Im Schnitt sollte jeder Mensch in Österreich 100.000 Euro am Konto haben – suggeriert eine aktuelle Studie über das private Finanzvermögen der Österreicher. Die Wahrheit ist natürlich eine ganz andere.
Wien. „Finanzvermögen der Österreicher in Rekordhöhe“, jubelt „Der Standard“ in einer übernommenen APA-Meldung. Nach einem Einbruch (minus 15 Mrd. Euro oder 2,2%) im ersten Quartal 2020 aufgrund Corona-bedingter Aktienwertverluste hätten sich die Märkte wieder erholt und „die Österreicher“ so viel privates Finanzvermögen angesammelt wie nie zuvor. Dieses Finanzvermögen setzt sich aus Bargeld, Spareinlagen, Aktien und Fonds zusammen und beläuft sich in Österreich nun zum Ende des zweiten Quartals auf insgesamt 722 Milliarden Euro. Legt man dies auf Bevölkerung um, d.h. auf die rund 7,2 Millionen erwachsenen Menschen in Österreich (ungeachtet der Staatsbürgerschaft), dann hat also jede Person im Schnitt über 100.000 Euro auf dem Konto. Die meisten Menschen werden sich angesichts dieses statistischen Mittelwertes jedoch fragen: Wo ist mein Geld?
Hohle Statistik ohne Wert
Nun, es hat jemand anderer. Die Blödsinnigkeit des „Standard“-Titels sowie der gesamten Meldung, die auf eine Untersuchung der ING-Bank anhand von EZB‑, Börsen- und Eurostat-Daten zurückgeht, ist evident. Freilich wird mit propagandistischer Absicht suggeriert, „die Österreicher“ würden immer reicher und es ginge ihnen so gut wie nie zuvor. In Wahrheit trifft dies selbstverständlich nur auf eine kleine Minderheit zu: Diese hat weit mehr als die 100.000 Euro, die statistisch jeder besitzen sollte, nämlich Millionen- und Milliardenbeträge, wodurch für die große Masse natürlich weitaus weniger oder eben gar nichts übrigbleibt, viele Menschen haben auch ein Minus am Konto. 16,9 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, 13,3 Prozent armutsgefährdet, 2,6% erheblich materiell depriviert (so die aktuellen Infos der Armutskonferenz). Ein relevanter Anteil der Bevölkerung lebt zwar unter relativ sicheren Existenzbedingungen, kann auf Basis der Löhne und Gehälter aber eben nur leben, kein Vermögen oder Eigentum „ansparen“, wie gerne empfohlen wird. Das sind die wahren Fakten. Und es gibt einen Zusammenhang: Die einen sind nur deshalb reich, weil die anderen arm sind – und umgekehrt.
Kapitalismus schafft Ungleichheit
Dass sich die Mehrheit der abgesichert eigentumslosen Menschen oder gar die armen Menschen nun freuen sollen, dass die österreichischen Reichen und Superreichen noch reicher werden, ist ein bisschen viel verlangt, zumal in der ING-„Studie“ nur Privatvermögen erfasst wird, das unproduktiv ist, also nicht für materielle Investitionen genützt wird. Hier zieht nicht einmal mehr der Schmäh, dass durch kapitalistische Reichtümer eben auch Arbeitsplätze geschaffen würden. Und die Wahrheit ist sowieso umgekehrt: Die Masse der arbeitenden Menschen schaffen mit ihrer Arbeitskraft den Reichtum, den sich die Kapitalisten als Profit aneignen, während für die eigentlichen Produzenten nur die Existenzsicherung vorgesehen ist – und für manche nicht einmal das. Die Corona-Epidemie und die folgende Wirtschaftskrise verschärfen die Situation weiter. Wenn ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem solche Ungleichheiten schafft – und zwar nicht zufällig, sondern aufgrund seiner Gesetzmäßigkeiten –, dann ist es für die große Masse der Menschen nichts als Ausbeutung und daher entbehrlich. Man muss die Herrschenden des Kapitalismus offensichtlich entmachten und enteignen, um Gerechtigkeit und Wohlstand für alle zu erhalten. Das wäre wahre Umverteilung und Gerechtigkeit.
Quelle: Der Standard