HomePanoramaLabour-Baron gegen Proletensprache der Arbeiterklasse

Labour-Baron gegen Proletensprache der Arbeiterklasse

Lord Digby Jones, Baron von Birmingham, „kritisiert“ die BBC-Moderatorin Alex Scott, eine ehemalige Fußallspielerin, für ihren Arbeiterklasseakzent.

London/Tokio. Bemerkenswerte 140 Spiele hat Alexandra „Alex“ Scott für das englische Fußballnationalteam der Frauen absolviert und dabei zwölf Tore erzielt – als Verteidigerin. Sie war 2015 WM-Dritte mit England sowie mehrfach nationale Meisterin und Pokalsiegerin mit dem Arsenal LFC, mit dem sie 2006 auch den UEFA Cup gewann. Alex Scott kann auf eine großartige sportliche Karriere zurückblicken, wofür sie 2019 auch mit dem „Order of the British Empire“ (MBE) ausgezeichnet und Mitglied der englischen „Football Hall of Fame“ wurde. Seit ihrem Rücktritt als aktive Spielerin im Jahr 2018 arbeitet sie für das staatlichen Fernsehen der BBC als Kommentatorin und Moderatorin.

Dass Scott 2019 im britischen TV die Fußball-WM der Frauen kommentierte, ging ja noch an. Allerdings wurde sie von der BBC (und zwischenzeitlich von Sky Sports) auch bei der Fußball-WM 2018 der Männer eingesetzt, ebenso bei Spielen der englischen Premier League der Männer. Und da fängt das Problem an: Einige Männer halten nichts davon, wenn Frauen über Männerfußball reden, schon gar nicht im Fernsehen. Es erscheint zwar schwierig, Scott die Kompetenz absprechen zu wollen, doch das hält seit 2018 viele Idioten nicht davon ab, ihre TV-Auftritte mit allerlei beleidigenden, zumeist sexistischen Diffamierungen und Anfeindungen zu versehen, nicht zuletzt auf Social Media-Kanälen. Doch nun wurde eine neue Facette der Anti-Scott-Kampagne bespielt.

Seiner Lordschaft missfällt East End-Akzent

Denn Alex Scott ist gegenwärtig für die BBC bei den Olympischen Spielen in Tokio im Einsatz und berichtet am Fernsehschirm regelmäßig aus Japan nach Großbritannien. Und „Seine Lordschaft“ Digby Jones, (ernannter) Baron von Birmingham, als Life Peer Mitglied des britischen House of Lords, empfindet die Performance von Scott überaus abstoßend, wie es ihm auf Twitter zu verkünden gefiel: „Ich halte es nicht mehr aus!“, schrieb er. Scott verderbe die Präsentation „mit ihrer sehr deutlichen Unfähigkeit, ein ‚g‘ am Ende eines Wortes auszusprechen.“ Tatsächlich „verschluckt“ Scott diesen Buchstaben, sie sagte immer wieder „boxin“, „rowin“ oder „fencin“ statt „boxing“, „rowing“ oder „fencing“ – und das ist ihrer Herkunft geschuldet: Dies entspricht dem klassischen proletarischen Londoner East End-Akzent. Der ehrenwerte Lord Jones ist also durch Scotts Prägung aus der englischen Arbeiterklasse angewidert.

Eine solche Herabwürdigung und Missachtung der Arbeiterklasse ist im 21. Jahrhundert schon ein starkes Stück, selbst für einen englischen Aristokraten. Offenbar hat die BBC für Digby Jones ein Hort der „Received Pronunciation“ der Upper Class zu sein, während der ungebildete Pöbel mit seinem Cockney-Slang im TV nichts verloren hat. Dass der vornehme Herr Jones, nebenher industrieller Unternehmer, derart arbeiterfeindlich ist, wird durch seine politische Zuordnung noch absurder: Er ist Mitglied der Labour Party – aber das sagt wohl mehr über die Labour Party aus als über Jones.

Wie dem auch sei – eine selbstbewusste Frau aus der Londoner Arbeiterschaft wie Alex Scott kann ohnedies gut zurückschlagen. Sie antwortete auf Twitter mit den Worten: „Ich bin aus einer Familie der Arbeiterklasse aus Ostlondon, Poplar, Tower Hamlets und ich bin stolz! Stolz, dass ein junges Mädchen Hindernisse überwinden konnte, stolz auf meinen Akzent!“ – Ja, so ist das: Die richtige Antwort auf Lord Jones. Die ZdA-Redaktion ist geneigt hinzuzufügen: Wir bitten untertänigst um Verzeihung, Mylord, aber es geht den Adel einen verdammten Scheißdreck an, wie die Arbeiterklasse spricht. Und wenn wir höflich bitten dürfen: Halten Sie sich vom Fußball fern – der gehört auch uns. Ebenso wie die Zukunft, in der Euresgleichen entmachtet und enteignet sein werden.

Quelle: Der Standard

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