HomeFeuilletonKulturBertolt Brecht: Heute, Ostersonntag früh... (1938)

Bertolt Brecht: Heute, Ostersonntag früh… (1938)

Zu Ostern 1938 schrieb Bertolt Brecht (1898–1956) im Exil auf der dänischen Insel Fünen das Gedicht „Frühling 1938“, das zu einem größeren Zyklus gehört. Er behandelt darin den kommenden Weltkrieg des deutschen Faschismus, den Brecht deutlich voraussah.

Frühling 1938

Heute, Ostersonntag früh

Ging ein plötzlicher Schneesturm über die Insel.

Zwischen den grünenden Hecken lag Schnee. Mein junger Sohn

Holte mich zu einem Aprikosenbäumchen an der Hausmauer

Von einem Vers weg, in dem ich auf diejenigen mit dem Finger deutete

Die einen Krieg vorbereiteten, der

Den Kontinent, diese Insel, mein Volk, meine Familie und mich

Vertilgen mag. Schweigend 

Legten wir einen Sack

Über den frierenden Baum. 

II 

Über dem Sund hängt Regengewölke, aber den Garten 

Vergoldet noch die Sonne. Die Birnbäume

Haben grüne Blätter und noch keine Blüten, die Kirschbäume hingegen 

Blüten und noch keine Blätter. Die weißen Dolden

Scheinen aus dürren Asten zu sprießen.

Über das gekräuselte Sundwasser

Läuft ein kleines Boot mit geflicktem Segel. 

In das Gezwitscher der Stare

Mischt sich der ferne Donner

Der manövrierenden Schiffsgeschütze

Des Dritten Reiches. 

III 

In den Weiden am Sund

Ruft in diesen Frühjahrsnächten oft das Käuzlein.

Nach dem Aberglauben der Bauern

Setzt das Käuzlein die Menschen davon in Kenntnis

Dass sie nicht lang leben. Mich 

Der ich weiß, dass ich die Wahrheit gesagt habe

Über die Herrschenden, braucht der Totenvogel davon

Nicht erst in Kenntnis zu setzen.

Quelle: Bertolt Brecht, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe in 12 Bänden. Gedichte 2, Frankfurt am Main 1988, S. 95f.

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