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Was hat Mallorca mit Gaza zu tun?

Gastkommentar von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.

Georges Bernanos (1888–1948), der als gläubiger Christ von dem mit den reaktionären Systemen kollaborierenden Staatsklerikalismus angewidert war, gehört zu den von Papst Franziskus (*1935) wiederholt und mit großem Respekt zitierten Schriftstellern. Berühmt ist Georges Bernanos vor allem durch sein auch verfilmtes Buch „Die Sonne Satans“ (1975). Zur Zeit des spanischen Bürgerkrieges war er 1936 bis 1938 auf dem heute nur als Trauminsel bekannten Mallorca. Dort hat Bernanos über seine Eindrücke vom Wüten der unter dem Befehl des von westlichen Werten angetriebenen Generals Francisco Franco y Bahamonde (1892–1975) stehenden Falangisten gegen jene Menschen, die um die Befreiung aus Armut und Unterdrückung gekämpft haben, ein erweitertes Tagebuch geschrieben. Es ist 1938 als Buch veröffentlicht und 1983 neu aufgelegt worden „Die großen Friedhöfe unter dem Mond. Mallorca und der Spanische Bürgerkrieg. Ein Augenzeuge rechnet ab“ (Arche Verlag Zürich 1938 / 1983). Ein paar Sätze daraus: 

>Die Säuberung in Mallorca erfolgte in drei Phasen, die untereinander ziemlich verschieden waren; hinzu kam eine vorbereitende Periode. Während dieser letzten verzeichnete man zweifellos auch schon Hinrichtungen ohne gerichtliches Urteil. 

Eine große Anzahl der Verdächtigen, Männer wie Frauen, fiel nämlich nicht unter das Kriegsrecht, da auch der geringste materielle Beweis fehlte, auf den ein Kriegsgericht hätte zurückgreifen können. Man begann sie also gruppenweise, je nach ihrem Heimatort, zu entlassen. Unterwegs kippte man die Ladung in den Straßengraben. Ich weiß … ihr laßt mich nicht weiterreden. Wieviel Tote? Fünfzig? Hundert? Fünfhundert? 

Ich bemühe mich, dies alles ganz nüchtern niederzuschreiben. Ich werde auch nichts denen zuliebe hinzufügen, die mich für fähig halten möchten, Dinge ohne Beweis vorzubringen oder auf bloßes Geschwätz hin. Ich berichte hier nicht über eine mehr weniger geheimnisvolle Maffia. Alle Tatsachen sind öffentlich bekannt; von der Mehrzahl gebilligt, von einigen wenigen missbilligt, wurden sie von niemand in Zweifel gezogen.

Die tapferen Soldaten dringen von allen Seiten ein und rechnen mit den Verwundeten ab …. Als ich einige Tage später dem Madrider Journalisten, der diesen Artikel geschrieben hatte, mein Erstaunen zum Ausdruck brachte, veröffentlichte er am Tage darauf eine umständliche Rechtfertigung, der ich folgendes entnehme: “Gewisse hochherzige Seelen glauben, sich gegen die Notwendigkeiten des Heiligen Krieges empören zu müssen. Wer aber Krieg führt, muss sich dessen Gesetzen unterwerfen. Und lautet das erste Gesetz des Krieges nicht: Wehe den Besiegten!“

Mißtrauisch geworden durch den wachsenden Widerwillen, den sie rings um sich aufkommen fühlte … schritt die Militärbehörde nunmehr zu einer dritten, noch diskreteren Methode der Säuberung. Hier ist sie, ein höchst einfaches Verfahren. Die Gefangenen, die als unerwünscht galten, erhielten eines Morgens die Mitteilung, sie würden wegen Mangels an Beweisen entlassen. Sie unterschrieben ihre Entlassungsurkunde, quittierten die Rückgabe ihres konfiszierten Eigentums, schnürten ihr Bündel, erfüllten also kurz gesagt nacheinander alle die Formalitäten, die unerlässlich sind, um eine Gefängnisverwaltung von aller zukünftigen Verantwortung zu entlasten. Um zwei Uhr morgens entließ man sie, zu zwei und zwei. Das ging so vor sich, dass sie sich – kaum hatten sie die Gefängnisschwelle überschritten – in einem abgelegenen Nebengässchen einem Lastwagen gegenübersahen, von Männern umringt, von denen jeder eine Pistole in der Hand hatte. „Ruhe! Wir bringen euch nach Hause!“ Man brachte sie auf den Friedhof.

So erhielten, bis zum Dezember [1937], die Hohlwege der Insel rings um die Friedhöfe regelmäßig ihre tödliche Ernte Andersdenkender.<

Die von George Bernanos erzählte Geschichte von Mallorca hat nichts mit dem Gazastreifen der Gegenwart zu tun – oder doch! Israel ist derzeit von einem extrem nationalistischen Gewaltsystem beherrscht, das mit dem auf härteste Unterdrückung fußenden System Franco vergleichbar ist. Benjamin Netanjahu, dem Österreichs Parlamentsparteien schier die Hände küssen, lehnt das Osloer Abkommen von 1993 und den Rückzug des Staates Israels auf die Grenzen vor dessen Angriffskrieg 1967 an. Israels Militär und militarisierten Siedler gehen gegen die zur befreienden Gewalt mit allen dabei möglichen Fehlern greifenden Freiheitskämpfern aus dem Gazastreifen so vor wie alle Faschisten gegen Freiheitskämpfer vorgegangen sind. Wenn den Unterdrückten „kein anderer Ausweg bleibt, wird diese revolutionäre Gewalt zum bewaffneten Kampf, ohne deswegen terroristische Kampf sein zu müssen“, hat der baskische Befreiungstheologe und im Auftrag der US-Amerikaner mit fünf Mitbrüdern ermordete Ignacio Ellacuría SJ (1930–1989) festgestellt (Gewaltlose Friedensarbeit und befreiende Gewalt? (Concilium 24, Jg., 1988, S. 47–53).

Wie George Bernanos über das Vorgehen der spanischen Faschisten authentisch beschreibt, haben beispielsweise lange vor dem Ausbruch dieses Krieges am 8. Oktober d. Jahres der israelische Staatsapparat Palästinenserinnen und Palästinenser in sogenannte Administrativhaft genommen. Diesen war es nicht möglich, ihr Recht auf ein Gerichtsverfahren wahrzunehmen und wissen nicht, wann sie freigelassen werden. Der Gazastreifen soll, das ist der israelisch rechtsextreme Vorwand, wegen des von dort ausgehendem Terrorismus dem Erdboden gleichgemacht werden. Am 31. März 2002 hat der Patriarch von Jerusalem Michal Sabbah eine Osterpredigt gehalten: „Die Regierenden sollten nicht vom Terrorismus sprechen, um ein Grundübel zu verbergen und um die Welle des Todes und des Hasses zu rechtfertigen. Sie sollten die Wahrheit sehen und eingestehen, dass es sich hier um ein Übel handelt, das geheilt werden muss. Dieses Übel heißt: Unterdrückung eines Volkes, Raub seines Landes und seiner Freiheit“ (Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, 38 Jg., 2002, S.364–369, 364).0

Österreichs im Parlament vertretenen Parteien versichern nicht dem Staat Israel, sondern dessen rechtsextremen Staatsapparat bedingungslose Solidarität zu und akzeptieren, ja ermuntern dadurch dessen vor nichts mehr zurückschreckenden Angriffe auf das palästinensische Volk einschließlich deren Spitäler. 

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