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Après-Ski ist vor dem Corona-Loch

Der Kalender beharrt hartnäckig auf August, doch in den Alpen bereiten sich die Skiliftbetreiber auf die Wintersaison vor. Deren Branchensprecher in der Wirtschaftskammer verlangt nun politische und ökonomische Maßnahmen und Garantien zur Tourismusrettung – schließlich ist Tirol ja nicht Kroatien und soll’s auch nicht werden.

Innsbruck. Die Sommerferien mitsamt Reise- und Infektionsturbulenzen der Pannen-Bundesregierung sind noch nicht vorbei, da wird schon das kommende Winterurlaubschaos vorbereitet: Angesichts der orientierungs- bis verantwortungslosen Politik und steigender Corona-Infektionszahlen sorgt man sich in Tirol um die Wintersaison, denn diese ist natürlich touristisches Hauptinteresse in den Alpen. Deshalb tritt Franz Hörl auf den Plan, in seiner Eigenschaft als Fachverbandsobmann der Seilbahnwirtschaft in der Wirtschaftskammer Österreich, und stellt Forderungen auf. Dass er dafür überhaupt Zeit hat, ist bemerkenswert, da Hörl ein vielbeschäftigter Mann ist: Nicht nur als oberster Seilbahnen-/Skilift-Lobbyist, sondern auch als Landesobmann des Tiroler Wirtschaftsbundes und Nationalratsabgeordneter der ÖVP. Zudem beitreibt er als Hotelier in Gerlos, in einem Seitental des Zillertals, den „Gaspingerhof“ und ist Geschäftsführer des örtlichen Skiliftzentrums – den Bürgermeisterposten, den er in Gerlos 17 Jahre lang bekleidete, hat er aber auf- und abgegeben. Man kann sich schließlich nicht um alles selbst kümmern.

Wenn die Gondeln Viren tragen

Wie dem auch sei (wir kommen darauf zurück) – Hörl ist es ein Anliegen, klare Regeln für die kommende Wintersaison aufzustellen. Bei den Seilbahnen, die offiziell als öffentliche Verkehrsmittel gelten, sieht die Bergbahnen-Branche kaum ein Problem: 85 Prozent der Fahrbetriebsmittel seien Sessel- und Schlepplifte, wo die Fahrgäste ja ohnedies im Freien – quasi in der Natur – seien. In den geschlossenen Seilbahn-Gondeln hingegen würde Maskenpflicht herrschen, wobei Wintersportler sich ja sowieso gegen die jahreszeitliche Kälte schützen müssten, insofern auch nichts gegen MNS-Vorschriften hätten. Eine Beschränkung der Fahrgastzahlen lehnt man ab, man würde aber in den Gondeln die Fenster öffnen und lüften, zudem läge die Fahrtzeit nirgends über dem kritischen 15-Minuten-Limit. Etwaige Staus in der Talstation könnten durch ein Leitsystem aufgelöst werden – was auch immer das heißt. Alles super also, man kann gar nichts falsch machen. Mehr Sorgen als das Lift- und Skifahren bereiten Hörl jedoch die Après-Ski-Bedingungen, womit er sogar recht hat, denn diese haben ja bekanntlich Ischgl das Genick gebrochen.

Kontrollierte Corona-Partys?

Apropos Ischgl: Hörl war übrigens jener ÖVP-Politiker, der den „Kitzloch“-Betreiber mittels SMS gewarnt und zum Zusperren gedrängt hatte, um Anfang März die verbliebene Spätwintersaison zu retten – ein Ansinnen, das er mit dem im TV bundesweit tragikomisch berühmtgewordenen ÖVP-Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg teilte. Nun spricht sich Hörl, der seinerzeit selbst in Quarantäne musste, für ein „kontrolliertes Après-Ski“ (mit Gästelisten und Zwischenreinigung) aus, da sich sonst die Partys sowieso in die dunklen Seitengassen der Tiroler Dörfer sowie in die Hotellobbys verlagern würden. Vor einer früheren Sperrstunde oder gar einem generellen Verbot warnt er ausdrücklich, für diesen Fall bräuchte es großzügige Entschädigungszahlungen für die Gastronomen und Diskothekenbetreiber, wenn dann die Gäste ausbleiben: Freilich – wo käme man denn hin, wenn die Touristen den Tiroler Winter plötzlich tatsächlich primär zum Zwecke des Wintersports aufsuchen müssten, und nicht zum alpinen Ballermann-Saufen. Aber es stimmt schon: Man kann die Verantwortung nicht nach unten delegieren, auf die Bürger, Gäste und deren individuelles Verhalten, sondern sie liegt sehr wohl bei der Politik.

Politik nach Profitinteressen

Ironischer Weise also bei Hörl selbst. Der ÖVP-Multifunktionär sitzt ja nicht nur für die Kanzlerpartei im Nationalrat zu Wien, sondern er ist als langjähriger Tourismussprecher des ÖVP-Parlamentsklubs auch für das Thema geradezu prädestiniert. Die Gesetze und Regelungen, die er will, kann er selbst einbringen und beschließen. Klingt praktisch, ist aber tiefster Ausdruck des Problems: Wenn relevante Politiker selbst ein profitgetriebenes Interesse als Hoteliers, Gastwirte, Skigebiet- und Liftbetreiber haben, dann erhält man auch eine entsprechende Politik: Nämlich eine Politik, die sich am Gewinnstreben der Wirtschaft orientiert, nicht an gesundheitspolitischen Notwendigkeiten und Sicherheiten für die Gesellschaft. Fast wäre man geneigt, von einer politischen Unvereinbarkeit zu sprechen, doch das wäre wiederum lächerlich: Der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist und seine Regierung als politischer Ausschuss des Kapitals machen ohnedies nichts Anderes, nur ist es weniger evident erklärlich. Das „Prinzip Ischgl“ greift überall – und in einigen Tiroler Tourismusorten darf man in der kommenden Wintersaison 2020/21 mit einem Comeback der CoViD-19-Globalisierung in dem einen oder anderen Corona-Loch rechnen. Bärig wird’s.

Quelle: ORF

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