In der zweitgrößten Stadt Österreichs finden im Herbst durch Verordnung des ÖVP-Bürgermeisters Nagl vorgezogene Gemeinderatswahlen statt. Die zweitstärkste Partei, die KPÖ zeigt sich „nicht überrascht“ und hat bereits die Liste ihrer Kandidatinnen und Kandidaten präsentiert.
Graz. Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) hat für den 26. September vorzeitige Neuwahlen zum Gemeinderat ausgerufen. Der reguläre Termin wäre erst im Frühjahr 2022 gewesen. Als Grund gab der Bürgermeister an, dass er im Winter bzw. im Frühjahr eine neue Corona-Welle befürchte. Die anderen Parteien sehen in der Aktion Nagls den Versuch, einen Überraschungscoup zu landen. Besonders erbost zeigt sich der aktuelle Koalitionspartner Nagls in der Stadtregierung, die FPÖ, die er vorher nicht in seine Pläne eingeweiht haben dürfte.
KPÖ „nicht überrascht“
„Mich überrascht das nicht“ sagt hingegen die Stadträtin und Spitzenkandidatin der KPÖ, Elke Kahr. Sie sieht den Auftrag ihrer Partei darin, sich für die tausenden Grazerinnen und Grazer einzusetzen, die durch die Corona-Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben, und kritisiert, dass das Leben gerade für die unteren Bevölkerungsschichten teurer wird, auch durch Gebührenerhöhungen der Stadt Graz.
In der bundesweit mäßig erfolgreichen KPÖ stellt die steirische Landesorganisation ein Unikum dar. Sie ist in Graz, Leoben, Mürzzuschlag, Knittelfeld und noch in vielen anderen Städten und Orten der Steiermark kommunalpolitisch verankert und auch im steirischen Landtag mit zwei Mandaten vertreten. In Graz bekam die KPÖ bei der letzten Wahl 2017 mit 20,34 Prozent etwa ein Fünftel der abgegebenen Stimmen und wurde damit zur zweitstärksten Partei hinter der ÖVP. Aktuelle Meinungsumfragen prophezeien der KPÖ sogar noch weitere Zuwächse.
Die Sonderstellung der KPÖ in Graz wurde in den 1990-er Jahren durch Ernst Kaltenegger aufgebaut, der sich mit seinem Einsatz für Mieterrechte einen Namen machte. Seine Nachfolgerin Elke Kahr konnte an den Erfolgen anknüpfen und hatte ebenso wie vor ihr Kaltenegger lange das Wohnungsressort inne, ehe es ihr von der ÖVP-FPÖ-Koalition 2017 weggenommen wurde. Seither ist sie Verkehrsstadträtin und das bei der letzten Wahl errungene zweite Stadtratsmandat besetzt Robert Krotzer. Er leitet das Gesundheitsressort.
„Helfende Partei“ und klassisch sozialdemokratische Politik
Die Grazer KPÖ baut ihre Erfolge darauf auf, dass sie die „helfende Partei“ ist. Ein Teil der Politikerbezüge wird einbehalten und zur Unterstützung von Menschen in Notlagen verwendet. Außerdem blieb die Partei stets frei von Korruption oder anderen Skandalen. Eine originär kommunistische Politik, die über eine soziale Behübschung des Kapitalismus hinausreicht und auf die Mobilisierung und Organisierung der Arbeiterklasse und der unteren Volksschichten orientiert, verfolgt die Grazer KP in ihrer praktischen Politik nicht. Ihre Serviceorientierung und Stellvertreterpolitik entspricht eher dem ursprünglichen sozialdemokratischen Politikverständnis, von dem die heutige Sozialdemokratie mittlerweile meilenweit entfernt ist. Unter anderem deshalb wirkt klassisch sozialdemokratische Politik, wie sie von der KPÖ in Graz gemacht wird, heute schon „revolutionär“. Die SPÖ liegt in Graz übrigens komplett am Boden und erreichte 2017 nur mehr zehn Prozent der Stimmen. Auch die Grünen sind mit etwa 13 Prozent weit hinter der KPÖ platziert. Drittstärkste Partei ist mit fast sechzehn Prozent die FPÖ.
Max Zirngast kandidiert für die KPÖ
Vergangenen Samstag präsentierte die KPÖ-Graz ihre ersten fünfzehn Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl im September. Zuvorderst gereiht sind wieder die Stadträte Kahr und Krotzer, unter den ersten zehn befinden sich auch neue Gesichter aus der KPÖ-Nachwuchsorganisation KJÖ (Kommunistische Jugend Österreichs), die schon bisher als Kaderschmiede für die KPÖ diente. Auch Stadtrat Robert Krotzer und weitere Gemeinderäte kommen aus der KJÖ. Am 12. Listenplatz, und damit bei einem ähnlichen Ergebnis wie 2017 mit Chancen auf ein Mandat kandidiert der Journalist Max Zirngast, der weithin Bekanntheit erlangte, weil er unter fadenscheinigen politischen Gründen von der Erdogan-Justiz in der Türkei festgenommen und von September bis Dezember 2018 inhaftiert worden war, aber schließlich mangels an irgendwelchen Beweisen freigelassen werden musste.
Prestigeprojekt U‑Bahn
Zu massiven Meinungsverschiedenheiten war es zwischen der ÖVP/FPÖ-Koalition und der KPÖ in jüngster Zeit in der Frage des Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs gekommen. Während KPÖ-Verkehrsstadträtin Elke Kahr für den Ausbau und die Beschleunigung der bestehenden Verkehrsmittel eintritt, hat sich Bürgermeister Nagl das Prestigeprojekt einer U‑Bahn in den Kopf gesetzt, die nach Ansicht von Kritikern nur unnötig teuer wäre und relativ wenig bringen würde. Jüngst wurden aber Umfragen präsentiert, wonach eine Mehrheit der Grazer Bevölkerung eine U‑Bahn begrüßen würde. Der Grazer Bürgermeister ist offenbar bestrebt, sich selbst ein verkehrspolitisches Denkmal zu setzen. Nachdem er mit seiner Idee einer Gondel gescheitert ist, versucht er es jetzt mit der U‑Bahn.
Quellen: graz.at/KPÖ-Graz/KPÖ-Graz/ORF Steiermark