HomeFeuilletonGeschichte90 Jahre „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“

90 Jahre „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“

Am 14. Juli 1933 beschloss die faschistische Regierung in Deutschland das Gesetz gegen die Neubildung politischer Parteien. Ein Beschluss des Gesetzes im Reichstag war nicht mehr notwendig. Am 16. Juli trat das Gesetz in Kraft. Es markierte den Schlusspunkt der schrittweisen Machtübergabe der bürgerlichen Parteien und des Finanz- und Monopolkapitals an die faschistische NSDAP.

Hitlers Ernennung zum Reichskanzler

Am 30. Januar 1933 trat die stärkste Partei des deutschen Faschismus, die NSDAP, erstmals in eine Regierung ein. Gemeinsam mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) bildeten die Faschisten eine Koalitionsregierung, Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt. Bei der vorangegangenen Reichstagswahl im November 1932 hatte die NSDAP erstmals bei Wahlen seit 1928 wieder Stimmen verloren. Hatte sie bei der Wahl des Reichstages im Juli 1932 noch 13.745.680 Stimmen und 230 Sitze im Reichstag erlangt, waren es im November 1932 nur noch 11.737.021 Stimmen und somit ein Minus von 34 Mandaten.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hingegen konnte bei der Wahl im November weiter zulegen. Die KPD errang damals 5.980.239 Stimmen und 100 Mandate, ein Plus von elf Mandaten gegenüber der Juli-Wahl. Die SPD verlor zwar Wählerstimmen, war aber mit 7.247.901 Stimmen vor der KPD und hinter der NSDAP immer noch die zweitstärkste Partei. Für das Kapital zeigte das Wahlergebnis jedoch, dass es dringend an der Zeit war, der NSDAP die Regierungsverantwortung zu übertragen. Am 30. Jänner 1933 wurde Hitler vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.

Die Koalitionsregierung aus NSDAP und DNVP verfügte über keine Mehrheit im Reichstag, weshalb direkt am Tag danach die Auflösung des Reichstages beschlossen wurde. Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres sollte ein neues Parlament gewählt werden. Am 4. Feber erließ die Regierung eine Notverordnung, mit der Versammlungen und Publikationen verboten werden konnten. Eine Tagung des Zentralkomitees der KPD am 7. Feber konnte wegen der bereits einsetzenden Verfolgung nur noch konspirativ abgehalten werden. Ein von Walter Ulbricht am 30. Jänner an die SPD überbrachtes Angebot zur Bildung einer Einheitsfront und für einen gemeinsamen Generalstreik, um eine faschistische Diktatur zu verhindern, wurde von dieser abgelehnt.

Am 17. Feber gab Herman Göring als kommissarischer preußischer Innenminister die Anweisung an die Polizei aus, ohne Rücksicht von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Wenige Tage später wurden SA‑, SS- und Stahlhelm-Mitglieder zu Hilfspolizisten ernannt. Der faschistische Terror gegen die Arbeiterbewegung konnte sich zunehmend entfalten.

Reichstagsbrand und die Reichstagswahl im März

Am 27. Februar folgte dann der Brand des Reichstages in Berlin. Für die Regierung Hitler der willkommene Anlass, den Terror gegen die Arbeiterbewegung zu legalisieren. Noch in derselben Nacht wurden mittels vorbereiteten Listen rund 10.000 Funktionäre der Arbeiterbewegung, in den meisten Fällen Kommunisten, verhaftet. Unter diesen fanden sich auch viele prominente antifaschistische Intellektuelle, wie Erich Mühsam, Carl von Ossietzky und der Rechtsanwalt Hans Litten.

Am Tag danach wurden die Verhaftungen mit der sogenannten Reichstagsbrandverordnung legalisiert. Sie bot der Regierung die Basis für ein Verbot der kommunistischen Presse, die sozialdemokratische Presse wurde vorerst für 14 Tage verboten. Bis zur Wahl am 5. März 1933 waren viele führende Kommunisten und kommunistische Mandatare verhaftet worden. Zuletzt wurde Ernst Thälmann, Vorsitzender der KPD, durch Verrat am 3. März festgenommen. Thälmann wurde 18. August 1944 auf direkten Befehl Hitlers im KZ Buchenwald ermordet.

Die deutschen Faschisten inszenierten einen Schauprozess, in dem mehrere Kommunisten, darunter Georgi Dimitroff, angeklagt wurden, den Reichstag angezündet zu haben. Dimitroff gelang es, den Prozess in eine Bühne zur Anklage des faschistischen Regimes zu verwandeln. In der Folge wurde er freigesprochen. Als einziger Angeklagter wurde der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe schuldig gesprochen. In der Geschichtswissenschaft gilt seine Täterschaft nicht als bewiesen, viel eher ist davon auszugehen, dass die Faschisten den Reichstag selbst angezündet haben.

Trotz des faschistischen Terrors gegen die KPD, zahlreichen Verhaftungen und eines Wahlkampfs, der kaum noch legal geführt werden konnte, erreichte die Partei fast fünf Millionen Stimmen. Der NSDAP gelang es trotz der Entfaltung des Terrors nicht, eine absolute Mehrheit zu erringen. Sie kam auf 43,9 Prozent der Wählerstimmen und war bei der Regierungsbildung erneut auf die DNVP angewiesen. Gemeinsam verfügten sie über eine absolute Mehrheit. Die Machtübergabe an die Faschisten war nahezu endgültig vollzogen.

Ermächtigungsgesetz und Verbot der KPD

Nur vier Tage nach der Wahl ließ die Regierung die Mandate der KPD annullieren. Damit verfügte die NSDAP über eine absolute Mehrheit im Reichstag. Eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit konnte trotz der Koalition mit der DNVP nicht erreicht werden. Die Kampagne zur Verfolgung der Kommunistinnen und Kommunisten wurde intensiviert und fortgesetzt. Bereits im März 1933 ging man quasi über Nacht daran, provisorische Konzentrationslager in Kellern von SA-Versammlungslokalen, Fabriken, ehemaligen Kasernen und Arbeitshäusern, Gefängnissen und an anderen Orten einzurichten. Bis zum Sommer 1933 wurden 80.000 Kommunistinnen und Kommunisten sowie Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verhaftet, verschleppt, gefoltert und ermordet.

In der Sitzung des Reichstages vom 24. März wurde schließlich das sogenannte Ermächtigungsgesetz beschlossen. Mit dem Ermächtigungsgesetz wurde der Reichstag als parlamentarische Versammlung endgültig entmachtet. Die gesetzgeberische Kraft wurde stattdessen auf die Regierung übertragen. In der Abstimmung über das Gesetz votierten alle bürgerlichen Parteien im Reichstag dafür. Lediglich die sozialdemokratischen Abgeordneten, die nicht bereits verhaftet oder geflohen waren, stimmten gegen das Gesetz.

Der Vorsitzende der katholischen Zentrumspartei begründete die Unterstützung des Gesetzes damit: „Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen, im Angesicht der riesenhaften Aufgaben, die der deutsche Wiederaufbau an uns stellt, im Angesicht vor allem der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland aufzusteigen beginnen, reichen wir von der deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch früheren Gegnern, die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu sichern.“

Sozialdemokratischer Widerstand bleibt aus

Die SPD hatte zwar in der Parlamentssitzung gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt, Widerstand außerhalb des Reichstages wurde aber weiter unterlassen. Vielmehr hatte man in der Sitzung noch versucht, sich der faschistischen Regierung anzubiedern. Otto Wels, Vorsitzender der SPD, hatte in einer kurzen Rede bekundet, mit der Außenpolitik der neuen Regierung übereinzustimmen. Die SPD würde lediglich das Ermächtigungsgesetz ablehnen. Eine Solidaritätserklärung mit den verhafteten oder geflüchteten ehemaligen Mandataren der KPD unterblieb sowieso.

Die SPD hatte bereits am 30. Jänner ein Einheitsfrontangebot der KPD zum gemeinsamen Kampf gegen die Aufrichtung einer faschistischen Diktatur abgelehnt. Weder im Vorfeld noch nach Beschluss des Ermächtigungsgesetzes versuchte die Partei, irgendeine Form des außerparlamentarischen Kampfes auf der Straße und in den Betrieben gegen die Ausschaltung der Weimarer Republik zu organisieren.

Für den ersten Mai 1933 rief der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) zu gemeinsamen Demonstrationen mit den Faschisten auf. Der sozialdemokratische ADGB war in den Jahren zuvor vor allem um den Kampf gegen die Kommunistinnen und Kommunisten bemüht. Eine klassenkämpferische Wende sollte verhindert, die sozialpartnerschaftliche Politik sollte fortgesetzt werden. Am 2. Mai 1933 rückten SA und SS schließlich aus und besetzten die Gewerkschaftshäuser in ganz Deutschland. Der ADGB wurde unter Zwangsverwaltung gestellt und ging kurze Zeit später in einer faschistischen Vorfeldorganisation, der Deutschen Arbeitsfront, auf.

Ungeachtet dessen unterstützte die SPD im Reichstag noch im Mai 1933 das außenpolitische Programm der faschistischen Regierung. Am 19. Juni kamen alle verbliebenen Abgeordneten der SPD zu einer vom Reichspräsidenten einberufenen Sitzung zusammen, in der sie einen „judenfreien“ Vorstand wählten. Noch immer hoffte die SPD darauf, legal zu bleiben. Am 22. Juni wurde schließlich auch die SPD verboten. Ihre Mandatare wurden aus dem Reichstag entfernt. 3.000 ihrer Mitglieder wurden verhaftet und eingesperrt.

Selbstauflösung oder Verbot?

Im Reichstag waren ab dem 22. Juni 1933 lediglich die bürgerlichen Parteien verblieben. Das Gremium hatte eigentlich bereits mit der Annullierung der Mandate der KPD jegliche Legitimität verloren. Nach dem Beschluss des Ermächtigungsgesetzes hatte es sich ohnehin nur noch auf den Status eines Beiwerks reduziert. Das Verbot der SPD war nur konsequent, nachdem sie vor der Regierung kapituliert hatte.

Die bürgerlichen Parteien, die noch im Reichstag vertreten waren, zogen es vor, nicht verboten zu werden. Sie lösten sich inklusive der DNVP, dem Koalitionspartner der NSDAP, in der Zeit vom 27. Juni bis zum 5. Juli selbst auf. Sie taten das nicht ohne ihre Mitarbeit und Unterstützung für die Herrschaft der NSDAP zu bekunden. Einer späteren Karriere als lupenreiner Demokrat stand das nicht im Wege. Hans Ritter von Lex, Abgeordneter der Bayrischen Volkspartei im Reichstag, wurde beispielsweise nach 1945 Staatssekretär im Bonner Innenministerium und Vertreter der Bundesregierung beim Verbotsverfahren gegen die KPD im Jahre 1956. Er war nicht der einzige mit einer ähnlichen Karriere.

Das am 14. Juli 1933 beschlossene Gesetz zum Verbot der Neugründung von Parteien sollte den Status quo, dass keine Partei neben der NSDAP existieren konnte, absichern. Die Macht wurde der NSDAP von den bürgerlichen Parteien schrittweise übertragen. Von einer Machtergreifung oder gar „nationalen Revolution“, wie sie die NSDAP proklamierte, konnte keine Rede sein. Die SPD und der ADGB haben gegenüber der Errichtung des faschistischen Regimes kapituliert und den Weg in diese Richtung geebnet.

Quellen:
Emil Carlebach, Hitler war kein Betriebsunfall. Hinter den Kulissen der Weimarer Republik: Die vorprogrammierte Diktatur, Frankfurt am Main 1978.
Ronald Friedmann, Das Ende von Weimar.
Leo Schwarz, Nationales Erwachen.
Ronald Friedmann, Terror als Wahlkampf.
Kurt Gossweiler, Die ersten drei Jahre im „Tausendjährigen Reich„
Sabine Lueken, Vor aller Augen.

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