HomeFeuilletonGeschichteZum 140. Geburtstag von Georgi Dimitroff

Zum 140. Geburtstag von Georgi Dimitroff

Der 18. Juni 2022 markiert den 140. Geburtstag des bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitroff (1882–1949). Als Revolutionär, Organisator, Theoretiker sowie als Ministerpräsident der Volksrepublik Bulgarien hat er sich große Verdienste erworben.

Georgi Dimitroff (auch Dimitrow) wurde am 18. Juni 1882 in dem kleinen westbulgarischen Dorf Kowatschewzi geboren. Er war das erste von acht Kindern des Fabrikarbeiters Dimitar Trentschew und dessen Gattin Paraschkewa Dosewa. Die Familie zog zunächst nach Radomir und dann weiter in die Hauptstadt Sofia. Im Alter von erst zwölf Jahren begann Dimitroff eine Lehre als Schriftsetzer und wurde bald darauf in der Buchdruckergewerkschaft aktiv. 1902 trat er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei. Diese spaltete sich bereits 1903 in die reformistischen „Weitsozialisten“ und die marxistisch-revolutionären „Engsozialisten“ auf, wobei Dimitroff sich letzteren anschloss. Als Sekretär des revolutionären Gewerkschaftsbundes organisierte er 1906 die ersten großen Arbeitskämpfe in Bulgarien. Dimitroffs Fähigkeiten blieben auch dem Parteivorsitzenden Dimitar Blagoew nicht verborgen, weswegen er im Alter von 27 Jahren ins Zentralkomitee gewählt wurde. Ab 1913 war Dimitroff zudem Abgeordneter zum bulgarischen Parlament.

Kommunistische Partei und Septemberaufstand

1914 wandten sich die Engsozialisten gegen den imperialistischen Ersten Weltkrieg. Als Unterstützer der russischen Oktoberrevolution änderten sie 1919 ihren Namen in Bulgarische Kommunistische Partei (BKP) und traten der von Lenin initiierten Kommunistischen Internationale (Komintern) bei. Bei den Wahlen im Jahr 1920 wurde die BKP zweitstärkste Partei mit einem Stimmenanteil von rund 20 Prozent. Nachdem es im Juni 1923 zu einem Militärputsch gekommen war, unternahmen die bulgarischen Kommunisten als erste den Versuch, dem Faschismus mit der Waffe in der Hand entgegenzutreten: Der Septemberaufstand vom 23. September 1923, der von Dimitroff und Wassil Kolarow geleitet wurde, scheiterte jedoch und wurde binnen weniger Tage niedergeschlagen. Tausende Kommunisten und ihre Unterstützer fielen dem weißgardistisch-faschistischen Terror zum Opfer, viele Kämpfer flohen nach Jugoslawien. Führende Parteifunktionäre gingen ins Moskauer Exil, während Dimitroff – seitens der Komintern eigentlich für den Balkan zuständig – in den deutschsprachigen Ländern aktiv wurde.

Reorganisierung und Bolschewisierung der KPÖ

Aufgrund der teilweise geradezu chaotischen Situation in der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) wurde Dimitroff Ende 1923 durch die Komintern nach Wien entsandt. Nach dem schwierigen 7. Parteitag im März 1924 ernannte das Exekutivkomitee (EKKI) Dimitroff zu ihrem Vertreter in der KPÖ, was mit relevanten Vollmachten und einer faktischen Parteileitung verbunden war. Tatsächlich gelang es dem bulgarischen Kommunisten, in der KPÖ für Ordnung zu sorgen: Die Beendigung des „pluralistischen“ Fraktionismus, die erfolgreiche Bolschewisierung und die Betrauung Johann Koplenigs mit der Parteiführung schufen die Grundlagen, um aus der KPÖ eine marxistisch-leninistische Kampfpartei der Arbeiterklasse zu machen, die in den folgenden Jahrzehnten im antifaschistischen Widerstand und im nationalen Freiheitskampf zu einer Organisation wurde, die Masseneinfluss erlangte und wirkungsvolle Tätigkeiten entfalten konnte. Dies ist zweifellos auch ein Verdienst Dimitroffs.

Reichstagsbrand und Leipziger Reichsgericht

Am 9. März 1933, zwei Wochen nach dem Reichstagsbrand, wurde Dimitroff in Berlin verhaftet, wo er sich illegal aufhielt. Die Nazis wollten das Feuer den Kommunisten in die Schuhe schieben und hierfür einen Schauprozess inszenieren. Gemeinsam mit seinen Landsleuten Popow und Tanew, dem KPD-Fraktionsvorsitzenden Ernst Torgler und dem Niederländer van der Lubbe wurde er am Leipziger Reichsgericht angeklagt. Die Bedingungen waren eine rechtsstaatliche Farce, doch Dimitroff gelang dennoch Bemerkenswertes: Er nützte den Prozess als öffentliche Bühne für die Darlegung des gerechten Kampfes der Kommunisten sowie zu einer Entlarvung und scharfen Anklage des Faschismus. Die „Zeugen“ Göring und Goebbels wurden von ihm regelrecht in die Enge getrieben. Mangels Beweisen blieb dem Gericht schlussendlich nichts anderes übrig, als alle Angeklagten außer van der Lubbe, der unter fragwürdigen Umständen ein Geständnis abgelegt hatte und hingerichtet wurde, freizusprechen – ein Debakel für die Nazifaschisten, ein Fanal für den antifaschistischen Kampf der Kommunisten.

Faschismustheorie und antifaschistische Volksfront

Im Februar 1934 konnte Dimitroff aus Deutschland in die UdSSR ausreisen, wo er als „Held von Leipzig“ empfangen wurde. Nachdem er inzwischen auch die Leitung der BKP übernommen hatte, spielte er in weiterer Folge eine besonders wichtige Rolle in der Komintern. Aus den Erfahrungen der Niederlagen gegen den Faschismus – v.a. in Deutschland und Österreich – entwickelte er gemeinsam mit Togliatti, Pieck und Manuilski eine fundierte marxistisch-leninistische Faschismustheorie. Diese baute auf Lenins Imperialismustheorie auf und charakterisierte den Faschismus als „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Damit verbunden waren Überlegungen zur antifaschistischen Strategie rund um die Einheits- und Volksfrontpolitik. Am VII. Weltkongress der Komintern, der im Sommer 1935 in Moskau stattfand, wurden die von Dimitroff vorgetragenen Anschauungen angenommen und er selbst zum Generalsekretär der Komintern gewählt. Die Idee der antifaschistischen Volksfront kam bald darauf im Spanischen Bürgerkrieg zur Anwendung. 

Zweiter Weltkrieg und Vaterländische Front

Im Zweiten Weltkrieg blieben die Kommunisten vielerorts auf sich allein gestellt, doch bisweilen gelang auch die Etablierung einer antifaschistischen Volksfront – so auch in Bulgarien, wo die deutsche Wehrmacht 1941 einmarschiert war. Das bulgarische Diktaturregime trat zwar in ein Bündnis mit Deutschland und Italien ein und erklärte den Westalliierten den Krieg, blieb jedoch gegenüber der Sowjetunion neutral. Vor dem Hintergrund dieser speziellen Bedingungen schuf die BKP 1942 die „Vaterländische Front“, der auch die Sozialdemokraten, der linke Teil der Bauernunion, die liberalen „Radikaldemokraten“ sowie eine ex-militärische patriotisch-konservative Gruppierung angehörten. Diese antifaschistische Volksfront konnte jedoch nur überschaubare Widerstandsaktivitäten entfalten und erhielt erst mit der militärischen Befreiung Bulgariens durch die Rote Armee der Sowjetunion im September 1944 größere Bedeutung: Mit 9. September übernahm die Vaterländische Front die Regierung und sorgte für antifaschistische Verhältnisse.

Volksrepublik Bulgarien und sozialistischer Entwicklungsweg

Im November 1945 kehrte Dimitroff aus dem Moskauer Exil nach Bulgarien zurück. Im selben Monat wurden Wahlen abgehalten – erstmals waren auch Frauen stimmberechtigt –, aus denen die Vaterländische Front mit einer deutlichen absoluten Mehrheit als Siegerin hervorging. Nachdem die Monarchie per Volksabstimmung abgeschafft worden war, wurde mit 15. September 1946 die Volksrepublik Bulgarien gegründet, als deren Präsident Dimitroffs Weggefährte Kolarow fungierte. Im darauffolgenden Oktober wurde die Verfassungsgebende Versammlung gewählt, wobei die BKP mit 53,5 Prozent einen klaren Wahlsieg verbuchen konnte. Daher übernahm Dimitroff am 23. November 1946 das Amt des Ministerpräsidenten. In den folgenden Jahren wurde eine Landreform durchgeführt, mit der Verfassung vom 4. Dezember 1947 wurden der sozialistische Entwicklungsweg und die damit verbundenen weiteren revolutionären Umwälzungen festgelegt. Die Idee einer sozialistischen Balkanföderation mit Jugoslawien (und eventuell Rumänien) scheiterte an den politischen Volten Titos. In seiner Amtszeit schuf Dimitroff die Grundlagen des Sozialismus in Bulgarien, der bis 1990/91 Bestand haben sollte.

Tod und Bedeutung Dimitroffs

In der ersten Jahreshälfte 1949 verschlechterte sich Dimitroffs Gesundheitszustand rasch. Er wurde zur Behandlung nach Moskau gebracht, wo er am 2. Juli 1949 im Alter von 67 Jahren starb. Die kommunistische Bewegung und das Volk Bulgariens hatten damit eine große und wichtige Persönlichkeit verloren, was auch entsprechend gewürdigt wurde: Dimitroffs einbalsamierter Leichnam wurde im Zentrums Sofias in einem eigens errichteten Mausoleum beigesetzt. Erst mit der Konterrevolution überführte man ihn auf den Zentralfriedhof, während das Dimitroff-Mausoleum 1999 zerstört wurde. Denn so bedeutend Dimitroffs Werk und Wirken für die Arbeiterklasse und den Sozialismus war, so sehr war er den bürgerlichen Kräften, dem Kapital und der Konterrevolution verhasst – man wollte das Andenken an den kommunistischen Revolutionär und Staatsmann auslöschen. Auch auf dem Gebiet der DDR tilgte das BRD-Regime nach der Annexion alle Straßen- und Gebäudenamen, die auf den konsequenten Antifaschistischen und Helden von Leipzig verwiesen. Nichtsdestotrotz tragen Städte in Bulgarien, Serbien und Russland bis heute den Namen Dimitrowgrad. In Wien-Wieden erinnert eine Gedenktafel an einem Haus am St. Elisabeth-Platz an Georgi Dimitroff, der dort in den Jahren 1924 bis 1926 wohnte.

Die bulgarische und die weltweite kommunistische Bewegung haben Georgi Dimitroff viel zu verdanken. Aus einfachen proletarischen Verhältnissen stammend, entwickelte er sich zu einem der bedeutendsten kommunistischen Revolutionäre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zur Führungspersönlichkeit der Komintern, zum Architekten der sozialistischen Umwälzung in Bulgarien. Als Theoretiker des Marxismus-Leninismus legte er den Grundstein für unsere Faschismustheorie. Und in Österreich können wir Georgi Dimitroff dankbar sein, dass er in den 1920er Jahren die KPÖ auf bolschewistische Weise reorganisierte, wodurch sich die Partei erst zu einer wirksamen Kraft im Klassenkampf und im antifaschistischen Widerstand entwickeln konnte.

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