HomeFeuilletonWer muss Angst bekommen, wenn Deutschland „Frieden stiftet“?

Wer muss Angst bekommen, wenn Deutschland „Frieden stiftet“?

Gastbeitrag von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.

Deutschlands „Zeitenwende“ als Rückwendung

Am 20. April 2024 hat der seit Anfang 2023 amtierende deutsche Kriegsminister Boris Pistorius (*1960), der auch ein einflussreiches Führungsmitglied der deutschen Sozialdemokratie ist, als zentrales Element der Reorganisation der Bundeswehr einen neuen Planungs- und Führungsstab installiert. Dieser wird „der gemeinsame Arbeitsmuskel aller Leitungsbüros, also der Staatssekretäre, des Generalinspekteurs und des Ministers sein“.[1] In der Kriegszeit unserer Gegenwart ist Deutschland mit seiner Wehrmacht wieder in das Zentrum von Europa gerückt. Das ist eine Folge der imperialistischen Zusammenhänge und des Systems der bürgerlichen Klassendiktatur in Europa. Die kriegerischen Traditionen der deutschen politischen und gesellschaftlichen Eliten mit ihren Exekutionsjournalisten in den Massenmedien sind ein nicht zu übersehender Faktor in der vom deutschen Kanzler Olaf Scholz (*1958) in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 definierten „Zeitenwende“, die tatsächlich eine Rückwendung ist.[2] Die Republik Österreich verschließt sich mit ihren politischen Repräsentanten diesem deutschen Kriegsweg nicht. Die Pressekonferenz des österreichischen Kanzlers Karl Nehammer (*1972) am 18. August 2023 mit dem deutschen Kanzler Scholz in Salzburg lässt keinen Zweifel daran, dass beide Länder „zusammengewachsen“ sind.[3] Die Proklamation eines formalen „Anschlusses“ von Österreich an Deutschland durch den „lieben Karl“ und den „lieben Olaf“ ist nicht notwendig.

Die Republik Österreich dient auf dem Balkan nicht dem Frieden, sondern den Interessen Deutschlands und der NATO

Der tschechisch jüdische Literat Franz Kafka (1883–1924), dessen hundertster Todestag in den Feuilletons geflissentlich in Erinnerung gebracht wird, hat die Deutschen gut gekannt, wenn er sagt: „Die Deutschen haben den Gott, der Eisen wachsen ließ. Ihr Tempel ist der preußische Generalstab“.[4] Für den Serben Zoran Konstantinović (1920–2007) war es persönlich schmerzvoll, sich im Laufe seines Lebens den mörderischen Ergebnissen deutscher Herrschaftsansprüche in Serbien stellen zu müssen, weil ihm als Intellektuellen das Gute der nach Serbien getragenen deutschen Aufklärung und deutscher Romantik mehr präsent war als dessen Ohnmacht. Die historische Wahrheit ließ sich aus seinem persönlichen Erleben nicht wegträumen. Zu dieser gehörte die von der deutschen Luftwaffe unter dem Befehl des an der alten Theresianischen Militär-Akademie ausgebildeten Generals Alexander Löhr (1885–1947) ohne Kriegserklärung erfolgte Bombardierung von Belgrad am 6. April 1941 und die von Deutschland ermöglichte Ausrufung des Ustascha Staates Kroatien, der sofort mit dem Massenmord an seiner serbischen Bevölkerung begann, oder die Exekution von 400 aus ihren Klassenzimmern geholten Gymnasiasten am 20. Oktober 1941 in Kragujevac durch deutsche Soldaten.[5] Seit 1991 erlebte Konstantinović den blutigen Prozess des Zerfalls von Jugoslawien, deren Teilrepubliken mit ihren Präsidenten sich noch am 12. April 1991 darauf geeinigt haben, um über eine Konföderation das jugoslawische Volk abstimmen zu lassen und um die Möglichkeit zum gemeinsamen Handeln offen zu lassen. Die Entscheidungen waren außerhalb Jugoslawiens schon gefallen und haben ihre Zuspitzung in dem als „humanitäre Intervention“ maskierten Angriffskrieg des am 4. April 1949 gegründeten und von den imperialistischen US-amerikanischen Interessen angeleitetes Militärbündnisses NATO (North Atlantic Treaty Organization) gegen Serbien vom 24. März bis 24. April 1999 gefunden.[6]

Mit ihrem „Neuen Strategischen Konzept“ hat sich die NATO nach Jahrzehnten illegaler Kriegsführung[7] offiziell zu einer weltweit operierenden Interventionsallianz definiert.[8] Österreich hatte mehrere Optionen für den Frieden zu wirken nicht wahrgenommen und ist anknüpfend an seinen traditionellen Serbenhass („Serbien muss sterbien“)[9] an die Seite der NATO getreten. Noch 1999 errichtete die NATO im Kosovo eine ihrer geopolitisch bedeutsamsten Aufmarschbasen in Richtung europäischer Osten. Von Beginn an ist Österreich im Kosovo militärisch präsent. Von 8. bis 9. November 2022 trafen sich die Verteidigungspolitischen Direktoren der „Central European Defence Cooperation“ (CEDC) und der Westbalkanländer im Schloss Rothschild in Reichenau an der Rax.[10] Derzeit ist Österreich mit 300 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der EU-Battlegroups im Kosovo. Innenpolitisch verkauft die Republik Österreich ihr Mitmarschieren auf dem Balkan als Parteinahme zur Stärkung der regionalen Sicherheit innerhalb der EU und der „Nato Partnership for Peace (PFP)“.[11] Ob sich Ordonnanzoffizier Kurt Waldheim (1918–2007) daran erfreut hätte, sei dahingestellt. 2023 ermunterte der kosovarische Premier Albin Kurti (*1975) die NATO-Einheiten direkt an der serbischen Grenze aufmarschieren zu lassen.[12] Für den seit September 2023 in Brüssel mit der NATO kollaborierenden österreichischen Botschafter Jürgen Meindl (*1965) ist die NATO ein „Zusammenschluss demokratischer Staaten“ für den Frieden. Ein Interview hat dieser österreichische Kriegsdiplomat der katholischen Wochenschrift „Die Furche“ symbolhaft im NATO-Hauptgebäude in Brüssel gegeben, das kennzeichnenderweise nach dem ehemaligen deutschen NATO-Generalsekretär und Bonner Aufrüstungsminister Manfred Wörner (1934–1994) benannt ist.[13]

Deutsche Kanzler stiften Frieden. Eine Erinnerung an die 1930er Jahre

Was es bedeutet, wenn Deutschland und seine Handlanger im neutralen Österreich „Frieden stiften“, wurde Zoran Konstantinović in den 1990er Jahren allmählich wieder bewusst. Noch 1985 hat er von einer „Vergleichenden Literaturgeschichte Mitteleuropas“ geträumt, die, wie er György Sebestýen (1930–1990) schreibt, „im Sinne neuer methodologischer Erkenntnisse und Verfahrensweisen ohne jedes Vormachtdenken und jegliche einseitige Einflussbestimmung die literarischen Werte dieses Raumes herausarbeitet, so wie sie vor allem als eine Symbiose aus dem Zusammenleben der Völker entstanden sind“.[14] In Erinnerung an sein verdrängtes Wissen an die aus Deutschland kommenden Friedensappelle in den 1930er Jahren musste sich Zoran Konstantinović noch vor 1999 eingestehen, „große Angst“ zu haben, „dass die Deutschen erneut >Frieden stiften< gehen“.[15] Was hat Zoran Konstantinović dazu gebracht, über Jahrzehnte hindurch zu vergessen, dass Deutsche in einer auf Ausbeutung orientierten Gesellschaftsordnung notwendigerweise eben Deutsche bleiben, wie das der vielseitige Marxist Bertolt Brecht (1898–1956) gegenüber Max Frisch (1911–1991) einmal gesagt hat?[16] Wenn Brecht an die Einvernahme der Deutschen Demokratischen Republik durch die Bundesrepublik Deutschland dachte, war das für ihn eine Horrorvorstellung: „Wiedervereinigung heißt noch einmal Emigration“.[17]

Vor dem zweiten Weltkrieg kamen vom damaligen deutschen Kanzler Friedensschalmeien, die in der Gegenwart nur wenig neu intoniert klingen. Am 23. März 1933 bedauerte der damalige deutsche Kanzler Adolf Hitler (1889–1945), dass die Genfer Konferenz immer noch keine Entscheidung über die „Herbeiführung einer wirklichen Abrüstungsmaßnahme“ getroffen habe.[18] Die deutsche Regierung werde „jede Bemühung unterstützen, die darauf gerichtet ist, die allgemeine Abrüstung wirksam durchzuführen und den längst fälligen Anspruch Deutschlands auf Abrüstung sicherzustellen“. Die deutsche Regierung sehe „im Christentum die unerschütterlichen Fundamente der Moral und Sittlichkeit des Volkes“. Am 17. Mai 1933 betont dieser deutsche Kanzler: „Deutschland ist jederzeit bereit, auf Angriffswaffen zu verzichten, wenn auch die übrige Welt ein gleiches tut. Deutschland ist bereit, jedem feierlichen Nichtangriffspakt beizutreten, denn Deutschland denkt nicht an einen angriff, sondern an seine Sicherheit“.[19] Vier Jahre später, im September 1937, wird in der Positionierung gegen Russland schon „Deutschlands Sieg Heil!“ als Losung ausgegeben. Das deutsche Volk sei auf die deutschen Soldaten „grenzenlos stolz“.[20] Es wäre allerdings nicht ein deutscher Kanzler, wenn von ihm trotz des ausgebrochenen Weltkrieges Humanitätsgefasel über alle Medien verbreitet worden wäre (6. Oktober 1939). Deutschland trete für die „Zurückführung der Rüstungen auf ein vernünftiges und auch wirtschaftlich tragbares Ausmaß“ ein und für eine international verpflichtende „Fixierung des Begriffes erlaubter und unerlaubter Waffenanwendung“.[21]

Der deutsche Kriegsminister Boris Pistorius lässt sich „als der erste Soldat“ in einem deutschen Panzer gerne fotografieren. Er ist damit in die Fußstapfen jenes deutschen Kanzlers getreten, der am 1. September 1939 stolz verkündete, dass er wieder jenen Rock angezogen habe, der ihm „einst selbst der heiligste und teuerste war“.[22] Die sich als deutsche Außenministerin zelebrierende Annalena Baerbock (*1980) will als Bellizistin am liebsten selbst im Leopard Panzer Richtung Ukraine sitzen, das gleiche gilt von der österreichischen Militaristin Klaudia Tanner (*1970). Frauen sind in solchen militarisierten Gesellschaften nicht mehr in der ersten Reihe, um Frieden zu stiften.

Deutsches Militär in Charkow – Israelisches Militär in Gaza

Papst Franziskus (*1936) definiert den Krieg immer wieder als eine Niederlage der Menschlichkeit. Zuletzt tut er das in dem von ihm unterzeichneten Dokument „Dignitas infinita“ (8. April 2024). Die Dimensionen des Leids der Kriegsopfer sind himmelschreiend. Zwei Dokumente der Barbarei: 

„Während der vorübergehenden Besetzung der Stadt und des Gebietes Charkow wurden durch die faschistischen deutschen Okkupanten mehr als 30.000 friedliche, völlig unschuldige Sowjetbürger, darunter auch Frauen, Greise und Kinder, erschossen und gehängt, lebendig verbrannt und durch Kohlenoxyd vergiftet. So wurden im November 1941 in der Stadt Charkow auf Anordnung der Gestapo an die 20.000 friedliche Sowjetbürger aus ihren Stadtwohnungen in die Baracken umgesiedelt, die sich auf dem Territorium der Charkower Traktorenwerke befanden. Nachher wurden sie gruppenweise zu 200 bis 300 Mann in eine nahe gelegene Schlucht geführt und dort erschossen. […] So wurden im Dezember 1941 durch die Gestapo 435 Kranke erschossen, die sich im Charkower Gebietskrankenhaus befanden, darunter auch viele Greise und Kinder. Im März 1943 wurden von den Deutschen 800 verwundete Kämpfer und Offiziere der Roten Armee erschossen und lebendig verbrannt, die sich im ersten Durchgangslazarett der 69. Armee in der Stadt Charkow, Trinkler-Straße. Zur Heilung befanden“.[23]

Die israelische Armee zog sich gestern nach über zweiwöchiger Invadierung aus dem größten Krankenhaus von Gaza zurück und hinterließ eine Trümmerlandschaft mit zerstörten Gebäuden sowie mindestens 300 Toten, darunter ÄrztInnen und Pflegepersonal, PatientInnen und Menschen, die am Krankenhausgelände Schutz gesucht hatten. Zahlreiche Personen wurden verhaftet, ihr Verbleib ist unbekannt. Mindestens 21 PatientInnen seien seit Beginn der Invadierung gestorben, teilte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf X mit. Noch über 100 Patienten sollen sich im zerstörten Gebäude befinden, darunter vier Kinder und 28 PatientInnen in kritischem Zustand. Tedros Adhanom Ghebreyesus fügte hinzu, dass es keine Windeln, Urinbeutel oder Wasser zum Reinigen der Wunden gebe und die PatientInnen an infizierten Wunden und Dehydrierung litten. Hossam Shabat, Journalist aus Gaza, berichtete gestern vor Ort: >In den letzten 6 Monaten habe ich ununterbrochen über die Geschehnisse in Gaza berichtet, aber was ich heute bei meinem Besuch im Al-Shifa-Krankenhaus gesehen habe, war mit nichts zu vergleichen, was ich je zuvor erlebt habe. Die israelischen Besatzungstruppen haben 300 Palästinenser in und um das Krankenhaus herum getötet. […] Die Leichen befanden sich in einem entsetzlichen Zustand, viele hatten Hände und Beine auf dem Rücken gefesselt und waren von einem Bulldozer plattgedrückt worden. […]Mehrere Leichen waren verwest und teilweise von streunenden Hunden angefressen. Die meisten Toten waren nicht zu erkennen; die Familien konnten sie nur anhand ihrer Kleidung identifizieren<“.[24]

Deutsche Aufrüstung und Waffenexporte werden zur „Ertüchtigungshilfe“

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz jubelt anlässlich seines Besuchs bei Rheinmetall am 12. Februar 2024: „Die Dimensionen dieses Projekts und auch die des schon bestehenden Werks sind wirklich beeindruckend. Das hat uns der Rundgang gerade noch einmal gezeigt. 200.000 Artilleriegeschosse pro Jahr, dazu Sprengstoff und Komponenten für Raketenartillerie sollen hier künftig entstehen. […] Dänemark und Deutschland beschaffen gemeinsam Kampfpanzer, Haubitzen und dringend benötigte Artilleriemunition für die Ukraine. Dänische und deutsche Unternehmen kooperieren bei der Lieferung von Aufklärungsdrohnen. Dänemark ist der von Deutschland initiierten European Sky Shield Initiative beigetreten, mit der wir die europäische Luftverteidigung im Rahmen der NATO stärken wollen. Diesen Weg gehen wir weiter und wir wünschen, dass sich uns noch mehr Länder anschließen. Die nötigen finanziellen Mittel sind dabei das eine. Eine starke Verteidigung braucht aber eben auch eine solide industrielle Grundlage und die entsteht, wenn wir Europäer unsere Bestellungen bündeln, wenn wir unsere Mittel zusammenführen und die Industrie somit Perspektiven für die nächsten 10, 20 oder 30 Jahre geben. Wir müssen weg von der Manufaktur hin zur Großfertigung von Rüstungsgütern“.[25] 

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 17. Februar 2024 spricht der deutsche Kanzler: „Die Bedrohung durch Russland ist real. […] Wir in Deutschland haben ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr in unsrer Verfassung verankert. Davon sind inzwischen rund 80 Prozent vertraglich gebunden. Verteidigungsminister Pistorius und ich haben entschieden, eine deutsche Kampfbrigade dauerhaft an der Ostflanke der NATO, in Litauen, zu stationieren“.[26] Die Soldaten der neuen deutschen Kampfbrigade in Litauen sind permanent dort stationiert und können ihre Angehörigen nachkommen lassen.[27] Es ist diese deutsche Kampfbrigade aus Panzergrenadier- und Kampfpanzereinheiten ein deutscher Vorposten gegen den angedachten Einmarsch in Russland aus den 2004 der NATO beigetretenen baltischen Staaten. Der Krieg in der Ukraine, der auch nach Einschätzung von Oskar Lafontaine (*1943) „in Wirklichkeit ein Stellvertreterkrieg der USA mit Rußland ist“,[28] wird für diese deutsche Kriegspositionierung zur propagandistischen Kulisse. Der gesamtukrainische Verband „Deutsche Jugend in der Ukraine“ wird vom „Rat der Deutschen der Ukraine“ und durch ein eigenes Internetportal instrumentalisiert. Die österreichische Regierung lässt es gerne zu, dass die Theresianische Militärakademie bei der Ausbildung am „Baltic Defence College“ ihr know how einbringt.[29]

Deutschland beliefert die formal von Wolodymy Selenskyi (*1978) befehligten Vortruppen der NATO mit Ausrüstung- und Waffenlieferungen, zu deren Schwerpunkt das Patriot-Raketensystem gehört. Die Finanzierung erfolgt, wie die von der Präsidentin des deutschen Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr Annette Lehnigk-Emden (*1961) lancierte Sprachregelung in Deutschland lautet,[30] „aus Mitteln der Ertüchtigungshilfe“, die sich nach der Presseaussendung der deutschen Regierung vom 28. März 2024 allein für das Jahr 2024 auf etwa 7,1 Milliarden Euro belaufen.[31]

Manfred Stern 2013/2014 über Deutschlands Aufmarsch

Die Wiener Widerstandskämpferin Alice Melber (1921–2007) und der „Österreichische Freiwillige in der Roten Armee“ Leo Stern (1901–1982), der 1945 mit der sowjetischen Armee nach Wien zurückgekommen ist, haben am 10. Oktober 1946 in Wien geheiratet.[32] Ihr dort geborener Sohn Manfred Stern (1946–2018) war Mathematiker und vielsprachiger Übersetzer und zuletzt in Halle (Saale) ansässig, wo sein Vater als aus Wien ein zweites Mal vertriebener marxistischer Historiker an der Universität gelehrt hat. Aus Halle hat Manfred Stern dem Autor, der seine Mutter über den Wiener Widerstandskämpfer Eduard Rabofsky (1911–1994) kennengelernt hat,[33] gelegentlich E‑Mails geschrieben, die das Vorher des deutschen Aufmarsches in Richtung Russland mit wenigen Sätzen pointiert charakterisieren. Nach der 1989/1990 erfolgten Implosion der Deutschen Demokratischen Republik, von der keine Kriege ausgegangen sind, ist Manfred Stern keiner ihn persönlich ansprechenden Partei beigetreten. Er war erstaunt, dass Gregor Gysi (*1948) als Vorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) von der Friedensfähigkeit der USA sprach. „Ein besonders abschreckendes Beispiel“ waren Manfred Stern die SPD und die Grünen, die Deutschland „wieder kriegsfähig“ gemacht und „zum Krieg geblasen“ haben (16. Juli 2015 an den Autor). Die hier vorgelegten E‑Mails aus 2013/2014 sind so wieder gegeben, wie sie beim Autor angekommen sind.

Dienstag, 19. März 2013, 18:59
… ich denke, man muss alle moeglichkeiten nutzen, um gegen diese schweinereien aufzutreten, die sich tatsaechlich so abspielen, wie das schweineschlachten: keiner will wissen, wie es im schlachthaus zugeht. das ist vollkommen abgekoppelt vom „normalen“ leben, genau so wie die drohnenfluege. jetzt tutet auch der deutsche kriegsminister kraeftig in das drohnenhorn und tritt kaltschnauzig mit markigen worten in erscheinung.

wenn ich hoere, dass sich der jetzige franzoesische machthaber wiederum nach vorne draengt, dann wird mir speiuebel. So langsam daemmert es bei mir, was mit sozialfaschismus gemeint ist. Und die gruenen sind um keinen deut besser. neulich habe ich mal gehoert, dass russland das schoene sibirien mit industrie verschandelt – sibirien waere naturbelassen so schoen mit froeschen, tigern und vielen anderen wilden tieren. auf die idee, dass die verlagerung der russischen industrieanlagen hinter den ural ein entscheidender faktor fuer den sieg im zweiten weltkrieg gewesen ist, kommt augenscheinlich bei den oekofritzen keiner mehr.

The drone-pig (Das Drohnenschwein)

Wie schön muss es sein
als Drohnenschwein.
Die Drohne, sie fliegt,
das Schwein, es siegt.
Drum tretet fein ein
in die Schweinereih’n.
Drohnen, hört die Signale!
Auf zum Bombengefecht!
Haltet hoch Eure Ideal-ale!
Erbombt das Schweinerecht!
Der Drohnenlenker
Als Cyber-Henker!
Eine Medaille
für die Kanaille
wartet nun schon
als Pentagon-Lohn. 

Donnerstag, 28. März 2013, 22:25
… es ist beaengstigend, wie die westliche „bombenwertegemeinschaft“ mit serbien bzw. jugoslawien unter einer neuen maske die zerstueckelung so unter das gemeine volk gebracht hat, dass hier fast alle im chor geschrieen haben „wir mussten das im namen des voelkerrechts“ tun – rot und gruen (schroeder[34] und fischer[35]) haben damals den bombenkrieg binnen kuerzester zeit unter dem motto „nie wieder auschwitz“ wieder hoffaehig gemacht. handke[36] wurde in allen medien niedergemacht. im mitteldeutschen rundfunk konnten uck-vertreter[37] herumtrompeten „die serben sind tiere“. rudolf arschping – aeh, aeh scharping[38] – verbreitete im fernsehen, dass die serben mit abgehackten koepfen fussball spielen. der war damals kriegsminister, spd-vorsitzender, ziehsohn willi brandts[39], kanzlerkandidat und ueber sehr viele monate laut meinungsumfragen der beliebstes politiker deutschlands. Es ist schlicht zum kotzen gewesen.

in den hiesigen staatlichen medien wurde der jetzige us-aussenminister als vietnam-kriegsheld (sic!) bezeichnet, gestern habe ich in einem radiokommentar gehoert, was general petraeus[40] geleistet habe, damit der irak und afghanistan auf einen gut weg kommen. es ist schier unglaublich, was man hier serviert bekommt. Nebenbei habe er sich auch fuer seine eskapaden entschuldigt und insgesamt für seinen auftritt stehenden applaus bekommen. es verschlaegt einem glatt den atem!! 

Freitag, 9. Mai 2014, 22:38
… wie ich in den mainstream-nachrichten hoere, ist russland mit der krim jetzt wieder im 19. Jahrhundert angekommen. unerhoert die abnahme der parade in sewastopol durch putin[41], so eine frechheit! Da war doch deutschland mit der belagerung sewastopols 1944 schon sehr viel weiter! Das war ja auch bereits gegen mitte des 20. jahrhunderts. diese ereignisse sind den hiesigen meinungsmachern keine zeile wert. da bleiben einem ja nur noch zynische bemerkungen uebrig.,

Samstag, 10. Mai 2014, 10:24
… ich sehe mir uebrigens fast jeden abend die nachrichten des russischen staatsfernsehens an. was putin sagt, kommt hier in den nachrichten entweder gar nicht an oder aber total verdreht. man spricht russland seine dortigen interessen natuerlich vollkommen ab, waehrend hier so ein armleuchter wie struck[42] sagen durfte, dass die deutsche freiheit auch am hindukusch verteidigt wird. es ist unglaublich. neulich habe ich mal wieder den wolfssohn[43] (geschichtsprofessor bei der bundeswehr – uni muenchen) in einer talk-runde gesehen. also so was von einem unbedarften historiker habe ich noch nicht erlebt. der hat so ungefaehr gesagt, dass die erweiterung der friedfertigen nato auch fuer russland eine gute sache sei. der wolfssohn ist ja schon mehrfach durch den unsinn aufgefallen, den er in abstaenden absondert.

Sonntag, 20. Juli 2014, 17:47
…ja es ist schlimm, die regierenden kreise in israel sind leider von allen guten geistern verlassen,

Dienstag, 22. Juli 2014, 22:31
… ich habe gerade auszuege aus der ansprache putins vor dem nationalen sicherheitsrat gesehen. man werde mit einer angemessenen erhoehung der militaerischen kampfkraft auf die nato-drohungen reagieren und nicht zulassen, die territoriale integritaet russlands in irgendeiner weise zu unterhoehlen. er wiederholte auch, dass man russlands erstschlagskapazitaet ausbauen werde.

es ist erschreckend, dass das „friedensbuendnis“ der nato mit seiner politik bedenkenlos die realitaet eines weiteren weltkriegs heraufbeschwoert. nicht des dritten, der meiner meinung nach bereits stattfindet (vom nahen osten bis an die grenzen chinas), sondern schon den naechsten. es ist glueck fue die welt, dass es inzwischen maechtige staaten gibt, die man nicht plattwalzen kann.

Samstag, 9. August 2014, 21:42
…mir liegen noch folgende zwei bemerkungen auf der zunge. i) der friedliebende amerikanische imperialismus hat mal wieder eine gelegenheit zum bombardieren gefunden. wenn ich mich nicht irre, werden jetzt dieselben leute bombardiert, die vor einiger zeit als freiheitskaempfer gegen assad[44] bejubelt worden sind. In einem kommentar (im deutschlandfunk) wurde friedensnobelpreisträger obama[45] ueber den gruenen klee gelobt, dass er nun endlich gehandelt habe. ii) im lokalen mdr-fernsehen (mdr=mitteldeutscher rundfunk) kam in den nachrichten ein bericht ueber einen schueleraustausch mit russland. ein schueler, der sich gemeldet hatte, berichtete, er sei in der schule von mitschuelern als kommunist beschimpft worden. er werde aber trotzdem nach russland fahren.

Dienstag, 2. September 2014, 15.09 und 15:38
…der armleuchter gauck haette ja in seiner gedenkenrede auch ein kleines bisschen darauf eingehen koennen, welches land den hauptbeitrag zur befreiung vom faschismus geleistet hat.

… wer gauck[46] noch vor seinem amtsantritt zugehoert hat, muss seinen militarismus erkannt haben. da war von einer „ukraine-krise“ noch nichts in sicht. gauck hat aber schon in die hoerner von struck und horst koehler[47] gestossen, dass die deutsche freiheit auch am hindukusch verteidigt wird, und zwar militaerisch. es ist einfach beaengstigend, was sich da abspielt. von weltweit eingesetzten us-drohnen und „kollateralschaeden“ spricht niemand mehr.


[1] Pistorius schafft neuen Planungs- und Führungsstab (bmvg​.de)

[2] Zeitenwende-Rede des Bundeskanzlers am 27.2.2022 (bundesregierung​.de)

[3] Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Bundeskanzler der Republik Österreich Nehammer am 18. August 2023 in Salzburg (bundesregierung​.de)

[4] Gustav Janouch: Gespräche mit Kafka. Erinnerungen und Aufzeichnungen. S. Fischer Verlag Frankfurt a. M. 1951, S. 66. 

[5] Šumarice-Gedenkpark – Wikipedia

[6] NATO Crimes in Yugoslavia. Documentary Evidence. 24 March – 24 April 1999. Belgrade May 1999; Wolfgang Richter / Elmar Schmähling / Eckart Spoo: Die Wahrheit über den NATO-Krieg in Jugoslawien. Schrift des Internationalen Vorbereitungskomitees für ein Europäisches Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Schkeuditzer Buchverlag 2000. 

[7] Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotierten. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. orell füssli Verlag, 5. A. Zürich 2017. 

[8] Dieses neue Strategische Konzept der NATO ist veröffentlicht im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 24 vom 3. Mai 1999.

[9] Vgl. Eduard Rabofsky / Gerhard Oberkofler: Verborgene Wurzeln der NS-Justiz. Strafrechtliche Rüstung für zwei Weltkriege Europaverlag Wien 1985, S. 118. 

[10] Bundesheer – Aktuell – „CEDC+“-Treffen der Verteidigungspolitischen Direktoren (bmlv​.gv​.at)

[11] Truppendienst 396, S. 4

[12] ÖMZ 01/2024, S. 71.

[13] Die Furche vom 4. April 2024.

[14] Brief Zoran Konstantinović an György Sebestýen vom 5. Jänner 1985. Literaturarchiv der ÖNB.

[15] „Orientierung über den Balkan“. Ein Gespräch mit Zoran Konstantinović über die Jugoslawienkrise. Dokumentiert von Gerhard Oberkofler und Peter Goller. Innsbruck 1994, S. 54.

[16] Max Frisch: Tagebuch 1966–1971. Buchclub Ex Libris Zürich 1974, S. 25.

[17] Max Frisch: Forderungen des Tages. Porträts, Skizzen, Reden 1943–1982. suhrkamp taschenbuch. Frankfurt a. M. 1983, S. 90.

[18] Das junge Deutschland will Arbeit und Frieden. Reden des Reichskanzlers Adolf Hitler des neuen Deutschlands Führer. Mit einem Vorwort von Dr. Joseph Goebbels. Herausgeber: Demann, Berlin. Druck und Verlag: Liebheit & Thiessen, Berlin 1933. Hier S. 24 f.; vgl. dazu Kurt Pätzold / Manfred Weißbecker (Hg.): Schlagwörter und Schlachtrufe. Band 1. Militzke Verlag Leipzig 2002. 

[19] Das junge Deutschland, S. 67.

[20] Reden des Führers am Parteitag der Arbeit 1937. Zentralverlag der NSDAP., Franz Eher Nachf., München 1938, S. 94 f. und S. 77.

[21] Ebenda, S. 97.

[22] Der großdeutsche Freiheitskampf. Reden Adolf Hitlers vom 1. September 1939 bis 10. März 1940. Zentralverlag der NSDAP., Franz Eher Nachf., München 1940, S. 26.

[23] Deutsche Greuel in Russland. Gerichtstag in Charkow. Stern Verlag Wien 1945, S. 93.

[24] Tweet von WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, 31.03.2024

[25] Rede von Bundeskanzler Scholz anlässlich seines Besuchs bei Rheinmetall am 12. Februar 2024; Weshalb liefert die Deutsche Bundesrepublik Panzer für den Krieg gegen Russland? – Zeitung der Arbeit

[26] Rede von Bundeskanzler Scholz bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 17. Februar 2024 (bundesregierung​.de)

[27] ÖMZ 01/2024, S. 76 f. 

[28] Oskar Lafontaine: Ami, it’s time to go! Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas. Westend Verlag 5., erweiterte und aktualisierte A. 2023, S. 73.

[29] Truppendienst 394// 62. Jahrgang, 4//2023.

[30] wt- Wehrtechnik VI/2023, S. 19–22.

[31] Waffen und militärische Ausrüstung für die Ukraine | Bundesregierung

[32] Gerhard Oberkofler / Manfred Stern: Leo (Jonas Leib) Stern. Ein Leben für Solidarität, Freiheit und Frieden. StudienVerlag Innsbruck 2019.

[33] Gerhard Oberkofler: Eduard Rabofsky. Jurist der Arbeiterklasse. Eine politische Biographie. StudienVerlag Innsbruck / Wien 1997.

[34] Gerhard Schröder (*1944)

[35] Joschka Fischer (*1948)

[36] Peter Handke (*1942)

[37] Kurzform für albanisch Ushtria Çlirimtare e Kosovës

[38] Rudolf Scharping (*1947)

[39] Willy Brandt (1913–1992)

[40] David Petraeus (*1952)

[41] Wladimir Putin (*1952)

[42] Peter Struck (1943–2012)

[43] Michael Wolfssohn (*1947)

[44] Baschar Hafiz al-Assad (*1965)

[45] Barack Obama (*1961)

[46] Joachim Gauck (*1940)

[47] Horst Köhler (*1943)

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