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Das kleine Gespenst in Graz

Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)

Pünktlich zu Elke Kahrs Kür zur Bürgermeisterin von Graz wird vielerorts wieder das „Gespenst des Kommunismus“ gejagt. Das ist bei ÖVP und FPÖ oder der Raiffeisen-Zeitung „Kurier“ wenig überraschend, doch auch im angeblich „linksliberalen“ Bereich ist Platz für antikommunistische Reflexe. „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk verkündete etwa, dass das „Schwarzbuch des Kommunismus“, das selbst unter bürgerlichen Historikern umstritten ist, für ihn prägend gewesen sei; und im „Standard“ erschien am 17. November ein Hetzartikel von einem Wolfgang Mueller, seines Zeichens Professor für russische Geschichte an der Universität Wien – von der österreichischen Geschichte und Gegenwart dürfte er hingegen weniger Ahnung haben.

Unter dem Titel „Land der Volksverwirrung“ würfelt Mueller mit ein paar Zitaten aus dem Landesprogramm der KPÖ Steiermark herum – ein Programm der Bundes-KPÖ hat er wohl vergeblich gesucht –, um den Genossinnen und Genossen von Elke Kahr Demokratie- und Verfassungsfeindlichkeit sowie Umsturzfantasien zu unterstellen. Dabei ist es Herrn Mueller – und er sich – auch nicht zu blöd, Stalin, Mao und Pol Pot aus der antikommunistischen Mottenkiste zu holen, mit denen die KPÖ Graz bei Gott nichts zu tun hat. Freilich, man hat ja das böse „K“ im Namen – und das ist bereits Verbrechen genug. Wer das tut, ist unweigerlich verantwortlich und mitschuldig an allem, was weltweit unter dem gleichen oder einem ähnlichen Label geschehen ist. Den Spieß könnte man auch umdrehen: Dann sind alle kapitalistischen Parteien – von den Grünen bis zur FPÖ – für alle Verbrechen des Kapitalismus verantwortlich, für den Kolonialismus, für Sklaverei, für zwei Weltkriege, für den Faschismus, den Holocaust und den Einsatz von Atombomben. Absurd? Ja, eh. Aber umgekehrt bleibt es unwidersprochen.

Der Professor für russische Geschichte hätte sich vielleicht einmal mit der österreichischen Historie befassen sollen – ein Studium der Fakten hätte ergeben: Es waren die ÖVP-Vorläuferpartei CSP und die Nazis, also bürgerlich-kapitalistische Parteien, die in Österreich als einzige Diktaturen errichtet haben – und die KPÖ hat beide faschistische Diktaturen vehement bekämpft. Das freilich verzeiht ihr die Bourgeoise bis heute nicht. Und so landen wir bei dem österreichischen Paradoxon: Die beiden Parteien, die aus der Konkursmasse des Faschismus und des Deutschnationalismus hervorgegangen sind, die ÖVP und die FPÖ, können in der Republik jederzeit an Regierungen beteiligt sein. V.a. die ÖVP, die den „christlich-sozialen“ Putschisten und Mörder Dollfuß verehrt, ist natürlich über jeden demokratiefeindlichen Verdacht erhaben. Der antifaschistische Widerstand aber, der maßgeblich von den österreichischen Kommunisten getragen wurde, ist es nicht. Herr Mueller könnte oder sollte auch wissen, dass die KPÖ zu den Gründungsparteien der Zweiten Republik gehört, sich dementsprechend zur Bundesverfassung bekennt und sie gegen die wahren Verfassungsfeinde immer verteidigt hat. Dass es heute eine unabhängige, demokratische österreichische Republik gibt, ist historisch wesentlich ein Verdienst der KPÖ – und übrigens auch der UdSSR, der Roten Armee und Stalins.

Mueller unterstellt aber auch, dass die KPÖ (Steiermark) eine sozialistische Revolution anstrebe, die mit der Verfassung nicht vereinbar sei. Das stimmt aber gar nicht. Im B‑VG von 1920 steht kein Wort über den Kapitalismus oder die „freie Marktwirtschaft“, deren Überwindung zugunsten einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel das eigentliche Ziel der sozialistischen Revolution ist. Ironischer Weise ist das im Rahmen und auf dem Boden des österreichischen B‑VG sogar möglich, ohne dass es zu einem Bruch der Verfassungskontinuität kommen muss – denn diese theoretische Möglichkeit wollte sich die damalige (austromarxistische) Sozialdemokratie offenlassen. Die Ansicht, der Sozialismus sei in Österreich per se verfassungswidrig, ist falsch. Ebenso wenig sind Parteien, die den Sozialismus verwirklichen wollen, verfassungsfeindlich. Aber Herr Mueller faselt irgendwas von einer „liberalen Demokratie“, die offenbar irgendwie mit dem Kapitalismus verbunden sein muss – und diese würde die KPÖ „verletzen“. Nun wird man freilich auch diesen Terminus einer ominösen „liberalen Demokratie“ in der österreichischen Verfassung vergeblich suchen, aber das muss ein Professor für russische Geschichte ja nicht wissen.

Es nimmt auch wenig Wunder, dass Herr Mueller die von ihm im Untertitel seines Kommentars aufgeworfene Frage: „Was ist Kommunismus?“ nicht beantworten kann. Er hat offenbar wenig von Marx und Engels dazu gelesen (oder zumindest verstanden), aber als Russlandexperte wäre vielleicht ein bisschen Lenin-Lektüre ratsam gewesen, ohne diesen einfach mal so zum „Massenmörder“ zu erklären. Der Kommunismus ist die klassenlose Gesellschaft, sein frühes Stadium wird als Sozialismus bezeichnet. Klassenlos ist der Kommunismus deshalb, weil das kapitalistische Eigentum – Fabriken, Boden, Maschinen – in gesellschaftliches Eigentum überführt wird. Für die Klasse der Kapitalisten, die von der Ausbeutung der Arbeiterschaft und Bauernschaft leben, gibt es dann keine „Notwendigkeit“ mehr. Der Wohlstand wird gleichmäßig und gerecht auf die ganze Bevölkerung verteilt, ohne dass sich eine kleine Minderheit auf Kosten der Mehrheit bereichern kann. Das ist Kommunismus.

Herr Mueller glaubt vielleicht, dass Kommunismus eine politische Diktatur ist. In einer Hinsicht stimmt das: Kapitalistische Parteien sind im Sozialismus-Kommunismus verboten, wie ja auch im heutigen Kapitalismus und in dessen bürgerlichem Staat Parteien verboten sind, die den Feudalismus, den monarchistischen Absolutismus oder die Sklavenhalterwirtschaft wieder einführen wollen. Die „Diktatur des Proletariats“ fungiert in diesem Sinne tatsächlich einerseits als notwendige Niederhaltung der kapitalistischen Restaurationsbestrebungen. Da aber im Sozialismus die gesamte Gesellschaft zur Arbeiterklasse übergeht und es schließlich keine Kapitalisten mehr gibt, hebt sich diese und jede politische Herrschaft selbst auf – der letztliche Kommunismus ist herrschaftsfrei. Und gleichzeitig bedeutet die vorübergehende „Diktatur“ – Achtung, Dialektik! – die volle Demokratie für die Werktätigen. Nun, das ist eben Marxismus, muss man als Professor für russische Geschichte nicht intus haben. Aber man kann es vielleicht bezüglich der bürgerlichen Revolutionen analog erklären: Diese stellen die Demokratie für die Besitzenden her, für die Bourgeoisie, dann schrittweise – zumindest auf dem Papier – auch für die Bauernschaft und die Arbeiterklasse, letztlich sogar für die Frauen. Die fürstlichen und kirchlichen Feudalherren, die Grundbesitzer, Sklavenhalter und Patriarchen werden dies gewiss als Diktatur empfunden haben. Doch es war notwendig, um einen Schritt in die richtige Richtung zu nehmen. Nebenbei bemerkt: Die bürgerlichen Revolutionen waren immer mit Verfassungsbrüchen verbunden – und oft auch mit blutiger Unterdrückung und Massenmord.

Was soll also die ganze antikommunistische Hetze? Ist es nur Ahnungslosigkeit? Nein. Es ist Kalkül, es ist Methode. Der Sozialismus-Kommunismus erstrebt die Befreiung der Menschheit von Unterdrückung und Ausbeutung, von Krieg und Krisen. Das kann das Kapital natürlich niemals zulassen, denn es lebt ja von der Ausbeutung – ohne Ausbeutung kein Profit, kein Privatreichtum, keine Milliardäre. Daher muss der Sozialismus mit allen Mitteln verhindert und bekämpft werden – eines dieser Mittel war übrigens der Faschismus, auch eine kapitalistische Herrschaftsform. Heute stehen wir woanders, die Mittel sind verborgener: Mit den entsprechenden finanziellen Möglichkeiten manipulieren die Kapitalisten die Demokratie und Wahlen, sie subventionieren ihnen hörige Parteien und Medien, sie unterhalten aber auch ein Bildungssystem, das den Kapitalismus beschönigt und den Sozialismus-Kommunismus verteufelt. Zu diesem System gehört auch Herr Mueller, der als Professor die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung unter dem Deckmantel der bürgerlichen Demokratie als vorteilhaft und besser darstellen soll und muss – dafür wird er schließlich von den Herrschenden bezahlt. Die bürgerliche Demokratie und ihr Parlamentarismus sind objektiv stark deformiert, faktisch handelt es sich um eine gegängelte Demokratie, die im Hintergrund eine verbrämte Diktatur des Kapitals darstellt. Für die ausfinanzierten Nutznießer und Lakaien des Kapitals ist das in Ordnung, denn sie leben gut. Aber für die Masse der arbeitenden Menschen ist dieser Zustand unerträglich. Deshalb muss unterbunden werden, dass die Menschen auf die naheliegende Idee kommen, den kapitalistischen Status quo zu verändern. Indem die Alternative – der Sozialismus-Kommunismus – als verbrecherisch, undurchführbar oder obsolet erklärt wird, setzt man vorerst mal auf Propaganda und Geschichtsfälschung, behält aber alle Mittel in der Hinterhand – bis zum Rettungsanker der autoritären Entwicklung und des Faschismus. Denn am Ende werden sich die Menschen nicht auf Ewigkeit betrügen und täuschen lassen, nicht von den bürgerlichen Parteien, nicht von den Systemmedien, nicht von irgendwelchen elitären Professoren.

Das wissen die Herrschenden durchaus – und deshalb haben sie auch über 100 Jahre nach der russischen Oktoberrevolution, 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten in Europa immer noch solche Angst vor der sozialistischen Revolution. Sie ist eine gerechte Sache, die früher oder später von der Arbeiterklasse verwirklicht werden wird. Daran besteht kein Zweifel. Deshalb müssen schon beim geringsten Funken einer emanzipatorischen Entwicklung Gegenmaßnahmen ergriffen werden – so auch in Bezug auf den Wahlerfolg der KPÖ Graz. Denn er zeigt, dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Die Grazer Bevölkerung hat sich emanzipiert, von der ÖVP, von der asozialen Politik, von der antikommunistischen Hetzjagd der Herrschenden und ihrer Handlanger. Und so steht die „Gefahr“ im Raum, dass sich die Idee durchsetzt, man könne sich auch von der kapitalistischen Ausbeutung emanzipieren und befreien – mittels sozialistischer Revolution.

Die steht in Graz nun natürlich nicht auf der Tagesordnung. Elke Kahr und die KPÖ werden sich in nächster Zeit mit einer etwas sozialeren Kapitalismusverwaltung auseinandersetzen müssen, die allerdings ihre Grenzen hat, zumal auf kommunaler Ebene. Herrn Mueller kann man indessen insofern beruhigen, dass die KPÖ ihr „K“ im Namen nur noch aus Tradition trägt – im wörtlichen Sinn handelt es sich ohnedies nicht mehr um eine kommunistische Partei, sondern um eine linkssozialdemokratische. Die KPÖ wird nicht den Kommunismus einführen und stellt keine substanzielle Gefahr für den Kapitalismus dar, denn das will sie gar nicht. Sie wird auch nicht die Massen zum revolutionären Klassenkampf auf den Straßen organisieren. Trotzdem ist ein Schritt getan, an dem wirkliche Kommunisten und Revolutionäre ansetzen könnten. Das ist der Grund, warum sich die bürgerlichen Kräfte neuerlich auf die Jagd nach dem kommunistischen Gespenst machen. In Graz werden sie es nicht finden, aber keine Sorge: Es wird sie finden und gebührend heimsuchen.

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