Tunesien ist eines der Transitländer von Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa. Viele brechen von der tunesischen Küste in Richtung Italien auf. Die EU versucht schon länger, einen Deal bei der Bekämpfung von Geflüchteten mit Tunesien abzuschließen. Am Sonntag wurde nun eine Absichtserklärung zwischen Tunesien und der EU unterzeichnet.
Tunis. Am Sonntag unterzeichneten der tunesische Präsident Kais Saied, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Premier Mark Rutte eine gemeinsame Absichtserklärung zur Bekämpfung von Geflüchteten und einer engeren wirtschaftlichen Kooperation.
Tunesien ist seit längerem das Ziel von Menschen auf der Flucht, speziell aus Afrika. Diese versuchen zumeist, von Tunesien aus mit Booten über das Mittelmeer italienische Inseln oder die Küste zu erreichen. Einer der Gründe ist, dass dies von der libyschen Küste aus kaum noch möglich ist, da diese von der libyschen Küstenwache gemeinsam mit Frontex stark überwacht wird. Immer wieder gab es auch Berichte von illegalen Pushbacks durch Frontex sowie von Schüssen der libyschen Küstenwache auf Boote mit Geflüchteten.
In Tunesien haben sich mittlerweile viele Geflüchtete in der Hafenstadt Sfax versammelt. Zu Beginn waren sie vielen Tunesierinnen und Tunesiern willkommen. Einerseits konnte man sie als billige Arbeitskräfte ausbeuten, andererseits konnte gutes Geld mit dem Verkauf von Waren und Booten an die Menschen verdient werden. Zuletzt kam es zunehmend zu Auseinandersetzungen, da die Flüchtlinge begonnen haben, sich ihre eigenen Infrastrukturen zu schaffen.
Wirtschaftliche Probleme und Abkommen mit EU
Tunesien hat mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Das Land steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Ein Kredit des Internationalen Währungsfonds kam bisher nicht zustande, da die tunesische Regierung die an einen solchen Kredit geknüpften Bedingungen ablehnt. Der IWF will die tunesische Regierung zu einer Reihe von Reformen zwingen.
Die Europäische Union versucht, dies seit geraumer Zeit zur Durchsetzung eigener politischer und ökonomischer Interessen in Tunesien auszunutzen. In den vergangenen Monaten bemühte sich die EU daher, in verschiedenen Verhandlungen Abkommen mit Tunesien zu erzielen. In der medialen Berichterstattung hierzulande standen die Migrationspolitik und wirtschaftliche Unterstützung im Mittelpunkt.
Am vergangenen Sonntag haben nun der tunesische Präsident Kais Saied, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der niederländische Premier Mark Rutte eine Absichtserklärung für ein Abkommen unterzeichnet. Von der Leyen bezeichnete die ausverhandelten Eckpunkte als ein „starkes Paket“, das „eine Investition in unseren gemeinsamen Wohlstand, unsere Stabilität und künftige Generationen darstellt“.
Konkret will die EU sofort 100 Millionen Euro für die Bekämpfung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Weitere zehn Millionen sollen zur Förderung eines Schüleraustausches und 65 Millionen für die Modernisierung von Schulen aufgewendet werden. Außerdem wurde Tunesien ein Kredit in der Höhe von 900 Millionen Euro angeboten. Diese sollen in die makroökonomische Stabilität, Handel und Investitionen, die grüne Energiewende und die legale Einwanderung fließen. Insgesamt handelt es sich also auch um gute Geschäfte für das europäische Monopol- und Finanzkapital.
Einziger Haken an der Sache: Said muss den Reformforderungen des IWF zustimmen. Diese umfassen unter anderem die Kürzung von Subventionen für Grundnahrungsmittel und ‑dienstleistungen sowie die Umstrukturierung von 100 staatlichen Unternehmen und die Kürzung öffentlicher Lohnkosten. Das lehnte Said bisher ab. Er hatte in der Vergangenheit aber auch erklärt, nicht den Grenzpolizisten für die EU spielen zu wollen. Das hat sich nun offenbar geändert.
Abschiebung und Vertreibung von Geflüchteten
Bereits seit Anfang Juli lässt Said Geflüchtete in der zweitgrößten Stadt Tunesiens, in der Hafenstadt Sfax, zusammentreiben. Anschließend werden sie in der Wüste im Grenzgebiet zu Libyen ohne Nahrungsmittel und Trinkwasser ausgesetzt. Ihnen wird gesagt, sie sollen Tunesien verlassen. Einige berichteten auch über Schläge und ähnliches durch die tunesischen Behörden. Auch ihre Pässe sollen vom Militär verbrannt worden sein.
Bereits damals zeichnete sich ein Schwenk Saids in der Frage von Flucht und Migration ab. Die Aktion war eine Reaktion, nachdem ein Tunesier bei einer Auseinandersetzung von einem Geflüchteten erstochen wurde. Said hatte im Februar eine rassistische und flüchtlingsfeindliche Rede gehalten. Seitdem nehmen rassistisch motivierte Auseinandersetzungen in Tunesien zu.
Die libyschen Behörden hatten ursprünglich angekündigt, die Menschen wieder nach Tunesien abzuschieben, da sie das Land illegal betreten haben. Libyen forderte außerdem den Roten Halbmond dazu auf, sich um die Menschen zu kümmern. Mittlerweile hat Libyen zugesagt, die betroffenen Menschen aufzunehmen. Insgesamt zeichnet sich ab, dass die EU mit diesem Deal darauf abzielt, Tunesien zum sicheren Drittland zu erklären. Geflüchtete, die durch Tunesien reisen, sollen zukünftig auch dorthin abgeschoben werden können.