Der Staatsstreich in Niger könnte massive Auswirkungen auf den europäischen Markt haben – die EU steht vor einer dramatischen Umorientierung in ihrer Uranpolitik und muss ihr Auge nach Osten richten. Für die Ausbeutung nigrischen Urans sind wiederum andere Imperialismen sofort zur Stelle.
Niamey. Der afrikanische Staat Niger ist einer der weltweit größten Produzenten von Uran. Dieses wird vor allem als Brennstoff für Atomkraftwerke zur Stromerzeugung verwendet und darüber hinaus ist Uran in der Medizin, der Industrie und vor allem im militärischen Bereich für die Herstellung von Atomsprengköpfen sehr gefragt. Der Staatsstreich von General Abdourahamane Tchiani, der zum Sturz des gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum führte, könnte diesbezüglich schwerwiegende Auswirkungen haben, auch im Anbetracht der Geopolitik. Denn der Konflikt ist Teil der breiteren imperialistischen Konfrontation der westlichen Mächte (USA, NATO, EU) mit der Russischen Föderation und der VR China. Dieses Mal konzentriert sich das imperialistische Patt auf die rohstoffreiche Sahelzone und aktiviert die jahrzehntealten politischen Spaltungen in Westafrika.
Französischer Konzern Orano höchst unbeliebt
Frankreich ist in hohem Maße auf die Erzeugung von Kernenergie angewiesen ist, etwa 15 Prozent des französischen Uranbedarfs stammt aus Niger. Auf europäischer Ebene steigt dieser Anteil auf rund 20 Prozent, wobei Niger im Jahr 2021 sogar der führende Lieferant des Kontinents war. Ein Jahr darauf fällt es auf den zweiten Platz zurück, wie aus offiziellen Daten der europäischen Behörden hervorgeht.
Im Falle einer plötzlichen Unterbrechung des Handelsflusses könnte damit der größte Rückschlag für die gesamte EU eintreten. Der französische Atomkonzern Orano, der drei riesige Uranminen in Niger besitzt (darunter das zweitgrößte Vorkommen der Welt), setzt seine Tätigkeit in Niger vorerst fort, was sich jedoch in absehbarer Zeit auch durchaus ändern könnte. Seit einiger Zeit gab es Unmut gegen die französischen Minenbetreiber. Nachdem Orano im Jahr 2021 die Cominak-Mine schloss, hinterließen die Franzosen etwa 20 Millionen Tonnen Abraum auf einer Fläche von etwa 120 Hektar, aufgeschüttet zu Halden von bis zu 35 Metern Höhe. Die örtliche Bevölkerung war zu Recht besorgt um ihre Gesundheit. Orano erklärte sich bereit, den Abfall zu nivellieren und unter einer zwei Meter dicken Schicht aus wasserdichtem Ton und Sandstein zu begraben. Diese Arbeiten sollten etwa zehn Jahre in Anspruch nehmen. Zusätzlich sollte die Luft- und Wasserqualität für mindestens fünf Jahre überwacht werden. Orano beteuerte, dass die radioaktive Belastung des Abraums äußerst gering sei.
Kritiker sagen jedoch, dass Radioaktivität dennoch durch Risse austreten könnte. Die französische Kommission für unabhängige Forschung und Information über Strahlung (CRIIRAD) bezeichnete die Situation als eine bedrohliche Gefahr für die Wasserversorgung der etwa 177.000 Menschen, die in der Region leben. Bereits 2009 hatte die Organisation bei Messungen moniert, dass die radioaktive Belastung deutlich über den internationalen Grenzwerten lag. Nach den schlechten Erfahrungen mit Orano wird die örtliche Bevölkerung also eher einem Wechsel der Betreiber gewogen sein, auch wenn das bedeutet, eine imperialistische Macht mit einer anderen auszuwechseln.
Knapp die Hälfte der Einfuhren nuklearen Brennmaterials unsicher
Am 1. August gab die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) eine Erklärung ab, in der sie betonte, dass selbst bei einem Stopp des Niger-Flusses die Kapazität zur Stromerzeugung durch Kernkraftwerke nicht beeinträchtigt würde, da die bestehenden europäischen Lagerstätten anscheinend die Autonomie für mindestens drei Jahre garantieren sollten. Die Lage für die europäische Stromversorgung ist aufgrund des Putsches in mittelfristiger Hinsicht dennoch besorgniserregend. Im Jahr 2021 steuerte die Russische Föderation immerhin 20 Prozent der Uranimporte bei.
Mit dem Niger als zusätzlichem Lieferanten steht nun bei knapp der Hälfte des nuklearen Brennmaterialimports ein Unsicherheitsfaktor im Raum. Wenn der stetige Fluss von strategischen Rohstoffen ins Wanken gerät, muss auf Perspektive nach Alternativquellen gesucht werden.
EU-Markt vor Umorientierung
Bereits Ende Juni reiste der französische Energieminister in die Mongolei, um eine Vereinbarung zu treffen, die eine Investition von einer Milliarde Euro in den Uransektor vorsieht. Das Abkommen soll im Herbst offiziell abgeschlossen werden, wird aber angesichts der neuesten Vorkommnisse in Niger höchstwahrscheinlich beschleunigt werden. Aufgrund der geographischen Nähe gehen derzeit 80 Prozent der mongolischen Uranexporte nach China. Die Mongolei strebt jedoch einer Erweiterung der Liste seiner Partner entgegen.
Allerdings wird der Uransektor von anderen Akteuren dominiert, allen voran Kasachstan mit einem Weltmarktanteil von über 43 Prozent. Im Vergleich zu den rund 2000 Tonnen, die Niger im Jahr 2022 produzierte, eine Quantität, die das afrikanische Land zum siebtgrößten Produzenten der Welt macht, mehr als 21.000 Tonnen in Minen in Kasachstan produziert wurden. Das zweitgrößte Land der Welt in Bezug auf die Produktionskapazität, Kanada, folgt mit großem Abstand mit 7000 Tonnen, darauf folgt das afrikanische Land Namibia mit 5600 Tonnen. Auf den vorderen Plätzen findet sich auch die Russische Föderation mit einem Produktionsanteil, der knapp über dem von Niger liegt.
In fremden Gewässern fischen
Die Russische Föderation war, wie erwähnt, 2021 noch die drittwichtigste Uranquelle auf europäischer Ebene, in einer Rangliste, die von Niger angeführt wurde, gefolgt von Kasachstan, das dann 2022 der erste Lieferant wurde. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Anwendung von Sanktionen auf europäischer Ebene gegen Russland im Uran- und Kernenergiesektor, die derzeit von den nach dem Einmarsch in der Ukraine eingeleiteten Maßnahmen ausgenommen sind, weiter in die Ferne rücken.
Die EU wird dann mit großer Wahrscheinlichkeit mit Kasachstan liebäugeln. Derzeit ist Kasachstan aber der wichtigste Uranlieferant der Russischen Föderation. Der größte Teil des von Russland exportierten Metalls stammt aus Kasachstan, da Moskau über die größte Uranverarbeitungskapazität der Welt verfügt und das russische Territorium eine wichtige geographische Durchgangsstation für die zentralasiatische Republik darstellt.
Kasachstan verkauft auch Rohstoffe an die VR China, und im Mai dieses Jahres wurde ein weiterer wichtiger Liefervertrag unterzeichnet. Mit zwei Schwergewichten wie Moskau und Peking, gefolgt von Washington, als Hauptabnehmern ist es für Kasachstan schwierig, seine Partner oder auch nur die verkauften Quoten weiter auszubauen ohne gleichzeitig die Ausfuhren in andere Richtungen zu verringern.
Die Lage in Niger bleibt (un)klar
Aber zurück nach Afrika: Die Sahelzone, diese riesige Region, die sich von der Westküste Afrikas am Golf von Guinea bis zur Küste Eritreas am Roten Meer erstreckt, hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend die Interessen rivalisierender imperialistischer Zentren auf sich gezogen und damit den Wettbewerb verschärft. Der Reichtum an Bodenschätzen in der Sahelzone ist enorm, denn er umfasst große Vorkommen an Gold, Kupfer, Erdöl, Erdgas, Bauxit und nicht zuletzt von Uran, die von verschiedenen Monopolherren ausgebeutet oder überwacht werden.
Sollte die neue Regierung in Niger die Oberhand behalten und die französischen Monopole den Zugang zu billigem Uran verlieren, werden mit großer Wahrscheinlichkeit die chinesischen Konzerne davon erheblich profitieren. Die VR China hat in den letzten Jahren seinen Einfluss auf die Wirtschaft des Landes durch die Finanzierung und den Bau großer Infrastrukturprojekte, insbesondere im Energiebereich (Ölpipeline, Projekte zur Ausbeutung von Öl- und Uranvorkommen, moderne Raffinerien usw.), verstärkt.
Grund zur Hoffnung in eine Verbesserung der Lage der nigrischen Bevölkerung ist wenig stichhaltig und eher von gefühlsmäßigem Antiamerikanismus und Antieuropäismus geprägt. Es ist nur ein halber und dazu besonders seichter Antiimperialismus, der davon ausgeht, dass Niger durch die Abkehr westlicher Kapitalfraktionen an Souveränität dazugewinnen könnte. Der Preis für die imperialistische Konkurrenz wird, wie immer in diesen Fällen und insbesondere auch hierbei, von der Arbeiterklasse des Landes teuer bezahlt werden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter Nigers werden nun gegen ihre klassenmäßigen Interessen dazu gezwungen, sich zwischen einem der beiden imperialistischen Blöcke zu entscheiden, die die Bodenschätze ihrer Länder auszubeuten trachten. Es ist eine aufgezwungene Wahl, die, von der Dynamik des Staatstreichs beflügelt, auf Biegen und Brechen stattfinden wird.