Kommentar von Marie Jaeger, Mitglied der Partei der Arbeit Österreichs (PdA) und Soziologin.
Linz/Oberösterreich. Wenn man zur Gruppe jener gehört, die ihre Arbeit im Home Office erledigen können, die in keiner Art und Weise systemrelevant ist, man aber das Glück hat, dass sein Lohnarbeitsverhältnis gesichert ist, kann man sich – sofern man kinderlos ist – die Zeit nehmen, sich sportlich zu betätigen. Bspw. mit dem Fahrrad zu fahren und anzuschauen, was sich da draußen so tut.
Beim Einkaufen, im Kontakt mit der Familie, den Freundinnen und Freunden sowie Kolleginnen und Kollegen wird deutlich: Es ist für viele aktuell ein spürbarer Ausnahmezustand. Zwar nicht unbedingt social distancing, aber zumindest distancing im räumlichen Sinne und in der Isolation zuhause, im Sicherheitsabstand und mit Masken. An diesen Ausnahmezustand gewöhnt man sich – wenn man psychisch einigermaßen stabil ist. Das liegt in der menschlichen Natur, auch wenn es merklich anders als sonst ist, findet eine Gewöhnung statt.
Beim Radln bewege ich mich aus meiner Blase des Einkaufens und des Nahumfeldes heraus. Vielfach zieht es mich in das Industriegebiet von Linz. Wenn man hier ist, zeigt sich ein fast schon groteskes Bild der Normalität trotz Ausnahmezustand. Baustellen, die im Innenstadtbereich vielfach geschlossen sind, laufen hier regulär weiter, anscheinend ohne Schutzmaßnahmen zumindest während der Schicht. Wenn man an den Industriebetrieben vorbeifährt, sieht man, hier wird gearbeitet. Gegen Schichtende verlassen die Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeitsstätten. Man kann beobachten, selbstverständlich halten die Kolleginnen und Kollegen keinen Sicherheitsabstand zueinander und tragen auch keine Schutzmasken. Warum auch? Was in der Werkshalle oder auf der Baustelle nicht geht, muss dann vor der Tür oder in der Pause auch nicht künstlich geschaffen werden. Diese Normalität im Alltag ist ein Kontrast zu dem, was ich aktuell selbst erlebe. Es fühlt sich fast unwirklich an, diese Normalität. Eine Normalität, die gefährlich ist in der Zeit der Pandemie.
Es verdeutlicht, warum in Italien die „Hotspots“ von Corona die industriellen Zentren sind. Denn die Industrie hält die Versorgung aufrecht, erklärte auch die IV Oberösterreich. Teilweise wird auf Kurzarbeit umgestellt und teilweise wird die Krise für Entlassungen, also Gesundschrumpfungen für den Profit, genutzt. Was viele Kolleginnen und Kollegen an das Existenzminimum oder sogar –gefährdung bringt. Dennoch wird deutlich: In der Industrie herrscht nicht derselbe Ausnahmezustand wie in anderen Bereich. Zahlen aus Oberösterreich sind leider keine bekannt, aber in Tirol arbeiten 90 % der Betriebe weiter und die Kolleginnen und Kollegen sind vielfach einem hohen Risiko der Ansteckung ausgesetzt, ohne dass das jene im Home Office wahrnehmen. Es scheint in Zeiten von Corona zwei Welten zu geben. Denn nicht nur die Kolleginnen und Kollegen im Handel und der Pflege arbeiten weiter, auch in vielen anderen Bereichen, die in keinster Art und Weise Beachtung finden.