sie werden alles ausreizen und hinauszögern, was nur geht. Ihre Rechnung wird sicher bezahlt werden, und sei sie noch so hoch. Wenn aber die Strafe dann irgendwann rechtskräftig sein sollte, wird die Republik Anspruch auf die „Provosion“ samt Zinsen haben, die Beschuldigten werden die Gerichtskosten zu bezahlen haben, und der unterlegene Bieter, die CA-Immo, wird Schadenersatzansprüche geltend machen. Das sind dann alles zusammen sicher keine niedrigen zweistelligen Millionenbeträge. Dann wird er sicher wieder mittellos sein, der feine Herr.
Von einem Gefälligkeitsinterview zum anderen
Der Ex-Finanzminister wird nach dem Urteil erster Instanz von den Medien von einem Gefälligkeitsinterview zum anderen gereicht. Der Kronen-Zeitung zum Beispiel darf er vorjammern, wie unschuldig er ist, und stolz beteuern, dass ihn im Nobelort Kitzbühel, wo er als Mittel- und Arbeitsloser wohnt, „noch nie jemand blöd angesprochen hat“. „Dieser überlange Prozess, diese Verurteilung, was tut das mit einem Menschen“ fragen die besorgten Krone-Redakteure dann noch nach, damit der Ex-Finanzminister dann sagen darf, er hätte sich einen „Freispruch erster Güte“ erwartet, denn er sei „schlicht und einfach unschuldig“. Kein böses Wort, keine kritische Frage kommt den Redakteuren über den Lippen, denn reich und schön ist immer unschuldig, während arm und verzweifelt immer schuldig ist.
Dass der eine 7 Jahre bekommt, obwohl er aus purer Verzweiflung seine Überfälle beging, ohne sich irgendwie selbst bereichert zu haben, und der andere 8 Jahre dafür, dass er (laut beeinspruchtem Urteil erster Instanz) Teil einer kriminelle Bande war, welche die Republik vorsätzlich um hohe Millionenbeträge schädigte, die in die eigenen, ohnehin prall gefüllten Taschen flossen, nennt man Klassenjustiz.
Diese Klassenjustiz wird noch verstärkt und assistiert durch einen Journalismus, der sich bei den Reichen durch Speichelleckerei auszeichnet, auch wenn sie bereits in erster Instanz zu acht Jahre verurteilt wurden, und der auf die Armen mit dem Finger zeigt, auch wenn sie nur aus purer Verzweiflung etwas stehlen.
Quellen: NÖN-Neunkirchen/krone.at